CIA-Dokumente: Die alternativen Fakten von Wikileaks

Nr. 11 –

Die geleakten Daten des US-Geheimdiensts zeigen zwar problematische Entwicklungen bei Cyberwaffen auf. Doch dem Wikileaks-Gründer Julian Assange geht es um etwas anderes.

Mit dramatischen Ankündigungen wollte Julian Assange, der Kopf von Wikileaks, wohl sicherstellen, dass seine neuste Enthüllung endlich einmal wieder richtig einschlägt. In der Tat ist der «Vault 7» genannte Leak von vergangener Woche der grösste Verlust von Daten, den der US-Auslandsgeheimdienst CIA jemals erdulden musste: fast 9000 Dokumente und Dateien aus den Jahren 2013 bis 2016; darunter einige Hinweise, wie die CIA internetbasierte Geräte zur Spionage nutzen oder Nachrichtenverschlüsselungen von Kommunikationsdiensten wie Whatsapp umgehen kann.

Und das soll erst der Anfang gewesen sein, viele weitere geheime Dokumente würden alsbald veröffentlicht. Wikileaks-Chef Julian Assange liess sich in der eigenen Medienmitteilung mit der Aussage zitieren, er wolle damit auf «das extreme Ausbreitungsrisiko» von Cyberwaffen aufmerksam machen.

Kurzer Hype

Assanges Wunsch wurde weitgehend erfüllt: Die Medien waren zunächst voll mit erstaunlich gleichlautenden Berichten, die offensichtlich grösstenteils auf der Wikileaks-Medienmitteilung beruhten – oder auf der Einschätzung von ExpertInnen, die ebenfalls innerhalb weniger Stunden nicht Tausende Dokumente analysieren konnten. Dabei entstand der Eindruck, die CIA sei dabei, die Massenüberwachungstechniken des Partnergeheimdiensts NSA zu übertrumpfen und etwa beliebige Smart-TV-Geräte in ein Überwachungsnetzwerk zu verwandeln.

Nach dem ersten Hype entpuppt sich der neueste Wiki-Leak allerdings als ziemlich substanzlos. Die Spionageprogramme müssen immer noch individuell und mit einigem Aufwand auf die einzelnen Geräte übertragen werden. Im Fall des viel zitierten Smart-TVs handelt es sich um ein bestimmtes Modell von Samsung, an dem zuerst einmal jemand mit einem USB-Stick herumhantieren müsste. Der Vorteil gegenüber dem klassischen Verwanzen besteht nur darin, dass Mikrofon, Kamera und Übertragungsleitung schon installiert sind.

Dass die Möglichkeiten der Überwachung und der Einsatz von Cyberwaffen zunehmen, ist durchaus ein Problem. Neu ist das aber nicht. Wenn die Dokumente wirklich wie versprochen eine Menge geheimer Informationen wie Programmcodes enthielten, dann hätte Assange mit der Veröffentlichung zur Ausbreitung von genau jenen Cyberwaffen beigetragen, die er zu bekämpfen vorgibt.

Doch was will Assange dann? Auch wenn seine Organisation, die er von seinem Asyl in der ecuadorianischen Botschaft in London aus wie ein einsamer Alleinherrscher führt, ab und an noch relevante Enthüllungen publiziert: Von den ursprünglichen Zielen der Demokratisierung von Information und vor allem der Offenlegung von Missständen hat sich Wikileaks weitgehend entfernt. 2010 enthüllte Wikileaks durch die Veröffentlichung Tausender geheimer US-Dokumente über die Kriege in Afghanistan und im Irak völkerrechtliche Verstösse wie Folterpraktiken oder Angriffe auf ZivilistInnen. Heute trägt Wikileaks im Gegenteil zur neurechten Kommunikationsstrategie der Verwirrungsstiftung bei – durch die Produktion «alternativer Fakten».

Trumps Dilemma

Die Medienmitteilung zum neusten Leak ist nämlich voller tendenziöser Interpretationen, die durch die Informationen in den Dokumenten kaum gestützt werden. Besonders beliebt in der neurechten Szene ist die Behauptung, eine Abteilung der CIA sammle «Malware, die in anderen Staaten inklusive der Russischen Föderation produziert wurde»; damit könne die CIA eigene Cyberattacken den Produzenten der ursprünglichen Malware anlasten. Die vorhandenen Informationen lassen aber nur den Schluss zu, dass die CIA bestehende Programmcodes in die eigene Schadsoftware integriert. Der Geheimdienst klaut die Ideen anderer Hacker, nicht deren Identität.

Dank der expliziten Nennung Russlands wird die Intention von Wikileaks überdeutlich: sich vom Vorwurf zu befreien, im Dienst Moskaus zu stehen. Denn im Sommer veröffentlichte Wikileaks Tausende E-Mails von Hillary Clintons Wahlkampfmanager; drei US-Geheimdienste sind sich sicher, dass die Daten von Hackern im Umfeld der russischen Regierung stammen. Da die Publikation 29 Minuten nach einem Videoleak erfolgte, in dem sich Clintons Gegenkandidat Donald Trump mit explizitem Sexismus demontierte, liegt die Annahme nahe, dass Russland und Wikileaks gemeinsam Trump aus der Patsche helfen wollten.

Präsident Trump war der CIA-Leak übrigens nicht einen einzigen Tweet wert. Nur sein Sprecher verurteilte die Enthüllung auf Nachfrage von JournalistInnen. Trump ist wohl in einem Dilemma: Aus den Geheimdiensten schlägt ihm immer noch starker Widerstand entgegen – doch (anders als etwa die Umwelt- und Bildungsbehörden, die er kaputtsparen will) wird er sie noch für seine politischen Ziele benötigen. Er wird das Geheimdienstsystem unter seine Kontrolle bringen müssen, anstatt es zu zerstören.

Die umfassende «Dekonstruktion des Verwaltungsstaats» ist hingegen erklärtermassen das Ziel von Trumps rechtslibertärem Chefberater Stephen Bannon. Julian Assange offenbarte vor einigen Jahren in einem Essay eine libertäre Grundüberzeugung, die sich etwa durch den Aufruf, die staatliche «Verschwörung» zu bekämpfen, durchaus mit Bannons radikaler Weltsicht überschneidet.