Iran: Glatteis in Isfahan

Nr. 3 –

Erst anderthalb Jahre ist Präsident Mahmud Ahmadinedschad im Amt. Doch der von ihm angerichtete innenpolitische Schaden könnte kaum grösser sein.

Die Morgensonne mildert die Kälte auf dem Imam-Platz in Isfahan nur wenig. Die Luft ist klar. Am Horizont hinter der grossen Imam-Moschee sind die Berge zu sehen, schneebedeckt. Einige Pfützen sind glatt gefroren, auch die grossen Becken, an denen sich die Gläubigen vor dem Freitagsgebet waschen, sind teilweise mit brüchigem Eis bedeckt. Wie jeden Freitag haben sich etwa tausend Menschen auf dem Platz zum Gebet versammelt, herangekarrt mit Bussen aus der ganzen Stadt. Rechts beten die Männer, links die Frauen.

«Zahlt nicht mehr für die Waren als bisher!», mahnt der Prediger. Die Sanktionen der Uno gegen den Iran wegen des Streits um das iranische Atomprogramm würden überhaupt nichts ändern. «Einige Leute erhöhen aber deswegen die Preise und profitieren davon. Das sind Feinde!», tönt es aus den Lautsprechern. Die ganze Predigt dreht sich um die Sanktionen. Thema und Stossrichtung der Freitagspredigt sind im ganzen Iran gleich und wie immer vorgegeben von einer zentralen Stelle in Teheran. In der Hauptstadt selber hält an diesem Freitag Haschemi Rafsandschani die die iranische Einheit beschwörende Predigt wider die Uno-Sanktionen. Rafsandschani, der ehemalige Staatspräsident, ist heute einer der wichtigen konservativen Gegner des fundamentalistischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. «Tod Amerika! Tod Israel!», ruft der Prediger am Ende. «Tod Amerika! Tod Israel!», antwortet die Menge auf dem Imam-Platz ziemlich lau. Nach dem Gebet fahren die Menschen in den Bussen zurück in die Quartiere.

Unser Dolmetscher hat nur den Anfang der Predigt übersetzt. Denn drei Männer haben sich auf eine Steinbank nebenan gesetzt, und nun bleiben sie immer in Hörweite. Der Dolmetscher will Probleme vermeiden. «Euer iranischer Journalistenausweis hilft nichts», erklärt er sein Schweigen später. «Sie können uns zwar nichts tun - ausser, uns mitnehmen. Doch dann dauert es drei Tage, bis sie alles abgeklärt haben und uns wieder gehen lassen. Im besten Fall sagen sie dann: ‹Sorry, aber wir machen halt unsere Arbeit.›»

Zwar ist die Resolution des Uno-Sicherheitsrats gegen den Iran vom 23. Dezember das Thema dieser Freitagspredigt, und sie füllt auch die Titelseiten der Presse. Doch die IranerInnen kommen kaum auf sie zu sprechen. Die ganze Auseinandersetzung um das iranische Atomprogramm scheint die Menschen wenig zu beschäftigen. Ohnehin gibt es unter jenen IranerInnen, die mit westlichen JournalistInnen offen sprechen, praktisch nur ein einziges grosses Thema: Mahmud Ahmadinedschad. Fast jedes Gespräch dreht sich bald einmal um den gegenwärtigen iranischen Präsidenten. Es scheint, als habe mit dem Amtsantritt des Fundamentalisten Ahmadinedschad im August 2005 eine neue, dritte Ära begonnen: zuerst die Zeit vor der Islamischen Revolution 1979, dann die Islamische Republik und jetzt die Islamische Republik unter Führung von Ahmadinedschad.

«Er hat in der kurzen Zeit so viel zerstört», sagt eine Studentin in Isfahan. «Noch vor zwei Jahren war alles liberaler. Man traute sich zu reden. Heute haben die Menschen Angst.» Auf ihrem Computer zeigt sie eine Sammlung von Ahmadinedschad-Fotos. Sie zeigen ihn entweder als Witzfigur oder in messianischer Pose - oder grad als beides. «Wir werden von einem Verrückten regiert», sagt sie.

In Teheran treffen wir Karim Arghandepur, der zu den ReformerInnen des vorherigen Präsidenten Mohammed Chatami gehört. Er ist Journalist, doch heute arbeitet er wieder in seinem früheren Beruf als Apotheker, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. «Ich war Chefredaktor diverser Zeitungen», erzählt er. «Doch alle wurden geschlossen. Heute drucken nur noch ein paar wenige Blätter einzelne Artikel von mir. Ich veröffentliche vor allem im Internet.» Die unabhängige Presse entstand schon vor der Präsidentschaft von Chatami, und sie wurde von den Konservativen immer bekämpft. Arghandepur zählt einige Zeitungen der ReformerInnen auf: «Salam» als erste und wichtigste - nach neun Jahren geschlossen. «Moscharakat» - nach drei Monaten geschlossen. «Newros», bei der er Chefredaktor war - nach sechzehn Monaten geschlossen. Weitere folgten, schliesslich sein letztes Projekt - es wurde am Tag eins nach der Wahl von Ahmadinedschad geschlossen. «Seither konnten wir keine Zeitung mehr gründen», sagt er.

