Swissmetal: Das Tausendstel in den Fingerspitzen

Nr. 6 –

Seit zwei Wochen streikt die Belegschaft in Reconvilier - und mit ihr kämpft die ganze Region. Der Druck auf die Firmenleitung steigt.

Die Wildsau auf dem Bratspiess riecht köstlich - draussen vor der «Boillat», der von den ArbeiterInnen besetzten Swissmetal-Fabrik im bernischen Reconvilier. Der Metzger hat es ihnen aus Solidarität zum Einstandspreis verkauft. Zusammen mit Saucissons, Wurstsalat und Suppe wird es am Abend in der Fabrik zu einem kleinen Aufpreis serviert. Der Gewinn fliesst in den Streikfonds. Denn nicht alle, die seit zwei Wochen die Arbeit niedergelegt haben, sind Gewerkschaftsmitglieder und damit unterstützungsberechtigt. Die Bäckereien aus der Region liefern Brot - gratis. Frauen aus dem Dorf bringen Kuchen vorbei, zwei Musiker veranstalten am Montagabend ein Gratiskonzert. Ehefrauen, Kinder, SymphatisantInnen und GewerkschafterInnen sitzen gemütlich beim Znacht in der Fabrik, die Securitas bewacht den Eingang. «Bonsoir, Madame, bonsoir, Monsieur», grüssen die WächterInnen freundlich. Sie wurden von der Firmenleitung eingesetzt, damit nichts wegkommt. Den Streikenden ist das recht. Auch sie wollen, dass alles dort bleibt, wo es jetzt ist. Alles - das sind tonnenweise Metallteile in verschiedenen Grössen und Längen, viele davon bereit zur Auslieferung. Ihr Wert beträgt Millionen von Franken. 300 000 Franken kostet der Streik die Firmenleitung täglich. Die KundInnen sitzen langsam auf dem Trockenen.

Eigentlich ist das Betreten des Geländes Hausfriedensbruch, doch die Polizei greift nicht ein, wer will sich schon mit einer ganzen Region anlegen? Auch die Kirche solidarisiert sich mit den ArbeiterInnen: Letzten Sonntag fand ein ökumenischer Gottesdienst in der «Boillat» statt. Die Halle war mit fünfhundert Anwesenden brechend voll. So viele Interessierte haben die Priester schon lange nicht mehr gesehen. «Hier geht es nicht nur um einen Streik», sagt Marc Balz, der reformierte Pfarrer. Er hat die Swissmetal-Belegschaft schon beim ersten Protest vor zwei Jahren unterstützt. «Hier geht es um den Aufstand gegen das Kapital.» Die Belegschaft habe die diktatorische und respektlose Art des Firmenchefs Martin Hellweg nicht mehr länger ertragen. «Ausserdem versteht niemand Hellwegs Strategie, er hat sie schliesslich auch nie wirklich kundgetan.» Mittlerweile haben die wichtigsten Kirchen des Kantons Bern - einschliesslich der jüdischen Gemeinde - eine Solidaritätserklärung an Swissmetal geschickt, in der sie sich unter anderem als Vermittler zwischen Belegschaft und der Firmenleitung in Dornach anbieten.

An Firmenchef Martin Hellweg - im Dorf wird gemunkelt, er soll Scientologe sein - lässt niemand ein gutes Haar. Ein Feindbild, das täglich Bestätigung erfährt: Am vergangenen Montag sollte Hellweg eigentlich nach Reconvilier kommen und mit der Belegschaft sprechen. Doch die Firmenleitung bekam kalte Füsse und verlegte das Treffen nach Biel. Der freisinnige Gemeindepräsident von Reconvilier, Flavio Torti, steht im neongrünen Faserpelz vor der Fabrik und ärgert sich. Er hatte auf Wunsch der Swissmetal-Führung Kantonspolizisten zum Schutz der Diskussionsteilnehmer herbestellt. «Die Swissmetal-Leitung hat mich nicht benachrichtigt, dass das Treffen woanders stattfindet. Das ist doch ein Kindergarten, oder?» Neben ihm steht der Gemeindepräsident des Nachbarortes Loveresse, Pascal Balli. Als Swissmetal-Angestellter streikt auch er seit vierzehn Tagen. So hat er Zeit, die Journalistin durch die zwei Fabriken zu führen und die Arbeitsschritte an den sonst dröhnenden Maschinen zu erklären. Er zeigt auch die Giesserei, die nach Dornach verlegt werden soll. «Das ist die modernste Anlage in Europa. Sie entspricht den strengsten Normen und Umweltauflagen», erklärt Balli. «Es ist absolut absurd, diese Produktionsstätte hier abzureissen und am veralteten Standort Dornach wieder aufzubauen.» Immer wieder sind diese Sätze zu hören: Dornach ist nicht rentabel und veraltet. Warum einen starken Standort kaputtmachen zugunsten eines unrentablen? Es stecke keine industrielle Logik hinter Hellwegs Strategie.

