Finanzkapital: Mit Bestnote AAA

Nr. 38 –

Ratingagenturen bestimmen über die Bonität von Unternehmen und Krediten. Die aktuelle Finanzkrise haben sie massgeblich verursacht.

Zu den GewinnerInnen des seit einigen Jahren anhaltenden Spekulationsbooms gehören die Ratingagenturen. Auf den internationalen Finanzmärkten sind sie eine Weltmacht. Prüfung, Bewertung, Qualitätskontrolle ist ihr Geschäft. Kein Schuldner, keine Regierung, keine Bank, kein Investmentfonds, niemand, der auf den Finanzmärkten etwas verkaufen will, kommt ohne das Gütesiegel einer Ratingagentur aus. Ratingagenturen leben von der Unübersichtlichkeit der Finanzmärkte. Wo fiktive Waren gehandelt werden, deren Wert von Meinungen, Vermutungen, Erwartungen abhängt, hungern alle nach verlässlichen, «objektiven» Informationen. Die gibt es nicht. Wer auf dem Markt über den Markt spricht, beeinflusst sofort das Marktgeschehen - in der Regel im eigenen Interesse. In der Welt der Fiktionen, der Risiken und unkalkulierbaren Unsicherheiten bauen die TeilnehmerInnen auf die vermeintliche Weisheit einiger MarktaugurInnen. Die Agenturen sind die Hohepriester in diesem Geschäft.

Die grossen drei

Sie haben den Boom der Kreditderivate geschürt und daran prächtig verdient. Ohne die Ratingagenturen wären die verbrieften Schuldpapiere, die synthetischen «strukturierten» Anleihepapiere (hinter denen oft genug, gebündelt und säuberlich verpackt, faule Kredite stecken) nie zum Spekulationsobjekt auf den Finanzmärkten geworden, ohne die Gütesiegel der Agenturen hätten sich die Hedgefonds nicht weltweit auf diese hoch riskanten Papiere gestürzt.

Der Markt für Bewertungen wird von drei multinationalen Privatunternehmen, den US-amerikanischen Firmen Moody's und Standard & Poor's und der französisch-britischen Firma Fitch geprägt. Diese «grossen drei» der Branche teilen 95 Prozent des Markts unter sich auf. Moody's, mit über 40 Prozent Marktanteil, machte 2002 über 33 Prozent ihres Milliardenumsatzes mit Bewertungen von «strukturierten Finanzprodukten», 2006 waren es schon über 44 Prozent. Die Zahlen für Standard & Poor's sind ähnlich eindrucksvoll, kein Geschäft der Firma ist so rasant gewachsen wie die Bewertung von Kreditderivaten. Fitch, mit 15 Prozent Marktanteil die kleinste der drei Grossen, machte im letzten Jahr über 50 Prozent ihres Umsatzes mit der Bewertung solcher Papiere. Moody's beschäftigt heute weltweit 2100 SpezialistInnen, Fitch 1400, Standard & Poor's 1200.

Neben den drei grossen tummeln sich noch rund 150 kleinere Agenturen - jeweils in einem Land und mehr oder weniger hoch spezialisiert. China hat allein fünf grössere Ratingagenturen, in Indien und Japan operieren ebenfalls fünf. In Schwellenländern wie Korea, Thailand, den Philippinen, Indonesien und Pakistan und in zahlreichen Entwicklungsländern in Afrika und Lateinamerika sind spezialisierte, kleine Ratingagenturen aktiv.

