Der Streit in der SP Zürich: Was treibt Mario Fehr?

Nr. 10 –

Führt der Zürcher Regierungsrat Mario Fehr eine persönliche Vendetta auf dem Rücken der Verletzlichsten? Das werfen ihm seine KritikerInnen innerhalb der Zürcher SP vor. Der Politiker ist abgetaucht.

Man ruft also an am Montag, und Frau Muntwyler sagt, der Sprecher von Mario Fehr, der Herr Grob, der sei gerade in einer Sitzung, aber am Nachmittag dann sicher nicht mehr. Aber am Nachmittag hat es dann dem Herrn Grob eben doch noch eine Sitzung reingeschneit, entschuldigt sich Frau Muntwyler, aber am nächsten Morgen zwischen 8 und 9 Uhr, da sei garantiert alles frei, versprochen. Und als man dann tatsächlich um 8.01 Uhr anruft, da ist der Herr Grob, «das glaub ich ja jetzt wirklich nicht, Herr Ryser» nun, da ist er schon wieder in einer Sitzung.

«Alles mein Fehler», entschuldigt sich die freundliche Frau Muntwyler, irgendwas habe sie da durcheinandergebracht, und ich solle doch am besten ein Mail schreiben. Das Mail hat man natürlich längst geschrieben, und sogar längst ein zweites und drittes, man könnte fast meinen, der liegt da unentdeckt seit Tagen tot in seinem Büro, so unerreichbar ist der Herr Grob, Kommunikationsbeauftragter der Zürcher Sicherheitsdirektion.

«Hat der nichts Besseres zu tun?»

Und das wiederum ist dann doch erstaunlich. Denn Mario Fehr ist unter JournalistInnen vor allem für eines bekannt: dass er ständig am Handy hängt. Kaum wird ein Artikel online gestellt, in dem sein Name auftaucht, da ist der Regierungsrat zwei Minuten später persönlich in der Leitung und verlangt, dass irgendwelche Kleinigkeiten korrigiert werden. Vergangene Woche zum Beispiel: Gegen 22.30 Uhr publiziert «Tagi Online» einen Artikel zum überraschenden Rücktritt des SP-Kantonalpräsidenten Daniel Frei. Eine Viertelstunde später ruft Fehr an. Ferien in Schottland zwar. Trotzdem: 22.45 Uhr: Richtigstellung! Einmal, im Juli 2015, schickte er eine Medienanwältin los, als der «Tages-Anzeiger» korrekterweise schrieb, Fehr habe Trojanersoftware gekauft – da musste dann nachträglich angefügt werden, dass diese Software nur zum Zweck der Strafverfolgung zum Einsatz komme, also alles legal und so weiter. Der «Tagi» hatte nie etwas anderes behauptet.

René Zeller, heute stellvertretender Chefredaktor der «Weltwoche», sagt über seine Zeit bei der NZZ: «Wenn Mario Fehr eine Berichterstattung missfiel, intervenierte er direkt. Er konnte sehr missmutig sein, und er gelangte mit einer Erwartungshaltung an die Redaktion, die ich als unüblich empfand.»

