Ausländergesetz: Von allen Geistern verlassen

Nr. 33 –

Das neue Gesetz sorgt für noch mehr Sans-Papiers und kriminalisiert auch die, die ihnen helfen wollen.

«Das Gesetz will eine Zulassungspolitik, und diese kann nur eine der Überfremdungsabwehr sein.» So charakterisierte dies Max Ruth, Adjunkt im Eidgenössischen Justizdepartement und Vater des bis heute in seinen Grundzügen geltenden Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer von 1931. Und der Fremdenpolizeichef Heinrich Rothmund, der zusammen mit Ruth das Gesetz wesentlich geprägt hatte, befand nur zweieinhalb Monate nach den Judenpogromen von 1938: «Wir haben nicht seit zwanzig Jahren gegen die Zunahme der Überfremdung und ganz besonders gegen die Verjudung der Schweiz gekämpft, um uns heute die Emigranten aufzwingen zu lassen.»

Während Ruths Zitat auch das neue Ausländergesetz (AuG) treffend betitelt, ist bei Rothmund nur die «Verjudung» durch «Asylmissbrauch» zu ersetzen, um es für das revidierte Asylgesetz zu aktualisieren. Die heutigen Gesetzesvorlagen setzen augenscheinlich eine unrühmliche Tradition schweizerischer Abwehrpolitik fort.

Sie richten sich zwar nicht (mehr) gegen EU-BürgerInnen – rund sechzig Prozent der in der Schweiz lebenden Menschen sind ohne Schweizer Pass. Ins Visier geraten dagegen Menschen aus sogenannten Drittstaaten, zuweilen unverhohlen als «Drittausländer» (ab)qualifiziert. In den Anwendungsbereich des Asylgesetzes kommt diese Kategorie dann, wenn ein Asylgesuch eingereicht wird. Für beide Gesetze sind Sans-Papiers nur als Gegenstand von Zwangsmassnahmen und rigiden Straftatbeständen existent. Mit massiven Zugangshürden und einem Massnahmenpaket zur wirksamen Entledigung unerwünschter AusländerInnen legalisiert das AuG primär eine rigide Politik der verschlossenen Türen.

Unter Generalverdacht

Auch der aktuelle Gesetzgeber verheimlicht nicht, dass er beim Ausländergesetz die Tradition von Ruths Überfremdungsabwehr weiterführt und die Arbeitsimmigration, wie bereits im Jahre 1991 mit dem Drei-Kreise-Modell eingeläutet, heute auf der Basis eines Zwei-Kreise-Modells (EU/Nicht-EU) für Drittstaatsangehörige zur Ausnahme macht: Zulassungsfähig sind in begrenzter Zahl (maximal 4000) hochqualifizierte Angehörige verschiedener Eliten wie etwa FinanzexpertInnen aus den USA oder InformatikerInnen aus Indien. Die bürgerliche Parlamentsmehrheit hat zudem wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass sie auch die Familienmigration primär als Gegenstand der Missbrauchsbekämpfung begreift. Dabei schreckte sie weder vor diskriminierenden Eingriffen ins Privatleben zurück, noch scheute sie sich, Drittstaatsangehörige jahrelang in einem prekären Aufenthaltsstatus zu belassen.

Abgesehen davon, dass beim Recht auf Familienleben in Abhängigkeit von Staatsangehörigkeit und Herkunftsort der involvierten Personen mindestens sieben rechtlich ungleich geregelte Konstellationen zu unterscheiden sind, werden Ehen mit Drittstaatsangehörigen in ihrer Gestaltungsfreiheit prinzipiell eingeschränkt. Und der Aufenthalt der Ehepartnerin oder des Ehepartners aus Drittstaaten ist im Regelfall gefährdet, sobald das Eheglück nicht mehr unter einem gemeinsamen Dach gesucht wird. Binationale und ausländische Ehewillige stehen unter dem Generalverdacht einer Scheinehe und dürfen schon vom Zivilstandsbeamten observiert und an der Eheschliessung gehindert werden. PartnerInnen von Erwerbslosen kann das Familienleben in der Schweiz verweigert werden, und auch im Falle langjährig Aufenthaltsberechtigter entscheidet das Migrationsamt nach Ermessen über die Familienzusammenführung. Der Nachzug von Kindern über zwölf Jahren muss innert einem Jahr nach der Einreise der Eltern erfolgen: eine vom Parlament eingeführte Frist, die mit der Europäischen Menschenrechtskonvention unvereinbar ist.

