Der schillernde Solarforscher: «Esoterischer Schabernack»

Nr. 26 –

Er schmückt sich mit einem Doktortitel, ist Sänger, umwirbt den WWF und will jetzt die Autotechnik revolutionieren. Ist sein NLV Quant ein Wunderwagen? Oder Hochstapelei?

Arnold Schwarzenegger steht mit offenem Mund vor dem NLV Quant, dem neusten Modell aus dem schwedischen Hause Koenigsegg. Vorgestellt erstmals dieses Jahr am Automobilsalon Genf. Was Schwarzenegger und viele andere dort zum Staunen brachte, war nicht nur die Schönheit dieses Sportwagens, mit dem man in 5,2 Sekunden von 0 auf 100 beschleunigen können und bis zu 275 Stundenkilometer erreichen soll. Die Sensation ist die «groundbreaking technology» des Quants, die Art und Weise, wie der schnelle Flitzer durch Elektro- und Solarenergie angetrieben wird. Eine hauchdünne Solarzellenbeschichtung überzieht den ganzen Wagen. Erfinder dieser Technologie ist ein Dr. N. L. aus der Schweiz. Der NLV Quant ist eine Kooperation von N. L. mit Koenigsegg.

Gitarrist, Sänger, Doktor

Koenigsegg ist jener schwedische Autohersteller, der letztes Jahr gerade mal achtzehn Wagen auslieferte - mehrheitlich in den arabischen Raum - letzte Woche aber den Zuschlag erhielt für die Übernahme des ebenfalls schwedischen Autoproduzenten Saab, einer Traditionsmarke, die zuletzt unter General Motors (GM) langsam vor sich hin serbelte. Mit ein Grund, weshalb nicht einer der anderen rund dreissig Bewerber den Zuschlag erhielt, ist - so GM-Suisse-Pressesprecher Christoph Bleile gegenüber der WOZ - Koenigseggs Fähigkeit, «Fahrzeuge zu entwickeln und anzubieten, die über eine innovative und umweltbewusste Technologie verfügen».

Schon 2008 präsentierte Koenigsegg den Flitzer CCXR, der zu einem grossen Teil durch Ethanol angetrieben wird. Dieses Jahr stellte man jetzt den «solaren Wunderwagen» vor, den NLV Quant, hinter dem N. L. steht.

N. L. Wer ist der 44-Jährige mit dem mittelländisch klingenden Schweizer Dialekt, der aussieht wie eine Mischung aus Elvis Presley und Eros Ramazzotti? Dessen schöner Kopf regelmässig patentwürdige Ideen hervorbringt, der selbstbewusst einen Doktortitel trägt (von dem er nicht sagen will, wo er ihn erworben hat), alleiniger Verwaltungsrat mehrerer Firmen ist und Geld hat. Viel Geld. In der Liste der «300 reichsten Schweizer» («Bilanz») taucht N. L. zwar nicht auf, aber dem Rennauto- und Kampfflugzeugfan gehören eine Villa in Küsnacht ZH, ein grosses Haus in Ascona inklusive viel Land und nach eigenen Aussagen mehrere Ferraris.

N. L. ist auch Gitarrist und Sänger. Auf der Internetplattform Youtube kann sich jeder sein neustes Video anschauen, es ist ein sehr teuer produziertes, jazzig angehauchtes Märchen. Es könnte N. L.s Märchen sein - das eines gut aussehenden Menschen, der ziemlich weit unten auf der gesellschaftlichen Skala seine schlecht bezahlte Arbeit verrichtete, bis er von einer fremden Hand plötzlich in eine glitzernde Luxuswelt gezogen wurde. In eine Welt der Schönheit, des Reichtums und der Fassaden, hinter die niemand blicken darf.

Es ist N. L.s Märchen. Und hinter die Fassade dieses 44-jährigen Sohnes italienischer Einwanderer darf erst recht niemand blicken. Willkommen also im echten Märchen dieses genialen Physikers und cleveren Geschäftsmanns, zu dem N. L. geworden ist - oder besser: der er plötzlich war - und von dem Schweizer Forscher, die sich auf diesem Gebiet auskennen, noch nie etwas gehört haben.

N. L. war einfach plötzlich da und meldete unter seinem Namen Patente an, zum Beispiel für eine Solarzellenanlage. Das war 1993, das Patent ist immer noch gültig. Für Aufsehen hat seine Erfindung in Fachkreisen nie gesorgt, genauso wenig wie die anderen von N. L. angemeldeten Patente. Ab 1996 gründete er in der Schweiz mehrere Firmen mit Namen wie Juno Technology Products AG, NLV Music GmbH, NLV Holding AG, NLV Solar AG und in München noch die NLV W GmbH. Zumindest bei allen Schweizer Firmen war die unternehmerische Verantwortung anfangs auf mehrere Köpfe verteilt - jetzt ist er alleiniger Zeichnungsberechtigter.