«Ich fragte mich schon vor Jahren: Hat der Regierungsrat nichts Besseres zu tun, als mich wegen eines kritischen Facebook-Posts mit mehreren längeren Anrufen zu belagern?» Das sagt der grüne Politiker Luca Maggi über Mario Fehr. «Einmal sagte er: Ich solle bitte unter den Post schreiben, wir hätten das nun aus der Welt geschafft und ich hätte meine Meinung geändert.» Oder SP-Mitglied Tom Cassee: «Kürzlich sagte Mario Fehr zu mir: Er könne beweisen – als hätte ich eine Straftat begangen –, dass ich einen ‹Grüsel-Artikel› auf Facebook geliked habe. Gemeint war ein WOZ-Artikel, der ihn wegen seiner Asylpolitik kritisierte. Ich fragte mich: Surft er während der Arbeit dauernd auf Facebook und schaut, wo was über ihn geschrieben und geliked wird?» Und kürzlich erhielt das SP-Generalsekretariat in Bern – so bestätigen es zwei Quellen – einen Anruf von Fehr. Er habe auf Facebook gesehen, dass ihn SP-Kampagnenleiter Marco Kistler wegen seiner Asylpolitik als «Schande für die Sozialdemokratie» bezeichnet habe. Die Partei müsse Kistler sofort dazu bringen, den Post zu löschen. Man habe abgewinkt, heisst es im Generalsekretariat, wolle aber die «sensible Angelegenheit Fehr» nicht weiter kommentieren. Der Regierungsrat habe getobt, und das wiederum kann nicht erstaunen, sagte doch Nationalrätin Jacqueline Badran vor einer Woche zur WOZ: «Mario Fehr reagiert auch auf die kleinste inhaltliche Kritik persönlich extrem beleidigt und verweigert sich jeglicher Erklärung. So kann man in der Tat keinen Diskurs führen.»

Möchtegern-Musterknabe

Derselbe Medienkontrollfreak Mario Fehr also, jetzt, wo es Kritik hagelt: abgetaucht. Nach acht Tagen Aufdringlichkeit, Telefonaten mit Frau Muntwyler und einem einseitigen Mailverkehr mit Urs Grobs Mailbox, da geschah ein kleines Wunder, quasi Nachricht aus den Tiefen des Weltalls: Urs Grob antwortete! Seine Antwort auf die Mails der WOZ, die Fragenkataloge und Ausführungen, warum es doch wichtig sei, dass Fehr seine Sicht der Dinge darlegen könne, nun, diese Antwort war jetzt längentechnisch nicht gerade «Krieg und Frieden». Eher ein Tweet. «Regierungspräsident Fehr nimmt keine Stellung zu Parteiinterna der SP. Gegenüber niemandem, nicht nur gegenüber Ihnen nicht. Freundliche Grüsse.»

Ein Journalist, der durchaus mit Fehr einen Diskurs führt und, wie er selbst sagt, mehrmals wöchentlich von ihm angerufen wird, ist der «Tages-Anzeiger»-Redaktor Ruedi Baumann. Die beiden kennen sich seit 25 Jahren. Damals bezeichnete Baumann Fehr im «Tages-Anzeiger» als «SVP Adliswil» – morgens um sieben klingelte das Telefon, und Fehr verlangte eine Korrektur. Und obwohl sie privat befreundet sind, war es Baumann, auf den Fehr 2015 wegen des Staatstrojaners eine Medienanwältin hetzte.

Baumann sagt: «Fehr ist besessen von seinem Amt, was ihn dossierfest macht. Aber er kann eine Nervensäge sein und endlos diskutieren, statt andere Meinungen einfach zu akzeptieren.» Fehr wolle trotz allem geliebt werden und funktioniere als Politiker wie ein Fussballtrainer: «Er will gewinnen und kämpft unbändig für Mehrheiten, und deshalb kalkuliert er ein, wenn Juso, Grüne und AL ihn kritisieren. Denn für eine Mehrheit im Kanton Zürich braucht er den Support der Rechten.»

Baumann zeichnet im Gespräch das Bild eines Politikers, das andere ExponentInnen der SP teilen: dass er, sollte er ohne die SP im Rücken zu den nächsten Wahlen antreten, trotzdem davon ausgehe, ein besseres Wahlresultat als SP-Regierungsrätin Jacqueline Fehr zu erzielen, weil diese mit linken Positionen und in einem komplizierten Departement – der Justizdirektion – bei einer Volkswahl sicherlich schlechter abschneiden werde als er. Und deshalb, sagt Baumann, «muss Mario Fehr in erster Linie nach rechts schielen, wenn er sich der Wiederwahl sicher sein will».