Prekär bleibt der Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen auch deshalb, weil sie selbst nach zehn (klaglosen) Aufenthaltsjahren in der Schweiz keinen Rechtsanspruch auf eine Niederlassungsbewilligung haben, sondern der Willkür von 26 kantonalen Migrationsämtern ausgeliefert bleiben. Ein aufenthaltsrechtlicher Schutz bei Wechselfällen des Lebens (eheliche Trennung, Invalidisierung, Tod des Partners) wird den Drittstaatsangehörigen weitgehend verweigert. Sans-Papiers wird jede Chance zur Regularisierung ihrer faktischen Anwesenheit verwehrt.

Mit den bereits erwähnten Zwangsmassnahmen und verschärften Strafbestimmungen, die alle im AuG enthalten sind, will der Gesetzgeber auch den effektiven Vollzug seiner Politik der Härte sicherstellen. Er bewirkt damit generell eine verstärkte Illegalisierung und Kriminalisierung von Drittstaatsangehörigen und Einheimischen, die mit ihnen solidarisch sind. Durch eine Haftdauer von maximal zwei Jahren Dauer soll der Wegweisungsvollzug sichergestellt beziehungsweise der nicht ausreisewillige Ausländer weichgeklopft werden. Selbst Minderjährige ab fünfzehn Jahren können ein Jahr inhaftiert werden. Der Kommissar für Menschenrechte des Europarats, Alvaro Gil-Robles, hat diesen Exzess unmissverständlich kommentiert: «Haftfristen, welche für fünfzehn- bis achtzehnjährige Personen bis zwölf Monate dauern können, sind mit den völkerrechtlichen Bestimmungen zum Schutze der Rechte des Kindes nicht vereinbar.»

Verdeckte Ermittlungen

Auch die neuen Strafbestimmungen zeigen, wie sehr der Gesetzgeber von allen rechtsstaatlichen Geistern verlassen war, als er das neue AuG verabschiedete. Neu können EhepartnerInnen aus Gefälligkeit und AktivistInnen in Sans-Papiers-Kollektiven mit bis zu fünf (!) Jahren Zuchthaus bestraft werden. Damit nicht genug: Der Gesetzgeber erlaubt gegen potenzielle TäterInnen sogar verdeckte Ermittlungen – ein Vorgehen, wie es sonst nur im Bereich der Drogenbekämpfung oder des organisierten Verbrechens zulässig ist.

Angesichts der historischen Vorläufer der aktuellen Gesetzesvorlagen und der massiven Verschärfung des Metzler’schen AuG-Entwurfs im Laufe der parlamentarischen Beratungen erweist sich das Endprodukt als ein rigid-legalistisches Abwehrdispositiv. Es übertrifft die schlimmsten Befürchtungen, die die bundesrätliche Botschaft zum AuG im März 2002 geweckt hatte. Ohne die Zahl der «Ausländer» wesentlich beeinflussen zu können, würden AuG und revidiertes Asylgesetz die Zahl prekarisierter und illegalisierter AufenthalterInnen zulasten der regulären Immigration deutlich erhöhen: Sans-Papiers statt anerkannter Flüchtlinge und gesetzlich anerkannter MigrantInnen.

Wachsende Beschämung

Das AuG ist aber nicht nur irrational, sondern auch menschenrechtlich blamabel angesichts des fehlenden Respekts gegenüber dem Menschenrecht auf Familienleben und dem Kindeswohl, das in der Bundesverfassung grundrechtlich geschützt und in der Uno-Kinderrechtskonvention mehrfach konkretisiert wird. Ohne Zuwanderung als demografiepolitischen Königsweg misszuverstehen, ist die Politik der geschlossenen Grenzen und der erleichterten Wegweisungen zudem in demografischer Sicht unklug. Wir berauben uns jugendlicher ImmigrantInnen, auf die wir mittelfristig stärker denn je angewiesen wären.

Angesichts der afrikanischen Flüchtlinge und EmigrantInnen, die auf ihrer Flucht vor Gewalt, Armut und Hunger oder einer unerträglich gewordenen Perspektivlosigkeit im Mittelmeer ertrinken, hat Uno-Generalsekretär Kofi Annan von einer «stillen Krise der Menschenrechte» gesprochen, die «unsere Welt beschämt». Mit der legalistischen Offensive gegen Menschen aus der Dritten Welt wird die Krise nicht entschärft, und die Beschämung wird grösser. Zur Debatte steht nichts weniger als unsere Selbstachtung.

Zum Autor

Rechtsanwalt Marc Spescha ist auf Ausländerrecht spezialisiert, Verfasser des «Handbuchs zum Ausländerrecht» und Koautor des einzigen juristischen Kommentars zum geltenden Ausländerrecht.