In Zürich steht sein Digilab, in dem ein Hochleistungscomputer für KundInnen Ideen visualisiert. Virtuelle Realität nennt man das. Und neuerdings ist er in München-Perlach bei Siemens eingemietet. Auf 8125 Quadratmetern Industriefläche. Hier werde er an der Technologie des NLV Quant weiterfeilen, sagt N. L. Vier Prototypen soll es geben, die Produktion starte in zwei Jahren, sagte N. L. kürzlich gegenüber einer schwedischen Automobilzeitschrift.

Letzte Woche wurde bekannt, dass die Europäische Investitionsbank (EIB) den neuen Saab-Investoren einen Kredit von 600 Millionen Euro zusichert. Dieser ist zweckgebunden - für Projekte mit dem Ziel, sicherere und umweltfreundlichere Autos zu entwickeln. Ausserdem hat die schwedische Wirtschaftsministerin Maud Olofsson mitgeteilt, dass die schwedische Reichsschuldenverwaltung von der Regierung nun grünes Licht erhalten habe, mit Saab und dem Käufer Koenigsegg Verhandlungen über die Bedingungen für staatliche Garantien für diesen EIB-Kredit aufzunehmen. Wenn die EIB-Bedingungen erfüllt sind, kann Koenigsegg mit dieser Garantie rechnen, voraussichtlich wird dies im Herbst dieses Jahres der Fall sein.

«Geschäftsgeheimnis»

Schwedens Regierung hatte lange Zeit keine Lust, Geld in die Rettung von Saab zu stecken, weil man nicht an eine blosse Fortsetzung der jetzigen Produktion glaubte. «Umweltauto» war das Stichwort. Über das Interesse von Koenigsegg war lange gelacht worden. Erst als die Medien das angeblich «grüne» Konzept hinter diesem Sportwagenhersteller entdeckten, von «sonnengetriebener Zukunft» und dem «superschnellen Solarauto» berichteten, änderte sich das.

Auch Christian von Koenigsegg, Gründer und Mitinhaber des Autoherstellers, sagte gegenüber dem schwedischen Fernsehsender SVT, Koenigsegg arbeite mitunter «an einem einzigartigen Zukunftsprojekt, einer neuen schwedischen Technik». Einzelheiten dazu wollte er aber nicht nennen.

Gegenüber der WOZ lässt die Firma Koenigsegg verlauten, man arbeite seit Dezember 2008 mit N. L. zusammen. N. L. habe damals mit Christian von Koenigsegg Kontakt aufgenommen. «Er fragte uns, ob wir das Design für dieses Auto übernehmen könnten. Daraus ergab sich die Zusammenarbeit», sagt die Presseverantwortliche. Dazu, was der Stand der Entwicklungsarbeiten am Quant-Prototyp sei, könne sie aber nichts sagen, da müsse man bei NLV Solar nachfragen. Überhaupt sei für alle technischen Fragen die Firma von N. L. zuständig, man möge sich bitte an sie wenden.

N. L. gibt in letzter Minute Auskunft. Er sagt: «Das unterliegt dem Geschäftsgeheimnis.» Das ist wenig Information.

Dafür sind gleich mehrere Experten auf dem Gebiet der Physik, Solarzellenforschung und Energie bereit, ihre Einschätzung zum angeblichen Superauto Quant abzugeben. Jenem Auto, das Koenigsegg in der Zeit der Verhandlungen um die Saab-Übernahme lancierte und an dem N. L. die alleinigen Rechte hat ...

Professor Andrea Vezzini von der Berner Fachhochschule, Departement Technik und Informatik und erste Anlaufstelle für Fragen zu solarbetriebenen Fahrzeugen und Energieeffizienz von Fahrzeugen: «Der Weltrekord der Umwandlungsleistungsfähigkeit von Solarzellen liegt bei 42 Prozent. N. L. will 50 Prozent erreichen. Für mich klingt das alles nach heisser Luft. Ich frage mich, weshalb Koenigsegg da überhaupt eingestiegen ist.»

Lino Guzzella, ETH-Professor für Thermotronik und Mitglied verschiedener internationaler und nationaler Forschungsausschüsse: «Dieser Quant ist ein Auto für den Auto-Salon beziehungsweise für die Schlagzeile, aber nicht für eine ökologisch sinnvolle Mobilität.»

Rüdiger Paschotta, Mitglied des Stiftungsrats der Schweizerischen Energiestiftung, promovierter und habilitierter Physiker sowie Geschäftsführer einer Beratungsfirma für Lasertechnologie: «Ich kann mir vorstellen, dass man ein Auto bauen kann, welches so aussieht und an jeder erdenklichen Stelle mit Lithium-Ionen-Akkus vollgestopft ist, sodass es eine Reichweite von 500 Kilometern erreicht - jedenfalls bei Tempo 50. Die Solarhülle wird zur Reichweite freilich wenig beitragen können, denn die erzielbare Leistung bei voller Sonne ist ein winziger Bruchteil der maximalen oder auch der durchschnittlich benötigten Motorleistung, ausser bei Kriechtempo.»

