Ein Traum der Welt: Kleine Drachen sammeln

Nr. 33 –

Annette Hug ringt mit dem Abstieg von GC

Nach drei Siegen verliert der Grasshopper Club Zürich gegen Schaffhausen und gibt die Führung der Nationalliga B an Lausanne ab. Die Saison hat nicht schlecht begonnen. Als alter Fan sollte ich weiter hoffen, auch wenn die letzten Jahre zum Verzweifeln waren. Manchmal blieb nur noch Nostalgie, zum Beispiel beim Blick in den Ordner, der mir als Primarschülerin die Panini-Bildchen ersetzte. Weil meine Mutter Kommerz für Kinder ablehnte, durfte ich die Papiertüten mit den Spielerbildchen nicht kaufen, konnte sie also auch nicht tauschen. Mein Album bestand aus gelochten A4-Blättern, auf denen jeder Spieler einzeln dokumentiert wurde. Aus der Zeitung schnitt ich Fotos aus, immer eng den Körpern entlang, die in kräftiger Bewegung abgebildet waren. Damals füllte Heinz Hermann manchmal eine Titelseite. Etwas aus diesem Album vorzuzeigen, wäre mir allerdings peinlich, denn ich habe bei jedem Spieler vermerkt, wann er in die Nationalmannschaft berufen wurde. Mit Ausrufezeichen. Orthografisch unbeholfen. Über den Fotos von Claudio Sulser, Alain Geiger, Heinz Hermann, Marcel Koller, Roger Berbig prangt ein fettes «Nazi!».

Erst als Jugendliche erfuhr ich, dass bei GC lange keine Juden spielen durften und dass die Hardturmfront ein Klub von Neonazis war. Das hielt mich aber nicht davon ab, Spiele zu besuchen. Inzwischen zweifle ich an der Devise, dass man seinen Klub nie im Leben wechseln könne, aber noch viel fragwürdiger erscheint mir die Verteufelung von Sammelbildchen. Mein achtjähriger Neffe hat mir diesen Sommer beigebracht, das Pokémon-Sammelkartenspiel zu spielen. Langsam begreife ich, wie mein Deck zu erweitern wäre, damit ich eine Chance gegen den Jungen hätte. Ich müsste Papiertütchen kaufen und hoffen, dass mir neue Spielkarten mit stärkeren Figuren zufallen, oder ich könnte für gutes Geld ganze Decks kaufen, damit mir dann eine Trainerkarte Wechsel im richtigen Moment ermöglicht. Ich müsste mehr Fähigkeiten in petto haben. Die Karte «Brüllender Entschluss» käme mir oft gelegen.

Wenn mein Neffe seine Karten sichtet und neu ordnet, meine ich, den alten Sun Zi an seiner Seite zu sehen. Er vermittelt chinesische Kriegskunst: «Kenne deine Truppen! Schätze die Stärken deines Gegners richtig ein!» Nicht immer ist Angriff das beste Mittel. Du kannst der Gegnerin auch zuschauen, wie sie Energien sinnlos verpufft, und dann, wenn sie erschöpft ist, schlägst du leise zu.

Mein Neffe lernt mit seinen Pokémon-Karten mehr fürs Leben als ich damals mit meinem Ordner. Er weiss, dass das Spiel nie fertig erfunden ist, stets tauchen neue Karten und Figuren auf. Sie eröffnen Möglichkeiten für unbekannte Spielzüge. Auch die Grundenergie der Karten ist zu beachten. Wenn Psycho auf Elektrizität trifft oder Feuer auf Pflanzen, nimmt das Spiel unerwartete Wendungen. (Aber was soll mir die Information auf der Karte Porenta: «Dieses Pokémon nutzt eine Lauchstange als Waffe. Es setzt sie wie ein Schwert ein»?)

GC-Fans ist Pokémon besonders zu empfehlen, denn hier gibt es keinen Tod, eine Figur wird nur kampfunfähig. Sie wandert auf den Ablagestapel. Daraus kann sie ins Spiel zurückkehren, wobei mich das Wort «Ablage» doch wieder an den alten Ordner erinnert, an Schubladen und Hängeregistraturen: Ein trockener Limbus, aus dem irgendwann neues Leben erwacht.

Annette Hug ist Autorin in Zürich. In den Sammelkarten ihres Neffen vermutet sie eine taoistische Elementenlehre.