Personenfreizügigkeit II: Gar nicht oder extrem

Nr. 36 –

Fühlen sich junge Menschen in der Schweiz durch Arbeitsuchende aus den neuen EU-Ländern bedroht – und gehen sie überhaupt abstimmen?

Seine Internetdomain heisst «Nonlimit» – keine Grenze. Dabei will Lukas Reimann nichts von offenen Grenzen wissen. Das Herz des Kantonsrates aus der Ostschweiz schlägt rechts. «Eigentlich darf ich nicht mit der WOZ reden», sagt der 22-jährige Jung-SVPler und lacht. Sein aktuelles Projekt heisst Jugend gegen Ost-Zuwanderung. Bereits über tausend Jugendliche aus der ganzen Schweiz haben sich laut Reimann dem Komitee angeschlossen. Sie gehören der Jungen SVP, den Schweizer Demokraten (SD), der Eidgenössischen Demokratischen Union (EDU) oder der Katholischen Volkspartei (KVP) an, zu einem kleinen Teil auch der Jungen FDP. Initiiert wurde die Abstimmungskampagne von der rechten Jugendbewegung Young4Fun, deren Kopräsident wiederum Lukas Reimann ist. Auch Rechtsextreme fühlen sich wohl bei Young4Fun: Einer davon ist der ehemalige SVP-Jungpolitiker Pascal Trost aus dem Aargau, der an der Störaktion vom 1. August auf der Rütliwiese beteiligt war. Vergangenen Sonntag wurde er deswegen aus der Partei und aus Young4Fun ausgeschlossen.

Von Fremdenfeindlichkeit will Lukas Reimann nichts wissen, auch nicht gegenüber OsteuropäerInnen: «Wissen Sie, ich habe überhaupt nichts gegen die. Ich war schon in verschiedenen Ländern Osteuropas, zum Beispiel in Estland, wo ich 2003 die EU-GegnerInnen bei ihrer Nein-Kampagne zur EU-Abstimmung unterstützt habe.»

Gerade junge Schweizer seien besonders von Arbeitslosigkeit betroffen. «Grosskonzerne schreiben dagegen Rekordzahlen, und die Bosse beziehen Millionensaläre. Trotzdem steigt die Arbeitslosigkeit aufgrund der Zuwanderung ausländischer Arbeiter», schreibt Jugend gegen Ost-Zuwanderung in einer Medienmitteilung. Wo aber bleibt der Protest gegen die Grosskonzerne und Abzocker? Reimann winkt ab: «Da müsste man schon was machen, aber ich wüsste nicht, wer das tun könnte. Vielleicht das Parlament.» Reimann und sein Komitee wollen die Schweizer ArbeitnehmerInnen schützen. «Wir müssen bestimmen können, wer hier arbeiten darf», sagt er. Vom Instrument der flankierenden Massnahmen hält Reimann nichts: «Ihr Effekt ist zu klein und dient nur zur Aufdeckung illegaler Handlungen. Das grössere Problem sind die ganz legalen Bereiche, in denen keine Kontrolle stattfindet, etwa bei den Grenzgängern und Selbständigerwerbenden.» Reimann ist vehement gegen den freien Personenverkehr und deshalb auch gegen die bilateralen Verträge. Ein Nein am 25. September würde seiner Meinung nach zu neuen, für die Schweiz besseren Verträgen führen. «Es wäre uhuere luschtig, die Reaktion der EU auf ein Nein zu beobachten.» Bis zur Abstimmung will der Jungpolitiker aus dem Kanton St. Gallen fleissig von Podium zu Podium reisen und an Schulen vor der erweiterten Personenfreizügigkeit warnen.

Nein zur Steinzeit

Auch der Berner Philip Gasser hat sich mit Haut und Haar der kommenden Abstimmung verschrieben. Der Jung-FDPler und Präsident von Young European Swiss (Yes) wirbt mit dem Komitee erweiterung.ch für ein Ja am 25. September. 10000 Jugendliche von links bis rechts haben sich im Komitee zusammengeschlossen. Es vertritt die Organisationen Yes, Junge FDP, Junge Grüne, Junge CVP, Jungliberale, den Dachverband der Schweizer Jugendparlamente (DSJ), zehn Kantonalsektionen der JungsozialistInnen (Juso) und die Secondos. Erweiterung.ch wird zu einem Grossteil von den im Komitee vertretenen Parteien und Organisationen finanziert. Ein kleiner Zustupf kommt laut Gasser vom Wirtschaftsdachverband Economiesuisse.

Die Komiteemitglieder sind zwar alle für die Personenfreizügigkeit, doch begründen sie ihre Position unterschiedlich. Für die EU-BefürworterInnen unter ihnen sind die bilateralen Verträge – zu denen auch die erweiterte Personenfreizügigkeit gehört – ein weiterer Schritt in Richtung EU. Für die EU-GegnerInnen hingegen stellen sie das Gegenmodell zum EU-Beitritt dar.