Mit eben dieser hat sich der selbständige Informatiker Gregor Kley ausgiebig auseinander gesetzt. Seit zwanzig Jahren wohnt er im Nachbarort Loveresse. Nach der Bekanntgabe der Firmenleitung im vergangenen November, die Giesserei verlagern zu wollen, begann er, sich mit Swissmetal und ihrem Chef Martin Hellweg zu befassen. «Wenn man betroffene Bekannte, Freunde hat, wird man automatisch involviert.» Kleys Recherchen führen ihn zur Keramik Laufen, wo Hellweg auch schon als Turnaround-Manager fungierte. «1998 stieg er dort ein, ein Jahr später ging Keramik Laufen an einen spanischen Konzern über», sagt Kley. Er glaubt, dass Hellweg bei Swissmetal nach dem gleichen Muster vorgehen wird. «Hellweg ist ein knallharter Sanierer, dem es nur um die Rendite geht. Er wird die Giessereien in der Schweiz schliessen und ins kostengünstigere Ausland verlegen. Die zuvor sanierten Immobilien und das Know-how wird Hellweg für gutes Geld an den Meistbietenden verscherbeln. Eine kleine Unternehmenseinheit wird weiterhin in der Schweiz produzieren.» Kley ist überzeugt, dass dies Hellwegs Plan ist. «Nur unter diesem Gesichtspunkt leuchtet Hellwegs Vorgehen ein. «Darum gibt es auch keine industrielle Logik hinter seinen Plänen, sondern nur eine Logik des Kapitals.» Da Hellweg beide Giessereien schliessen wolle, müsse er zuerst den starken Standort Reconvilier schwächen. «Und genau das ist Hellweg im Begriff zu tun.» Die Giesserei aus Reconvilier, vermutet Kley, wird Hellweg gar nicht wieder in Dornach aufbauen.

Ein langjähriger Swissmetal-Angestellter vertritt eine andere interessante These: «Die gesamte Uhrenindustrie ist zwischen Pforzheim und Savoyen angesiedelt. Und «Boillat» beliefert diese Betriebe seit Jahrzehnten mit ihren Spitzenprodukten. Wenn der Standort Reconvilier aufgelöst wird - und das befürchten wir -, dann geht auch die Uhrenindustrie kaputt.» Der Streikende will seinen Namen nicht nennen, immerhin hat die Firmenleitung gedroht, jeden und jede zu entlassen, die sich zu den aktuellen Vorgängen äussert. Das Know-how, das Fingerspitzengefühl könne man jedoch nicht einfach so transferieren. «Die Arbeiter hier haben ‹le millième dans les doigts›, den Tausendstel in den Fingern - und das seit Generationen.» Weil also vor allem auch die Uhrenindustrie betroffen ist, glaubt der Swissmetal-Angestellte, dass sich bald Swatch-VR-Präsident Nicolas Hayek in den Konflikt einschalten wird.

Nachdem die Firmenleitung am Montag zu einem ersten Gespräch mit einer ArbeiterInnenvertretung und hohen Gewerkschaftsfunktionären zusammengekommen war, fand am vergangenen Dienstag ein Treffen mit einer Delegation der AbnehmerInnen statt. Diese haben bisher Verständnis für die Anliegen der Streikenden gezeigt. Denn auch sie wollen einen starken Standort in Reconvilier. Dominique Lauener ist Unternehmer aus dem Kanton Neuenburg und Swissmetal-Kunde: «Bald könnten auch bei uns die Maschinen stillstehen. Dieses Katz-und-Maus-Spiel muss sofort aufhören.» Er und andere Kunden fordern vom Management die Einschaltung eines Vermittlers. «Die ArbeiterInnen haben kein Vertrauen mehr in Hellweg.» Deswegen habe man eine industrielle Persönlichkeit vorgeschlagen, zum Beispiel Nicolas Hayek. Seitens der Kundendelegation, die sich vergangenen Dienstag mit dem Verwaltungsrat getroffen hatte, wurde dies allerdings «dans un premier temps» - im Moment noch - dementiert. Man habe Stillschweigen vereinbart, um den Verhandlungen die grösstmögliche Chance zu geben, sagte der Kundendelegierte Francis Jeanneret.

Mittlerweile hat auch die Betriebskommission des Produktionsstandortes Dornach die Konzernleitung in einem Schreiben aufgefordert, Verhandlungen mit den Streikenden aufzunehmen. Diese führen ihren Protest fort - erst recht, nachdem gestern Nicolas Wuillemin, der Präsident der Personalvertretung, fristlos entlassen wurde. Die Swissmetal-Führung in Dornach hüllte sich bis Redaktionsschluss in Schweigen. «Leider kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nichts kommunizieren», sagt Pressesprecher Sam Furrer gegenüber der WOZ. Auch das ist die Logik des Kapitals.