Finanzkapitalismus: Zähmt die Trillionen!

Nr. 21 –

Weltweit zockt das Finanzkapital immer dreister. Doch die Linke überlässt die Finanzpolitik den bürgerlichen Banklobbyisten.

Bis 2005 arbeitete der demokratische US-amerikanische Präsidentschaftskandidat John Edwards bei einer US-Nichtregierungsorganisation, die sich gegen die Armut engagiert, und verdiente dort 40000 Dollar pro Jahr. Dann wechselte er als Teilzeitberater zur Finanzanlagegesellschaft Fortress Investment Group und kassiert seither 480 000 Dollar pro Jahr. Als Edwards kürzlich der Wahlkommission seine finanziellen Verhältnisse offenlegen musste, deklarierte der angebliche Armutsbekämpfer nach nur zwei Jahren im neuen Job dreissig Millionen Dollar Vermögen, davon die Hälfte in Fortress-Aktien.

Diese Finanzfirma neuen Typs perfektioniert die rein monetäre, kurz- bis höchstens mittelfristige Profitmaximierung im Finanzgeschäft. Fortress-Chefstratege ist der erzkonservative Richard N. Haass, Präsident des New Yorker Council of Foreign Relations, dem wichtigsten aussenpolitischen Thinktank der USA. Fortress Investment wurde vor zehn Jahren von einigen Exbankern als privates Investitionsvehikel gegründet und konzipiert, emittiert und handelt Finanzinstrumente neuen Typs, die der globalisierte Finanzkapitalismus hervorgebracht hat: Hedge Fonds und Private Equity Fonds. Diese beiden Schmiermittel der Globalisierung lassen sich nicht genau unterscheiden. Grob gesagt, spekulieren Hedge Fonds mit ausgeklügelten, derivatgestützten Börsenstrategien, statt bloss etwas zu kaufen und dann zu warten, bis die Kurse steigen.

Ganz schnell ganz schön reich

Private-Equity-Firmen hingegen kaufen ganze Unternehmen, schlachten sie aus und bringen sie in börsengängige Form, um sie mit Gewinn wieder abzustossen. Alles ohne Rücksicht auf die Interessen von Arbeitskräften und auf volkswirtschaftliche Standortinteressen. Die Manager der Ausschlachtobjekte beteiligen die Private-Equity-Fonds am Ausschlachtgewinn, was diese, wie den erwähnten Edwards, ganz schnell ganz schön reich werden lässt. Als Fortress Anfang Februar 2007 in New York an die Börse ging, lag der Ausgabekurs der Aktien bei 18,50 Dollar. Heute kostet die Aktie rund 27 Dollar. Dank steigender Börsenkurse und tiefer Zinsen schwimmt Fortress zurzeit im Geld, trotzdem denken die Manager Tag und Nacht daran, wie sie aus diesem Geld noch mehr Geld machen können. In Deutschland ist Fortress durch den Kauf von 150 000 Wohnungen des kommunalen Wohnungsbaus bekannt geworden, wie ein Vertreter des Mieterforums Ruhr an einer Veranstaltung des Mieterverbandes Zürich kürzlich darlegte. Diese Wohnungen wurden dem historisch gewachsenen Mieterschutz entzogen, mutierten vom sozialen Gut zur Handelsware und sind heute in der juristischen Form einer börsengängigen luxemburgischen Finanzgesellschaft beliebte Spekulationsobjekte. Zwar zögerte Fortress keine Sekunde, die Mieten der 150 000 Familien in Dresden und im Ruhrgebiet zu erhöhen. Aber die Aussicht auf gestiegene Mieteinnahmen war nicht der entscheidende Anstoss zum Milliardeninvestment im deutschen Wohnungsmarkt. Der Witz dieser Aktion ist es, die Wohnungen rechtlich in eine börsengängige Form umzupacken und den Kurs der neu geschaffenen Immobilienwertpapiere hochzutreiben. Wenn alles rund läuft, kassiert Fortress damit viel schneller viel mehr Geld als mit Mietpreiserhöhungen.

