Private Videoüberwachung: In Bern spielt ein Luxushotel Polizei

Nr. 36 –

Ein Gerichtsprozess bringt es ans Tageslicht: Das Hotel Schweizerhof in Bern überwacht mit seinen Kameras grosse Teile des Bahnhofplatzes und stellt die Daten Polizei und Staatsanwaltschaft zur Verfügung.

Führend bei der Überwachung des Bahnhofplatzes: Kamera am Hotel Schweizerhof. Foto: Florian Bachmann

Ein 48-jähriger Mann stand am Montag wegen Landfriedensbruch vor Gericht, weil er vor über drei Jahren an einer unbewilligten Demonstration teilgenommen hatte. Ein paar Hundert Menschen zogen damals unter dem Slogan «Grenzen töten» durch Berns Innenstadt und kritisierten damit die unmenschliche Flüchtlingspolitik Europas. Die DemonstrantInnen wurden dabei von den Videokameras des Berner Hotels Schweizerhof erfasst. Die Polizei wertete diese Aufnahmen aus.

Vor Gericht präsentierte die Staatsanwaltschaft vier Videosequenzen, auf denen der Mann zu sehen war. Ein Antrag der Verteidigerin Annina Mullis, die Beweismittel nicht zuzulassen, war im Vorfeld des Prozesses von der Richterin abgelehnt worden. Mullis hatte argumentiert, dass die Videosequenzen auf rechtswidrige Art als Beweise erhoben worden seien.

Wie aus den Videobildern hervorgeht, überwachen die an der Fassade des Hotels Schweizerhof angebrachten Kameras einen grossen Teil des Berner Bahnhofplatzes und filmen dadurch täglich Tausende PassantInnen und vorbeifahrende Autos. Aus Datenschutzgründen ist das mehr als fragwürdig.

Ohne Rechtsgrundlage

Beim Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) will man sich zum konkreten Fall nicht äussern. Man kommentiere grundsätzlich keine Einzelfälle, lässt Silvia Böhlen Chiofalo wissen, die Sprecherin des EDÖB. In der Regel sei eine grossflächige Überwachung des öffentlichen Raums durch Private nicht verhältnismässig. Auch Sicherheitsinteressen würden daran nichts ändern, da die Wahrung von Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Raum nicht Sache von Privatpersonen, sondern Aufgabe der Polizei sei.

Die Videoüberwachungskameras des Hotels Schweizerhof dürften damit klar gegen das Prinzip der Rechtmässigkeit und Verhältnismässigkeit verstossen, da sie zum grossen Teil den öffentlichen Raum filmen. Zudem fehlen die Hinweisschilder, die PassantInnen darauf aufmerksam machen müssen, dass sie einen videoüberwachten Bereich betreten.

Das Hotel Schweizerhof sieht das allerdings anders. Die aufgezeichneten Bilder würden vonseiten des Hotels und der Betreibergesellschaft nicht ausgewertet, sondern der Polizei auf Verlangen bei bestehenden Verdachtsmomenten zugänglich gemacht, teilt man der WOZ mit. Man sehe die Privatsphäre von Gästen und PassantInnen jederzeit gewährleistet.

Einsatzleiter als Zeuge

Im Prozess blieben bezüglich der fragwürdigen Videosequenzen viele Fragen offen. Etwa, wie diese überhaupt vom Hotel Schweizerhof in die Hände der Polizei gelangt sind. Der als Zeuge geladene Einsatzleiter konnte auf diese Frage keine Antwort geben. Auch die Frage, ob er das Videomaterial selber gesichtet habe, konnte oder wollte er nicht beantworten.

Der Angeklagte erhielt den Strafbefehl erst im Juni 2017, also mehr als zwei Jahre nach der Demonstration. Dass er völlig friedlich an der Demonstration teilgenommen hatte, wurde von niemandem bestritten. Die Medienstelle der Kantonspolizei Bern liess im Anschluss an die Kundgebung gegenüber der Zeitung «Der Bund» verlauten, die Demo sei bis auf «einige Sprayereien» ohne Zwischenfälle verlaufen. Auch zu Verhaftungen kam es nicht.