Arghandepur engagiert sich im Verband der Iranischen Journalisten, der mit knapp 3700 Mitgliedern wichtigsten reformistischen JournalistInnenorganisation. Die Regierung Ahmadinedschad wolle diesen Verband auflösen lassen, sagt Arghandepur. «Sie geben formaljuristische Gründe vor. Wir kämpfen vor Gericht dagegen. Doch ich habe wenig Hoffnung.» Im letzten Jahr seien auch anderen nichtstaatlichen Organisationen und Verbänden die Genehmigungen entzogen worden.

Dennoch sei er Optimist, sagt der 37-Jährige, der in den achtziger Jahren als Jugendlicher dreimal freiwillig als Basidsch, eine Art Volksmilizionär, zur Verteidigung der Islamischen Republik in den Krieg gegen den Irak gezogen war. «Als Ahmadinedschad kam, war das für ihn der Anfang einer langen Zeit an der Macht.» Doch die jüngsten Kommunalwahlen im Dezember hätten gezeigt, dass er nicht nur gewinnt. Arghandepur sieht die früheren GegnerInnen, die Konservativen, heute als Verbündete. «Denn Ahmadinedschad ist der Radikalste überhaupt.» Die Uno-Sanktionen seien vor allem eine zusätzliche Gefahr für die politischen Freiheiten: «Wenn die Sanktionen wirken, bestimmt das die Atmosphäre. Und jeder weitere Schritt kann erst recht alles blockieren.»

Die repressive Macht sei ja so dumm und dumpf, mokiert sich ein Literaturkritiker in Isfahan. Er ärgert sich, dass auch im Internet immer mehr Seiten blockiert werden. Für seine Dissertation - er will mit einem dekonstruktivistischen Ansatz über einen britischen Schriftsteller forschen - sei er auf ausländische Quellen angewiesen, doch heute seien selbst Seiten der Universitäten von Essex und von Virginia gesperrt, da deren Namen so unsittlich klängen. Er hilft sich mit einem Proxyserver aus den USA, um doch Zugang zu den Seiten zu haben. Voice of America etwa stellt solche Umgehungsprogramme zur Verfügung.

«Du weisst nie, wo die Grenze ist», sagt er. Wir sitzen in einem kühl eingerichteten Café. «Hier treffe ich mich immer mit einer Studentin, der ich Englischunterricht gebe.» Doch vor drei Wochen hätten zwei Basidschi - die freiwilligen Volksmilizionäre dienen den Fundamentalisten heute als rabiate Sittenpolizei - durchs Schaufenster geschaut und seien dann hereingekommen. «Sie wollten unsere Ausweise sehen. ‹Das ist unmoralisch, was ihr hier tut›, sagten sie. Ich antwortete: ‹Die Studentin ist 35 Jahre alt, und ihr wollt die Erlaubnis ihrer Eltern, dass sie sich mit mir treffen kann? Wir arbeiten hier - was soll daran unmoralisch sein?› Sie sagten bloss: ‹Wir nehmen dich mit auf den Posten, dort lernst du schon, was daran unmoralisch ist.›» Der Wirt habe sie dann gerettet, indem er versicherte, wie ehrenhaft sie seien.

«Du weisst nie, wo die Grenze ist», sagt auch Fatemeh Sadeghi. «Doch die Leute fürchten sich zu sehr. Wenn du Angst hast, wirst du auch Probleme kriegen.» Und dennoch: Auch bei der Vierteljahreszeitschrift «Goft-O-Gu» («Dialog»), in deren Redaktion die Feministin Sadeghi mitarbeitet, übe man seit Ahmadinedschad Selbstzensur. Ganz automatisch. «Goft-O-Gu», 1997 gegründet, ist eine der ganz wenigen säkularen Zeitschriften im Iran. «Ich wollte immer hier bleiben, hier arbeiten, hier verändern», sagt Sadeghi. Doch jetzt, seit Ahmadinedschad, überlegt sie sich, auszuwandern. Sie unterrichtet einige Lektionen an der Asadi-Universität in Teheran. Doch Ahmadinedschad habe die ganze Leitung ausgewechselt, und jetzt sei für sie alles blockiert, gebe es keine Perspektive mehr. «Irgendwie muss ich ja überleben», sagt sie. «Aber meine Forschung und meine Arbeit sind hier - ich will doch nicht vom Ausland aus im Internet forschen.»