Das Abtauchen, wenn es Kritik hagelt, das war im Übrigen bereits einmal in den Medien ein Thema, in einem Porträt des «Tages-Anzeigers» von 2015. Es erschien als Teil einer Serie über alle Zürcher RegierungsratskandidatInnen. Es trug den Titel «Der Schönwetterpolitiker». Auch damals klingelte am Tag der Publikation Ruedi Baumanns Handy. Mario Fehr empfand den Titel der Story als grosse Beleidigung. «Am meisten störte ihn, dass das Porträt seines Rivalen Thomas Heiniger den Titel ‹Der Musterknabe› trug.»

«Sein Pfand sind die Verletzlichsten»

Seit zwei Wochen nun, wegen erneuter Verschärfungen im Umgang mit abgewiesenen AsylbewerberInnen, knallt es zwischen Mario Fehr und seiner Partei, als gäbe es keinerlei Gemeinsamkeiten mehr. Daniel Frei war deswegen als Präsident zurückgetreten. Frei hatte in einem Mail davor gewarnt, eine öffentliche Kritik der Geschäftsleitung würde dazu führen, dass Mario Fehr versprochene Lockerungen zurücknehmen würde. Freis Mail wirft folgende Frage auf: Was ist das für ein Regierungsrat, der anscheinend aus Trotz seine Politik wegen inhaltlicher Kritik aus den eigenen Reihen ändert?

«Sein Pfand sind die Verletzlichsten», sagt Tom Cassee, Mitverantwortlicher für die Kampagnen der SP Schweiz und Aktivist im Asylbereich. «Das hat er bei einer kürzlich erfolgten Aussprache angedeutet, und mit seiner folgenden Handlung hat er es klargemacht: Wenn ihr mich kritisiert, dann erschwert ihr das Leben dieser Leute.» SP-Nationalrätin Mattea Meyer hatte damals zusammen mit RechtsberaterInnen eine Notunterkunft in Uster besucht und danach auf Facebook den Umgang der Zürcher Regierung mit den abgewiesenen AsylbewerberInnen kritisiert (siehe WOZ Nr. 8/2017 ). Umgehend wurde RechtsberaterInnen der Zugang zu den Notunterkünften verweigert.

«Mario Fehr verfolgt eine Logik des Gegeneinanderausspielens», sagt Nationalrätin Mattea Meyer. «Als ihn damals die Juso wegen des Kaufs des Staatstrojaners anzeigte, verweigerte er die Teilnahme an Fraktionssitzungen und sistierte die Parteimitgliedschaft. Damit nahm er die SP in Geiselhaft – obwohl diese sich ja hinter ihn gestellt hatte. Und jetzt hier: Wenn man seine Asylpolitik kritisiert, verschärft er die Methoden. Ich muss deshalb befürchten, dass Mario Fehr mein politisches Engagement als Kränkung empfinden könnte – mit negativen Folgen für die Menschen, für die ich mich einsetze.»

Koni Löpfe, der ehemalige Präsident der Stadtzürcher SP und ein Mann vom rechten Parteiflügel, denkt in der Wochenzeitung «PS» über eine Trennung zwischen der SP und ihrem Regierungsrat nach: «Hätte niemand in der SP Fehrs Massnahmen öffentlich kritisiert, hätte ich an der Gesundheit der Partei gezweifelt. Mario Fehr wusste selbstverständlich, dass ein Teil (hier wohl ein grosser) der Partei mit diesen Massnahmen alles andere als einverstanden sein wird. Es gibt darauf, wenn einem die Partei etwas bedeutet, nur eine vernünftige Reaktion: Den Dialog und das Streitgespräch.» Fehr aber fehle die Bodenhaftung. Seine Stärke sei, dass er sich eine Position erarbeitet habe, aus der er auch ohne Parteiunterstützung gute Wahlchancen besitze. Deswegen befänden sich die SozialdemokratInnen aber nicht in einer Falle, schreibt Löpfe: Sie würden mit einer echten Kandidatur, für die man einstehe, womöglich mehr gewinnen als mit einer erzwungenen Einigkeit.