Der Beschuldigte befand sich zudem im hinteren Teil der Demonstration, wie auch der Polizeizeuge bestätigte. Er war weder vermummt, noch hat er sich in irgendeiner Form an den Sprayereien beteiligt. Dennoch hielt die Richterin den Tatbestand des Landfriedensbruchs für erfüllt. Nach dem Willen der Gesetzgeber ist das kein harmloses Delikt: So soll es nach Auffassung einer Ständeratsmehrheit künftig zwingend mit einer Gefängnisstrafe geahndet werden (siehe WOZ Nr. 22/2018 ). Ganz wohl schien es der Richterin mit ihrem Verdikt aber nicht zu sein. Sie sah von einer Strafe ab. Die Verfahrenskosten hat dennoch der gefilmte Demonstrant zu tragen.

Nachtrag vom 27. September 2018 : Beendete Überwachung

Das Berner Hotel Schweizerhof hat seine Überwachungskameras abgedeckt. Diese filmten einen Grossteil des Bahnhofplatzes und damit öffentlichen Grund. Aufnahmen wurden der Polizei weitergereicht, wie die WOZ enthüllte. Ob man die Kameras nun auf Anordnung einer Behörde verdeckt hat, wollte das Hotel gegenüber dem «Bund» nicht kommentieren.

Die Überwachungsmassnahme hat auch ein politisches Nachspiel. So wollen linke Stadträtinnen in einer Interpellation von der Stadtberner Regierung wissen, wie diese auf die illegale Überwachung reagiere. Ein weiterer Vorstoss ist im Grossen Rat des Kantons geplant.

Offen bleibt die Frage, wie mit privater Überwachung in Zukunft umgegangen wird. Im konkreten Fall sind den städtischen und kantonalen Datenschutzbeauftragten faktisch die Hände gebunden – weil die Überwachung von öffentlichem Raum durch Private im eidgenössischen Datenschutzgesetz geregelt und grundsätzlich verboten wird. Ein Eingreifen des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten ist aber auch nicht vorgesehen. Die Plattform humanrights.ch sieht deshalb dringenden politischen Handlungsbedarf: Es gelte, Gesetzgebungsprojekte mit Schutz- und Durchsetzungsmechanismen voranzutreiben, die die Rechte der Betroffenen stärkten. Bis dahin bleibt nur der teure und zeitraubende zivilrechtliche Klageweg.

Martin Germann

Nachtrag vom 18. April 2019 : Fragwürdige Beweismittel

Dürfen illegal gefilmte Szenen vor Gericht verwendet werden? Und wo beginnt Landfriedensbruch? Das Berner Obergericht hat letzte Woche zwei rechtsstaatlich heikle Fragen verhandelt.

Vor Gericht stand ein 48-jähriger Mann, weil er im Frühling 2015 an einer unbewilligten Demo mit dem Slogan «Grenzen töten» teilgenommen hatte. Sie sei aber bis auf «einige Sprayereien» ohne Zwischenfälle verlaufen, sagte die Kantonspolizei Bern damals gegenüber dem «Bund».

Doch zwei Jahre später erhielt der Angeklagte einen Strafbefehl wegen Landfriedensbruch. Das Pech des Mannes: Er war der Polizei bekannt und wurde aufgrund von Videoaufnahmen identifiziert. Überwachungskameras des Hotels Schweizerhof hatten über Jahre hinweg grosse Teile des Berner Bahnhofplatzes gefilmt – auch während besagter Demonstration. Auf den Videos soll zu erkennen sein, wie der Angeklagte, mit einem Mann diskutierend und Flyer in der Hand, am Ende des Umzugs mitlaufe.

Im September 2018 wurde der Beschuldigte erstinstanzlich verurteilt. Ganz wohl schien es der Richterin mit dem Entscheid aber nicht zu sein, denn sie sah von einer Strafe ab. Dennoch ging der Beschuldigte in Berufung. Denn fest steht: Die Kameras des «Schweizerhofs» filmten illegal – das Luxushotel musste sie bereits abmontieren lassen. Obwohl die Beweismittel demnach rechtswidrig erhoben wurden, dürfen sie aber im Prozess verwendet werden – das hat nun auch das Obergericht entschieden, das damit das erstinstanzliche Urteil stützt. Die Anwältin des Beschuldigten, Annina Mullis, kritisiert den Entscheid: «Es geht nicht, dass Private ohne rechtliche Grundlage polizeiliche Aufgaben übernehmen.» Zudem lege das Urteil den Artikel zum Landfriedensbruch extrem weit aus. Gerade mit Blick auf das neue Polizeigesetz – das eine Kostenüberwälzung von Polizeieinsätzen auf DemoteilnehmerInnen vorsieht – sei das höchst problematisch.

Merièm Strupler