Ahmadinedschads Politik sei für die Frauen heikel. «Sie zwingen dich zwar nicht, das Kopftuch korrekt zu tragen.» Doch habe er beispielsweise das Budget für Familienplanung zusammengestrichen. Dieses Programm sei unter Rafsandschani und Chatami sehr erfolgreich gewesen. Die Streichung habe Folgen: Schon seien Verhütungsmittel teurer geworden. In einigen Ministerien und Ämtern habe Ahmadinedschad die Arbeitszeit für Frauen verkürzt - «weil sie mehr Zeit für die Familie benötigen». «Doch dadurch sind sie gegenüber den Männern weniger wettbewerbsfähig», sagt Sadeghi. Das unter Chatami geschaffene Zentrum für die Beteiligung von Frauen wurde umbenannt in Zentrum für Frauen und Familien. «Und selbst die total konservative Leiterin dieses Zentrums ist zurückgetreten - denn die Fundamentalisten wollen rein gar nichts tun. Die Frauen vollständig ignorieren, das ist ihr Programm.»

Viele IranerInnen sehen im iranischen Nationalismus die Antwort auf die religiöse Herrschaft. Sie beschwören die «2500-jährige Geschichte des Iran» - faktisch eine Erfindung des letzten Schahs, der damit seine Herrschaft besser legitimieren wollte -, und selbst die Uraltreligion des Zoroastrismus scheint wieder Mode zu werden, so im Sinne von: «Mohammed ist schon recht, aber schliesslich gab es lange vorher schon Zarathustra, ein echt iranischer Prophet.» Andere, oft RückkehrerInnen aus dem Exil, richten sich nach Westen. Unter Jugendlichen sind «Krawattenpartys» in: private Feste, an denen die jungen Männer Krawatte tragen - die Krawatte ist im Iran als Symbol des Westens verpönt. Man könne sich in Teheran eigentlich ganz gut einrichten, berichtet ein Mann im Heavy-Metal-Look mit dunkler Sonnenbrille und langem Rossschwanz, der vor zwei Jahren aus Amerika zurückgekehrt ist, um die nach der Revolution beschlagnahmte Familienvilla zurückzuerstreiten. Generell sei er zuversichtlich für den Iran, denn «this mullah stuff», dieses Mullah-Zeugs, könne doch einfach nicht mehr lange andauern.

Auf dem Imam-Platz in Isfahan sind am Freitagnachmittag die Gebetsteppiche wieder eingerollt, Absperrungen und Trennwände abgebaut. Wir besuchen die Imam-Moschee. Wenn sie traurig sei, gehe sie oft für einige Stunden in diese Moschee, erzählt die 37-jährige Mina. Die einzigartige Atmosphäre in dieser Moschee gebe ihr Kraft. Mina lebt alleine, in einer eigenen Wohnung. Heiraten will sie nicht. Sie trägt das Kopftuch auch in ihrer Wohnung. «Damals, nach der Revolution in den achtziger Jahren, damals gab es noch Hoffnung. Ich war ein Teenager, und ich habe nicht an die Islamische Republik geglaubt. Aber es gab Hoffnung, dass es mit dem Land vorwärtsgeht, Hoffnung auf Unabhängigkeit, trotz des Kriegs.» Im Iran von Ahmadinedschad schaue jeder nur noch für sich, sagt Mina. «Heute gibt es keine Hoffnung mehr.»

Der illegale Weg

Es ist ein ausgeklügeltes System: Der Staat behält die Kontrolle, und einige Private verdienen gutes Geld. Wer als ausländischer Journalist im Iran arbeiten will, untersteht dem Ministerium für Islamische Führung, dem Erschad. Der Erschad stellt den Presseausweis aus, erteilt die für jedes einzelne Gespräch benötigten separaten Bewilligungen, entscheidet über die Verlängerung des auf zehn Tage oder zwei Wochen beschränkten Visums.

Doch selber beantragen können die ausländischen JournalistInnen beim Erschad nichts. Das können nur drei Agenturen, die ein Monopol auf die Arbeit mit JournalistInnen haben. Diese Agenturen organisieren das Programm, alle Interviewtermine, die vorgeschriebenen DolmetscherInnen. Und verlangen dafür viel Geld. 150 US-Dollar für den Antrag auf Visumsverlängerung, 150 Dollar pro Tag für die Übersetzerin plus Essen plus Übernachtung plus Transportkosten, 50 Dollar für den Presseausweis und so weiter. Die Agenturen liefern dem Erschad in der Folge genaue Berichte über Programm und InterviewpartnerInnen der JournalistInnen.

Wer das nicht zahlen kann oder will, wird schikaniert. Tagelange Verhandlungen mit sämtlichen drei Agenturen und dem Erschad sind die Folge. Wer gut verhandelt, erhält schliesslich einige Bewilligungen und günstigere Tarife (im Falle der WOZ etwa die ausdrückliche Bewilligung, ohne Dolmetscher im Basar und im Volkspark von Teheran zu recherchieren). Iranische Bekannte reagieren beschämt auf unsere Mühen mit dem Erschad. Und sie fragen samt und sonders: «Ja, warum habt ihr die denn nicht bestochen? Im Iran ist der illegale Weg immer besser als der legale.» Nun, wir haben nicht nur aus ethischen Gründen nicht bestochen. Die geforderte Bestechungssumme war mit 500 Euro für die WOZ schlicht zu teuer.

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Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds des Fördervereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten der WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden der WOZ-Leser:innen.

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