Wie schafft es diese heterogene Allianz, einen gemeinsamen Abstimmungskampf zu führen? «Es ist erstaunlich, aber wir haben an nur einem Wochenende sowohl das Argumentarium verfasst als auch die Kampagne aufgegleist», sagt Gasser, ein Befürworter des EU-Beitritts.

«Nachdem wir während des Sommers 100000 Flyer in Badeanstalten, an Openairs und an der Street Parade verteilt haben, gehen wir nun in die Städte und wenden uns an die PendlerInnen», sagt Gasser. «Die heisse Phase der Kampagne hat nun begonnen.» Am kommenden Wochenende finden diverse Partys – «Vote-discos» – statt. Der Eintritt ist gratis für alle, die ihr Abstimmungscouvert mitnehmen oder ihren Ausländerausweis. Bundesrat Moritz Leuenberger wird an der Zürcher Veranstaltung auf dem Maag-Areal teilnehmen.

Doch interessiert die kommende Abstimmung junge Menschen? «Sie hat sicher nicht erste Priorität», sagt Gasser, «aber ihre Tragweite wurde wahrgenommen.» Sehen die BefürworterInnen keinen Haken bei der Vorlage? «Natürlich gibt es den», sagt Gasser. «Ein Ja wird auch negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben, zumindest anfänglich in der Übergangszeit.» Doch weit dramatischer seien die Folgen bei einem Nein. «Höchstwahrscheinlich würde die EU die bilateralen Verträge aufkündigen. Das würde die politische und wirtschaftliche Isolation bedeuten. Wir würden in die europapolitische Steinzeit zurückfallen.»

«Es sind nicht die ausländischen Arbeitnehmer, von denen ich mich bedroht fühle», sagt Lukas Meier. Der 21-jährige Informatikassistent befürchtet, dass die Saläre unter Druck geraten könnten. Noch hat der Zürcher nicht entschieden, was er am 25. September stimmen will. Beide Seiten hätten Argumente, die einleuchten.

Annina Urben ist 24 Jahre alt und arbeitslos. Die gelernte Detailhandelsfrau aus Zürich hat bis Ende August Handys verkauft, «zu wenig, hat mein Chef gemeint.» Sie habe im Moment anderes im Kopf als die Personenfreizügigkeit. Obwohl sich Urben noch nicht mit der Abstimmungsvorlage befasst hat, tendiert sie zu einem Ja an der Urne. «Gleichzeitig muss ich zugeben, dass mich das Thema gerade als Arbeitslose verunsichert.» Aber eigentlich müsse die Schweiz die Grenzen schon öffnen, man wolle ja vielleicht auch mal in einem EU-Land arbeiten. Auch darum geht es bei der kommenden Abstimmung.

Verwischte Grenzen

Michelle Beyeler, Politologin an der Universität Zürich, schätzt, dass ein relativ grosser Anteil der Jungen aus mangelndem Interesse gar nicht stimmen gehe. «Aber die politisch Aktiven sind tendenziell in extremen Lagern zuhause, also sehr links oder sehr rechts.» Interessant findet die Politologin die Verwischung der Grenzen: «Links wird ja mit Öffnung assoziiert, mit Integration. Rechts hingegen mit Protektionismus.» Doch bei Themen wie der Personenfreizügigkeit falle dieses Links-rechts-Muster weg. «Es gibt auch den linken Protektionismus der Gewerkschaften», sagt Beyeler. Bei der Abstimmung würden die Brüche mitten durch die Parteien verlaufen. «Und es wird deutliche Abstimmungsunterschiede zwischen der Stadt- und Landbevölkerung geben».

Patrizia Baumgartner lebt auf dem Land, dort, wo die Nein-Plakate überwiegen. Die 20-jährige Aargauerin wird abstimmen gehen: «Ich habe die Unterlagen eben erhalten und mich noch nicht eingehend damit befasst. Aber ich werde ziemlich sicher Ja stimmen. Alleine schon die wirtschaftlichen Gründe sprechen dafür.» Eine Bedrohung durch ausländische Arbeitsuchende sieht sie nicht.

Die globalisierungskritische Organisation Attac, in der sich viele Junge engagieren, hat Stimmenthaltung beschlossen. Generalsekretärin Florence Proton sagt warum: «Die Basis war sich nicht einig.» Das Thema sei immens wichtig und würde auch Mitte September an der Attac-Sommeruniversität zur Sprache kommen. Wie kam die Pattsituation zustande? «Einerseits sind wir dafür, dass sich die Menschen frei bewegen können. Das ist ein Menschenrecht», sagt Proton. Andrerseits gehe es bei der Personenfreizügigkeit hauptsächlich darum, dass die Unternehmen billige Arbeitskräfte importieren könnten, wenn sie sie gerade brauchen. «Wir sind dagegen, dass Menschen zur Ware werden.» ◊