Regionalmedien: Das Breirezept der NZZ

Nr. 8 –

Die NZZ-Gruppe fusioniert den Mantel ihrer Regionalblätter «St. Galler Tagblatt» und «Neue Luzerner Zeitung» und setzt für diese einen gemeinsamen Chefredaktor ein. Zerbricht daran die ohnehin brüchige regionale Identität der beiden Blätter?

Die St. Galler Kantonsregierung befürchtete schon im Herbst 2014, dass dies alles bloss eine Vorbereitungshandlung sei: NZZ-Konzernchef Veit Dengler und seine (intern als «McKinsey-Boys» verschrienen) Berater hatten soeben den CEO des «St. Galler Tagblatts» in die Wüste geschickt, mit dem Luzerner Jürg Weber einen Geschäftsführer für beide Blätter eingesetzt – und die alten Provinzgranden längst zu Befehlsempfängern degradiert.

Letzte Woche nun hat die NZZ-Gruppenleitung die Chefredaktoren der beiden Blätter abgesetzt – und mit dem «NZZ am Sonntag»-Journalisten und einstigen Vekselberg-Mediensprecher Pascal Hollenstein einen Chefredaktor für beide Regionalblätter berufen. Damit ist die Zentralisierung in der Mediengruppe abgeschlossen. Die Chefs in der Provinz werden schon lange nicht mehr in die Planspiele einbezogen, sondern haben einfach zu vollziehen, was in Zürich ausgeheckt wird.

Die Regionen als Geldkühe

Der gebürtige Thurgauer Hollenstein soll die beiden bereits kleingesparten Mantelredaktionen zusammenführen, publizistisch auf Vordermann bringen und als Stimme im nationalen Medienkonzert etablieren. Und damit das Kunststück vollbringen, vierzehn Regionaltitel zu führen und zwei Landesregionen, die nicht viel miteinander gemein haben, journalistisch zu befriedigen.

Was die Konzernchefs und der neue «Superchefredaktor» als Chance verkaufen, betrachten regionale AkteurInnen aus Politik und Wirtschaft mit Argwohn. Mit gutem Grund. Die Konzernzentrale melkt das «St. Galler Tagblatt» und die «Neue Luzerner Zeitung» schon seit langem. Die Cashcows aus der Provinz liefern der Konzernzentrale seit Jahren erhebliche Millionenbeiträge ab – im Jahr 2014 steuerten sie etwa gut 13 Millionen Franken an den Konzerngewinn von 20 Millionen bei. Belohnt werden sie dafür nicht.

Das «Tagblatt» hat seit 2013 25 Redaktionsstellen gestrichen und den Blattumfang ausgedünnt, während Zürich die Märkte in Österreich und Deutschland im Auge hat. Die letzte nennenswerte Investition in die Ostschweizer Redaktion waren 2008 die Installation eines Newsrooms, der Aufbau einer Onlineredaktion und 2011 die halbherzige Lancierung einer Sonntagszeitung, die die Erwartungen journalistisch und auflagenmässig nicht erfüllt.

Den jüngsten Entscheid aus Zürich hat die breite Öffentlichkeit, wenn überhaupt, desinteressiert zur Kenntnis genommen. Zu sehr haben sich die LeserInnen, die übrig geblieben sind, an die hohlen Versprechungen der Zürcher Medienkonzerne gewöhnt. Als Tamedia die «Thurgauer Zeitung» übernahm, war die Aufregung gross. Die Konzernführung sedierte die KritikerInnen mit schönen Aussichten – und vertickte die Regionalzeitung bei der erstbesten Gelegenheit: 2011 tauschte Tamedia mit der NZZ-Gruppe die «Thurgauer Zeitung» gegen die Zürcher Landzeitungen ein.

Mitte der neunziger Jahre war das noch ganz anders. Als das freisinnige «St. Galler Tagblatt» damals die katholische «Ostschweiz» übernahm und einen Grossteil der wichtigen Lokalzeitungen des Kantons unter sein Dach holte, musste sich der damalige «Tagblatt»-Verleger Jürg Tobler an einem Podium in einem überfüllten Saal kritischen Fragen stellen. Die Stimmung war aufgeheizt. Ein Teil der von den «Ostschweiz»-Aktionären verkauften Redaktion wehrte sich in einer Sonderausgabe des St. Galler Kulturmagazins «Saiten» und übte offen Kritik. In den Regionen, die an ihren Lokalzeitungen hingen, war der Teufel los.

St. Gallen war damals im Empfinden der lokalen Regionen, was Zürich heute für die Ostschweiz ist: weit weg von ihrem Leben. Doch anders als heute die NZZ-Gruppenchefs reagierte das «Tagblatt» umsichtiger, integrierte ehemalige «Ostschweiz»-Leute in ihre Redaktion und berücksichtigte lokale Empfindlichkeiten. Aber selbst dann blieb St. Gallen für die lokalen Regionen ein ferner Planet.