Diesen drei Einschätzungen entgegnet N. L. einzig: «Beim Quant handelt es sich primär um ein Elektroauto mit einem Akkumulator.» Auf die Frage, ob es zum Quant Messresultate gebe, antwortet N. L. einmal mehr: «Das unterliegt dem Geschäftsgeheimnis.» Er will auch nicht sagen, ob und wo am Prototyp gearbeitet wird.

Anders tönt es in einer Werbebroschüre, die N. L. 2008 erstellt hat. In ihr heisst es zum Beispiel, dass in München-Perlach, wo er seit einigen Monaten eine «research and development plant» betreibt, in den riesigen Räumen, die er von Siemens gemietet hat, seine digitalen Prototypen zu physikalischen Prototypen würden - er will der virtuellen Realität Leben einhauchen. Nur: In diesen Räumen arbeitet gar niemand, wie Günther Rücker von Siemens Real Estate gegenüber der WOZ erklärt: «In den Räumlichkeiten finden derzeit keinerlei Aktivitäten statt.»

In N. L.s Broschüre steht weiter, dass dieses Unterfangen die Kulmination von zwanzig Jahren Forschung seiner NLV Solar AG sei. Aber diese Aussage ist schlicht falsch, denn offiziell gründete N. L. diese Firma mit Sitz in Zug laut Handelsregister erst vor elf Jahren, am 17. April 1998.

Zukunfts- oder Traumauto?

In der erwähnten Broschüre ist viel von energietechnischen Herausforderungen der Zeit und der Notwendigkeit erneuerbarer Energien zu lesen. N. L. hat die Lösung des Energieproblems zur Hand: Seine «Pyradian high-performance thin-film solar cell» und seinen Quantrit, ein «plasma reactor for electric power generation». Dieses durch ihn patentierte System erzeuge Energie durch statisches Aufladen von Gasplasma. Physiker Rüdiger Paschotta hat sich der Materie angenommen. Und sagt dazu: «Die ultrakurze Beschreibung [des Quantrit] lässt es nicht zu, irgendetwas zu überprüfen. Jedenfalls sieht dies für mich ganz klar nach esoterischem Schabernack aus, der mit Physik und Realität nichts zu tun hat.» Umso gespannter darf man auf den Beweis der Alltagstauglichkeit dieser Zukunftsversprechen sein.

In München will N. L. laut Broschüre «den Schritt von der Pilot- zu Massenproduktion schaffen». Das gehe nur mit immensen Investitionen für die dafür notwendige Infrastruktur. NLV Solar alleine könne diese nicht aufbringen. Die Dringlichkeit und das schiere Ausmass dieses Unterfangens bedeuteten, dass es nicht Privatinvestitionen alleine überlassen bleiben könne: «Public funds will have to be committed on an unprecedented scale» - «öffentliche Gelder werden in einem bisher nicht da gewesenen Umfang nötig sein.»

Es scheint fast so, als sei N. L.s dringlicher Aufruf nun erhört worden. Stellt die Europäische Investitionsbank tatsächlich die 600 Millionen Euro für Saab bereit und bürgt die schwedische Regierung tatsächlich dafür, fliesst dann ein Teil des Geldes auch nach München-Perlach, in die Hallen der NLV Solar? Dahin, wo N. L. an der Zukunft des solarbetriebenen Autos arbeiten will? Dahin, wo laut Siemens Real Estate gar nicht gearbeitet wird?

N. L. hält sich bedeckt. Er will nicht sagen, wie viele Leute dort in München arbeiten. Weshalb? Und warum sind Christian von Koenigsegg und seine Autobauer betreffend N. L.s Forschungs- und Entwicklungsarbeit nicht zu wenigstens einigermassen ähnlichen Einschätzungen gelangt wie die befragten Schweizer Physiker respektive Solarexperten?

Haben sich Saab und Koenigsegg vom Wunderauto Quant täuschen lassen? Und mit ihnen WWF Schweden und WWF Schweiz, die eine Zusammenarbeit mit N. L. eingegangen sind? Hat das Folgen für den Saab-Koenigsegg-Deal?

Andrea Vezzinis vorläufig abschliessendes Urteil zu N. L.s futuristischem Auto: «Da hat jemand überall die besten Werte, die aktuell auf der Welt erreicht werden, zusammengenommen, die Zahlen leicht gedehnt, sodass es nicht gerade offensichtlich ein Perpetuum mobile wird, und dann das Ganze noch ein bisschen in Marketing-Hokuspokus-Sprache verpackt.» Im Namen der Umwelt kann man nur hoffen, dass Vezzini unrecht hat.

Mitarbeit: Reinhard Wolff, Stockholm, und Alice Kohli

* Name der Redaktion bekannt