Die Software des Finanzkapitalismus ist die Gier der FinanzinvestorInnen nach Maximalprofit, die Hardware ein computerisiertes weltumspannendes Wertpapierhandelssystem, das keine rationale Verbindung zu den Vorgängen in der produzierenden Realwirtschaft hat. Das System ist mittlerweile zum Selbstläufer geworden. Das Kapital fliesst frei, die Märkte für die neuen Finanzinstrumente sind finanztechnisch und elektronisch voll vernetzt. Machtpolitisch fusst der abgekoppelte Finanzkapitalismus auf der angloamerikanischen Welthegemonie, ideologisch auf dem Neoliberalismus.

1986 habe ich für die WOZ ein Dossier über den Big Bang in London geschrieben, also die grosse Börsenliberalisierung der Regierung von Margaret Thatcher. Zuvor funktionierte der Londoner Wertpapierhandel nach einem quasimittelalterlichen Zunftsystem. Wer was wie machen durfte, war genau vorgeschrieben. Geschriebene und ungeschriebene Regeln definierten die Finanzmärkte. Damit machte Thatcher Schluss. Je freier das private Kapital auf den Märkten agiere, desto besser, verkündete sie damals. Wirtschaftsfreiheit bringe Wohlstand für alle und es sei nur gerecht, dass risikobereite Spekulanten ihre Belohnung bekämen. Der Big Bang hat die alte Börsenwelt begraben, der Markt hat die Regeln gesprengt.

Finanzkapitalismus 2.0, so nannte Oliver Fahrni in der WOZ («Wilde Trillionen», Nr. 18/07) das seither entstandene System, das im Gegensatz zum produktionsfixierten Industriekapitalismus des 19. und 20. Jahrhunderts den sozialpartnerschaftlichen Ausgleich der Interessengegensätze von Lohnarbeit und Finanzinvestition nicht mehr erlaube. Demnach sitzen die Scharfmacher heute nicht mehr bei den realwirtschaftlichen UnternehmerInnen, sondern beim Finanzkapital. Die schärfste Verteidigungswaffe der Lohnarbeit gegen den Finanzkapitalismus 2.0 ortet Fahrni bei den Gewerkschaften. Ihren VertreterInnen in den paritätischen Pensionskassen empfiehlt er dringend, ihre Passivität endlich zu überwinden. Mit der Verwaltungsmacht der Gewerkschaften über die Pensionskassenmilliarden in den paritätischen Anlagekommissionen hofft Fahrni, das Finanzkapital im Interesse der Arbeitskraft in die Schranken weisen zu können.Da irrt Fahrni. Pensionskassen sind als institutionelle Anlegerinnen MarktakteurInnen wie alle anderen. Ihr Evangelium ist die Rendite, die Regeln der Finanzmärkte können sie nicht beeinflussen. Öko- und sozialverträgliche Kassen sind ein Minoritätenprodukt. Das haben Andi Hoppler und VPOD-Zentralsekretär Rudolf Steiger begriffen. Die beiden SP-Genossen führen die Pensionskasse der Stadt Zürich, eine der erfolgreichsten Pensionskassen der Schweiz. Chefexperte der Kassenwarte Hoppler und Steiger ist der neoliberale deutsche Finanzprofessor Thorsten Hens von der Uni Zürich. Dass Hoppler und Hens für die etwa 40 000 Kassenmitglieder Kasse machen, ist in Ordnung. Die Rentner leben davon, und die EinzahlerInnen bekommen gute Konditionen. Wer es ihnen wegnehmen will, der werfe den ersten Stein. Dass aber SP und VPOD, also die Organisationen, in deren Namen Hoppler und Steiger in den Gremien der Pensionskasse sitzen, keine grundsätzliche Position zum Finanzkapitalismus haben, ist ein gefährliches Defizit.