Inzwischen sind die einst selbstständigen Kooperationspartner mit ihren lokalen Titeln von der NZZ-Gruppe weitgehend aufgekauft, der Thurgau ist medial integriert, das Monopol nahezu perfekt. Die Leute haben sich daran gewöhnt, aber ein wirklich heiss geliebtes Produkt war auch dieses Fusionsprodukt nie. Die LeserInnenbindung ist locker, die Auflage sinkt. Im disparaten Kanton St. Gallen ist es schon schwierig, eine St. Galler Identität zu behaupten. Von einer Ostschweizer Identität zu reden, ist ein Unding. Und jetzt sollen sich die Zentralschweiz und die Ostschweiz faktisch in einem Blatt wiedererkennen? Der neue «Superchefredaktor» ist um seine Aufgabe nicht zu beneiden.

Besorgte PolitikerInnen

Noch akzentuierter scheint die Entfremdung vom Regionalblatt «Neue Luzerner Zeitung» (NLZ) in der Zentralschweiz vorangeschritten. Zumindest wenn man mit PolitikerInnen aus der Region spricht. «Hier wirft der Entscheid keine grossen Wellen», sagt Hans Stutz. Der grüne Kantonsparlamentarier und Journalist weiss auch, warum: «Ich kenne keinen Politiker, ob rechts, aus der Mitte oder links, der gut über die NLZ redet. Alle beklagen die schlechte Qualität. Wir denken hier: Es kann nur besser werden.»

Die WOZ unterhielt sich vor zwei Jahren mit einem bürgerlichen Politiker aus Luzern. Damals überlegten sich Parteien, Kantons- und Stadtregierung einen Gesprächsboykott mit der Redaktion, weil sie sich nicht ernst genommen fühlten und die Qualität der Berichterstattung kritisierten. Dennoch macht sich Stutz Sorgen über den Konzentrationsprozess: Schafft es der neue «Superchefredaktor», die so unterschiedlichen Regionen bundespolitisch adäquat abzubilden und alle relevanten politischen Kräfte zu berücksichtigen?

In der Ostschweiz ist die Zufriedenheit mit dem solide, aber eher langweilig gemachten Regionalblatt grösser. Der im Frühjahr abtretende Chefredaktor Philipp Landmark lässt alle relevanten politischen Kräfte zu Wort kommen, das einst freisinnige Blatt hat sich unter ihm als Forumszeitung etabliert. Hanspeter Spörri, der ehemalige «Bund»-Chefredaktor, der heute in Herisau lebt, schätzt das Blatt als verlässlich, solide und berechenbar. «Genau das, was ich von einer Tageszeitung erwarte: Orientierung. Klar, über Qualitätsverbesserungen kann man immer streiten.» Für ihn ist der jüngste Entscheid nicht per se schlecht. «Ich sehe das durchaus als Chance. Gelingt es Hollenstein, die Kräfte zu bündeln, die regionalen Aspekte und Akteure angemessen zu berücksichtigen und die Regionalredaktionen einzubinden, kann das die beiden Zeitungen stärken.»

Andere Ostschweizer sind weniger zuversichtlich. Der St. Galler Regierungspräsident Beni Würth (CVP) sagt: «Dass die Regionalberichterstattung im gleichen Mass stattfindet, davon gehen wir aus. Mehr Sorgen bereitet uns, ob die regionale Optik bei bundespolitischen Themen die Rolle spielt, die sie bisher im ‹Tagblatt› spielt.» St. Gallen sei im Gegensatz zur Zentralschweiz ein Grenzkanton, allein daraus ergebe sich eine andere Perspektive auf viele bundespolitische Themen. So betrachteten die Tiefsteuerkantone der Innerschweiz den Finanzausgleich völlig anders als die Ostschweizer Kantone. Daran und an weiteres will die Regierung demnächst bei einem Treffen mit NZZ-Verantwortlichen erinnern.

Ziemlich skeptisch sind auch FDP-VertreterInnen. Etwa Sven Bradke, der stellvertretende Parteipräsident der FDP St. Gallen: «Wir bedauern ausserordentlich, dass wir keinen eigenen Chefredaktor als Ansprechpartner mehr haben, der die Verhältnisse und die Menschen kennt.» Er hoffe, dass der gemeinsame Mantel nicht einen journalistischen «Einheitsbrei» produziere, der die Unterschiede der Regionen verwische.

Nächste Sparrunde?

Skepsis ist angebracht. Gerade was die Regionalredaktionen betrifft. Es gibt Leute im Medienhaus St. Gallen, die davon ausgehen, dass weiter gespart und nicht in guten Regionaljournalismus investiert wird. Sobald die beiden Mantelredaktionen zusammengeführt seien, gerieten die Regionalredaktionen ins Visier. An der Anhörung der Redaktion waren kritische Fragen jedenfalls nicht gefragt. Ein Redaktor, der kritisch nachgefragt habe, sei von CEO Jürg Weber barsch heruntergeputzt worden, erzählt einer, der dabei war. Philipp Landmark habe eine emotionale Rede gehalten. Und «Superchefredaktor» Pascal Hollenstein habe vor seiner neuen Mannschaft vor allem seine Ostschweizer Herkunft betont.

Ob das reicht, damit sich genügend LeserInnen im neuen, in Zürich konstruierten Regionalblatt wiedererkennen? Veit Dengler und seine «McKinsey-Boys» haben bestimmt auch darauf eine Antwort, die sich kurzfristig rechnet.