Umweltpolitik: Gegen Wissenschaft und Armutsbetroffene

Nr. 12 –

Wann geht es in der Schweizer Umweltpolitik vorwärts? Eigentlich dann, wenn sich Probleme nicht mehr ignorieren lassen: beim Gewässerschutz, als in den sechziger Jahren die Flüsse schäumten und stanken. Bei der Raumplanung, als um 1970 die Zersiedlung unübersehbar wurde. Bei der Luftreinhaltung, als in den Achtzigern die Wälder serbelten.

Und heute? Das Klima erwärmt sich beängstigend schnell, aber das Parlament blockiert jede griffige Lösung. Letzte Woche hat es das CO₂-Gesetz verabschiedet. Damit soll weiterhin ein Drittel der CO₂-Emissionen im Ausland kompensiert werden – das Gesetz gibt nicht einmal einen maximalen Anteil vor. Auch sonst ist es absolut ambitionslos ausgefallen.

Die Mitte-Rechts-Mehrheit im Parlament weigert sich nicht nur, den Klimanotstand anzugehen. Sie will sogar etablierte umweltpolitische Errungenschaften rückgängig machen – das wurde in der Frühlingssession, die letzte Woche zu Ende ging, überdeutlich. Seit 2000 gibt es eine Lenkungsabgabe auf flüchtige organische Stoffe, sogenannte VOCs. Diese tragen zur Bildung von gesundheitsschädlichem bodennahem Ozon bei. Seit es die Abgabe gibt, hat sich die VOC-Belastung halbiert. Und was macht der Nationalrat aus dieser Erfolgsgeschichte? Er will die Abgabe abschaffen.

Zudem sollen Städte das Recht verlieren, auf Durchgangsstrassen Tempo 30 einzuführen (siehe WOZ Nr. 9/24). Ausgerechnet jene Parteien, die sonst über «staatliche Bevormundung» schimpfen, wollen den Gemeinden bewährte Lösungen verbieten. Tempo 30 ist eine der effektivsten Massnahmen gegen Lärm. Weniger Tempo-30-Zonen bedeutet: mehr Wohnungen, in denen man ohne unerträgliche Lärmbelastung kaum ein Fenster öffnen kann. Das Parlament nimmt das bewusst in Kauf: Beide Kammern wollen die Lärmschutzvorschriften im Wohnbau lockern. Lärm und VOCs machen krank, das ist wissenschaftlich erwiesen – Mitte-Rechts foutiert sich drum. Und zeigt so seine Geringschätzung für einen bestimmten Teil der Bevölkerung. Denn wer wohnt an lärmigen Durchgangsstrassen? Wer läuft bei Atemwegserkrankungen Gefahr, keine gute Behandlung zu bekommen? Die Reichen sind es nicht.