Flippern: Vier Freaks und eine hektische Kugel

Nr. 18 –

Endlose Multibälle, steile Rampen, viele Punkte: Das Schweizer Team spielte am Wochenende an den Flipper-Europameisterschaften in München um den Titel.

Was für eine Kulisse! 61 Flipperkästen stehen in einem Raum. Überall blinkt und rattert es. Jackpot hier, Multiball da. Vorwiegend Männer mit wild gekämmten Haaren stehen an den Geräten. Ihr Ziel: Die Kugel möglichst lange auf dem Spielfeld halten und dabei möglichst viele Punkte absahnen. Per Knopfdruck und mit dem nötigen Einsatz der Hüften katapultieren sie die Silberkugel nach oben. Diese rollt über steile Rampen, verschwindet in Löchern, löst unterschiedliche Missionen aus. Es geht nicht um Geld, es geht um Ehre. Nämlich darum, sich in der Bestenliste einzutragen. Neunzehn Schweizer sind am vergangenen Wochenende zu den Flipper-Europameisterschaften in München angereist, um im Einzelwettkampf auf Bonusjagd zu gehen. Vier ausgewählte Spieler vertreten die Schweiz im Länderwettbewerb.

Die geschicktesten Helvetier sind Röbi Sutter (41), Adrian Barp (26), Michael Trepp (26) und Tregova Levente (30). Sutter ist kaufmännischer Angestellter aus Winterthur, Barp Student aus St. Gallen, Trepp Sekundarlehrer aus Chur und Levente ebenfalls Sekundarlehrer aus Schaffhausen. Für alle vier Flipperfanatiker ist das «Hurri» in Zürich-Wallisellen zur zweiten Heimat geworden. Da die Flipperkästen immer mehr aus den Quartierbeizen und Spielsalons verschwinden, treffen sie sich im grössten Flipperklub der Schweiz zu endlosen Spielen mit der Silberkugel. «Wer besser Flipper spielen will, muss möglichst viel trainieren, muss durch intensives Spielen den Kasten kennen lernen und sein Wissen ausbauen», sagt Barp, der amtierende Schweizer Meister. «Wir sind hier, um Europameister zu werden», sagen sie einstimmig vor Turnierbeginn in München.

Für Turnierleiter Martin Wiest zählt das Schweizer Team zusammen mit den USA, Schweden, Holland und Deutschland zu den Favoriten. «Entscheiden werden die Tagesform und die zugelosten Geräte», sagt der Vorsitzende des deutschen Flippervereins. Bei 61 Geräten sei es kaum möglich, alle Flipper zu kennen. «Jeder Spieler hat seine Lieblingsgeräte», sagt Wiest. Dabei müsse man wissen, dass jeder Flipper unterschiedlich sei: Die Neigung, die Stärke der Flipper, der Spielfeldaufbau, alles sei variabel. Martin Wiest ist so etwas wie der deutsche Flipperkönig. Der 44-jährige Softwareentwickler besitzt über fünfzig Flipperautomaten. Ausrangierte Flipperkästen, die jahrelang ein nutzloses Dasein in Kellern oder Estrichen fristeten, bringt er wieder in Schuss. Er zerlegt die komplizierten Geräte komplett in Einzelteile, prüft jedes Teil auf Beschädigungen und ersetzt es nötigenfalls.

Für die Flipperrestaurateure sind die Europameisterschaften eine Fundgrube: Ein halbes Dutzend Stände bietet vom Flippergehäuse über mechanische Vorrichtungen bis zu kompletten Spielflächen alles an. Für einen Fototermin stellt sich Wiest vor dem Kultflipper Indiana Jones auf. Die Hersteller dieses Gerätes haben die Geschichte des fiktiven Archäologen Dr. Jones genau studiert: Path of Adventure, Hand of Fate, Steal the Stones sind nur einige der vielen Abenteuer, die der Spieler auf dem 1993 erbauten Flipper bestehen muss. Gemäss Wiest gehört der Indiana Jones zu einem der meistgesuchten Geräte.