Neue Spielregeln im Finanzcasino

Als Gegengewicht zu Steigers Erfolg als Pensionskassenwart mit neoliberaler Strategie müsste seine Chefin, VPOD-Präsidentin und SP-Nationalrätin Christine Goll, im Parlament die Meinungsführerschaft in Fragen der Regulation der globalisierten Finanzmärkte anstreben. Und beispielsweise den beiden jungdynamischen Hardcore-Neoliberalen Thomas Jordan und Philipp Hildebrand von der Nationalbank entgegentreten, welche die Schweiz zum Piratenhafen für Hedge Fonds und Private Equity Fonds machen wollen. Doch das ist nicht der Fall. Finanzplatzpolitik überlassen Goll und die restlichen politischen VertreterInnen der Gewerkschaften in Bern traditionell den bürgerlichen Banklobbyisten.

Ich teile Fahrnis Ansicht, dass die Gewerkschaften eine zentrale Rolle bei der anstehenden Zähmung des Finanzkapitalismus spielen. Aber nicht auf dem Hauptschauplatz Anlagepolitik der Pensionskassen, sondern mit der Meinungsführerschaft in der Frage der Regulation der globalisierten Finanzmärkte. Die Gewerkschaften sind durch ihre konkreten Erfahrungen bei der Verteidigung der Interessen der Lohnarbeit besonders befugt, darüber hinaus auch die volkswirtschaftlichen Interessen des Standortes zu vertreten. Heute vertreten die Gewerkschaften die nationalen Interessen der Schweiz besser als die vier Finanzdienstleistungskonzerne UBS, Credit Suisse, Swiss Re und Zurich Financial Services.

Wer das Finanzkapital zugunsten der Lohnarbeit zähmen will, muss die Spielregeln im grossen Finanzcasino neu definieren. Die Frage ist bloss wie. Diese Kunst können Steiger und Hoppler von Hens garantiert nicht lernen. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die einstmals bilderstürmerischen Neoliberalen zu DogmatikerInnen geworden sind, die blind auf Marktfundamentalismus setzen. Die Krankheit des Dogmatismus hat von links nach rechts gewechselt. Gleichzeitig sind die Dogmen der Linken längst zerbrochen. Linke aller Schattierungen sind als VertreterInnen der realen Interessen der Lohnarbeit in der realen Wirklichkeit daran, ein neues theoretisches Fundament zu den neuen finanzkapitalistischen Tendenzen zu erarbeiten.

Regulation des Finanzkapitalismus ist heute ein zentrales Feld der Wirtschaftspolitik. Auf der ganzen Welt beackern Gewerkschaften, linke Parteien, Nichtregierungsorganisationen und allerhand versprengte Elemente diese Themen. Anfang dieser Woche forderte beispielsweise der grösste US-Gewerkschaftsbund AFL-CIO die Börsenaufsicht SEC in einem Brief auf, den laufenden Börsengang der weltgrössten Private-Equity-Gesellschaft Blackstone zu stoppen.

Damit weisen die amerikanischen KollegInnen auch den Schweizer Gewerkschaften den Weg: Es geht darum, sich in der Thematik der Finanzmarktregulation schlau zu machen, arbeitnehmerfreundliche Regulationskonzepte zu entwickeln und diese dann politisch durchzusetzen.

Debatte Finanzkapitalismus

Eine Meldung jagt die andere: China investiert Milliarden in Blackstone, eine der grössten Private-Equity-Firmen der Welt. In Dresden reisst sich die Beteiligungsfirma Fortress das städtische Wohnungswesen unter den Nagel. In der Schweiz bauen internationale Finanzierungsgesellschaften über Nacht Mehrheitsbeteiligungen an traditionellen Industriebetrieben auf. Und der südlichste Teil Manhattans wird wegen der grossen Dichte von Hedge Fonds bereits scherzhaft Hedgistan genannt. Die Hedge Fonds werden auch Thema am G8-Gipfel sein, denn dieser hochspekulative Markt könnte durch seine fehlende Transparenz und Kontrolle durchaus eine Weltwirtschaftskrise auslösen.

In einer losen Serie befasst sich die WOZ mit dem Wahnsinn und den Folgen des Finanzkapitalismus und geht auch der Frage nach, wie linke PolitikerInnen und Gewerkschaften mit dieser Entwicklung umgehen. In der WOZ Nr. 18/07 startete Oliver Fahrni die Debatte, in der Nr. 23/07 schreibt Michael Krätke über Hedge Fonds.