Für die EM-Teams startet der Wettkampf mit einem Nervenspiel: Zehn Länder haben sich angemeldet. Der Spielmodus ist jedoch nur auf acht Teams ausgerichtet. No Good Gofers wird die Hoffnung zweier Länder auf den Europameistertitel vorzeitig begraben. Es muss schnell gehen. JedeR pro Team spielt nur eine Kugel. Erwischt hat es Belgien und England. Der Flippergott meint es gut mit der Schweiz: In der Vorrunde heissen ihre zugelosten Gruppengegner Ungarn, Österreich und Frankreich. Die Favoriten USA, Schweden, die Niederlande und Deutschland kämpfen in der anderen Gruppe um den Finaleinzug. Die Schweizer gewinnen sämtliche Spiele, werden Gruppenerster und treffen im Halbfinal auf die USA. «Das wird unser wichtigstes Spiel», sagt Röbi Sutter. Chris Newsom, Lyman Sheats, Tent Augenstein, Neil Shatz: Die Namen der Amerikaner gehen runter wie Silberkugeln. Doch nicht nur das. Die USA haben einen Flipperdesigner in ihren Reihen: Lyman Sheats hat für die amerikanische Herstellerfirma Williams gearbeitet und unter anderem die Software für Monster Bash entwickelt. Williams war lange Zeit Marktleader in der Flipperproduktion. 1988 konnte die Firma mit Hauptsitz in Chicago sogar den Konkurrenten Bally übernehmen. Doch schon 1999 machte Williams/Bally als letzter Flipperhersteller überhaupt dicht. Den letzten grossen Erfolg landete Williams/Bally mit Pinball 2000. Die beiden Modelle Revenge from Mars und Star Wars Episode 1 haben einen Bildschirm im traditionellen Spielbrett integriert - eine Kombination aus Mechanik und Videospiel. «Das ist eine schöne Entwicklung», sagen die einen am Turnier in München über diese Geräte, «das sind keine richtigen Flipper», sagen andere.

Als Einzige befasst sich heute die 2003 gegründete Firma Stern Pinball mit der Herstellung von Flippern. Nach anfänglicher Skepsis der Flipperfans kommen die Maschinen immer besser an. Der 2003 produzierte Lord of the Rings gibt sogar der Schweizer Nationalmannschaft in leicht abgeänderter Form das Sujet für ihre Trikots: «Pinball Lords of Switzerland» steht auf ihren Leibchen. The Sopranos (Baujahr 2005) wird an der EM von den Spielern stundenlang durchgerüttelt. Der Flipper besticht. Das Gerät wird in München sogar mit dem Kultflipper Monster Bash von Williams verglichen. Die acht Nationalteams kämpfen unter anderem auch auf The Sopranos. Im Halbfinal zwischen der Schweiz und den USA werden jedoch zwei andere Schmuckstücke bearbeitet: Je zwei Spieler der beiden Länder treten zeitgleich am Indianapolis 500 von Bally (Baujahr 1995) und am Fun House von Williams (Baujahr 1990) gegeneinander an. Die Amerikaner sehen müde aus. Die weite Anreise und der lange Turniertag - mittlerweile wird seit zehn Stunden geflippert - haben ihre Spuren hinterlassen. Doch auf Indianapolis 500 erwischen sie den besseren Start und liegen nach der ersten Runde klar vorne. Auf Fun House belegen die beiden Schweizer in der Endabrechnung die Ränge eins und vier. So sehr sich die Pinball Lords of Switzerland auch ins Zeug legen - auf Indianapolis 500 erwischen sie schlechte Kugeln, kommen nicht richtig ins Spiel. Die Amerikaner indes bauen Kugel für Kugel ihre Führung aus. Der Flipper blinkt und blitzt, und von den Schweizern mag gar niemand mehr hinschauen. Die USA sichern sich mit den Rängen eins und zwei auf Indianapolis 500 den Finaleinzug.

Doch die Schweizer haben noch nicht ausgeflippert. Gegen Gastgeber Deutschland rollen die Kugeln um den Podestplatz. Im Stechen auf Monster Bash probieren Sutter, Barp, Trepp und Levente das Spiel zu beruhigen, die Kugel immer wieder zu stoppen, um den nächsten Schuss gezielt zu setzen. Doch die vier Deutschen zeigen die bessere Konzentration und mehr Ausdauer. Den Schweizern bleibt Rang vier - und die Erinnerung an feuchte Hände.

Kurz vor Mitternacht und mit Anpfiff des Finals stellt sich die Frage, ob die USA überhaupt Europameister sein können. Man stelle sich die Szene bei der Siegerehrung vor: «And the winner of the European Pinball Championship 2006 is: USA!» So weit sollte es nicht kommen. Aussenseiter Ungarn erringt im Final die höhere Punktzahl als die USA und darf sich Flipper-Europameister 2006 nennen. In der Einzelwertung klassiert sich Michael Trepp als bester Schweizer auf Rang acht. Europameister wird der Deutsche Martin Pfeifer.