Jede der grossen drei bewertet ständig die Bonität von Tausenden von Unternehmen, darunter Banken, Versicherungen, und Investmentfonds, erteilt laufend Noten für Zehntausende von Wertpapieren wie Anleihen, Aktien, Staatspapiere sowie Derivate und «strukturierte Finanzprodukte». In diesem Geschäft fallen Jahr für Jahr etliche Milliarden Dollar Gewinn ab. Das Rating bestimmt, wie gut sich ein Wertpapier an den Finanzmärkten verkaufen lässt. Die Banken und Investmentfonds, die Wertpapiere auf den Markt bringen, reissen sich darum. Sie klappern die Agenturen ab, sie sammeln Noten und benutzen die jeweiligen Bestnoten (AAA), um für ihre «Finanzprodukte» zu werben. Die Agenturen lassen sich dafür fürstlich bezahlen - die Tarife beginnen bei 25 000 US-Dollar pro Rating. Je komplizierter das Wertpapier, je undurchsichtiger die Risiken, desto höher ihre Honorare. Bei den «strukturierten» Kreditderivaten sind die Gebühren (und die Gewinne) der Agenturen extrem hoch.

Sie haben glänzende Geschäfte gemacht. Aber durch ihre fahrlässigen bis abenteuerlichen Bewertungen von höchst dubiosen Papieren haben sie entscheidend zur aktuellen Finanzkrise beigetragen. Das Versagen der Ratingagenturen ist offensichtlich. Erst in der zweiten Julihälfte bequemten sie sich, ihre Bewertungen der riskantesten hypothekenbesicherten Derivate nach unten zu korrigieren. Dann aber so drastisch, dass die Aktien der Hedgefonds und Banken, die ihr Geld in diese Papiere gesteckt hatten, sofort einbrachen.

Diesmal ist sogar die hohe Politik böse mit den Hohepriestern der Finanzmärkte. In den USA haben die oberste Börsenaufsicht SEC (Securities and Exchange Commission) sowie die Generalstaatsanwälte der Bundesstaaten Ohio und New York (wo etliche grosse Pensionsfonds eine Menge Geld mit verbrieften Anleihen und Hypothekenpapieren verloren haben) offizielle Untersuchungen eingeleitet. Die EU-Kommission ist sehr ungehalten, der EU-Binnenmarktskommissar droht mit «Konsequenzen». Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy will die Arbeitsweise der Agenturen unter die Lupe nehmen, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel will ihnen streng auf die Finger schauen. Kurt Beck, der SPD-Vorsitzende, hat schon 2004 die «Diktatur» der Ratingagenturen angeprangert. Europäische Aufsichtsbehörden arbeiten an einem neuen Regelwerk für den europäischen Finanzmarkt. Sie haben angedroht, den Ratingagenturen auf den Zahn fühlen zu wollen.

Immer wieder ahnungslos

Das Vertrauen in die Zuverlässigkeit ihrer Kreditratings ist dahin, der Glaube an Allwissenheit und Integrität der HüterInnen der Märkte fürs Erste erschüttert. Die Investoren und Bankerinnen, die sich jetzt fragen, auf wen sie ihre Milliardenverluste abwälzen sollen, hätten allerdings wissen können, wem sie da blind vertrauten. In keiner einzigen Finanzkrise der letzten Jahrzehnte haben die Agenturen je eine zutreffende Prognose gegeben oder ihre Bewertungen rechtzeitig korrigiert. Wenn sie es taten, war die Krise schon da, und ihre verspäteten Aktionen haben nur den Kursverfall beschleunigt und die Panik der AnlegerInnen angeheizt. Die Ratingagenturen waren ahnungslos in der Schuldenkrise der achtziger Jahre und in der Mexikokrise von 1994/95. Die Asienkrise von 1997 erwischte die Ratingagenturen kalt. Sie reagierten erst, als die Finanzkrise bereits die Wirtschaft in Südostasien verwüstet hatte. In der Russland- und Brasilienkrise von 1998 liefen die Ratingagenturen den Krisenereignissen hinterher. 2001, beim spektakulären Fall des US-Energiekonzerns Enron, damals immerhin der zehntgrösste US-Konzern, hatten Standard & Poor's und Moody's trotz offensichtlicher Bilanzfälschungen in grossem Stil wieder nichts gemerkt und Enron jahrelang unverdrossen als soliden Schuldner erster Güte bewertet. Noch vier Tage, bevor der Konzern seine Insolvenz erklärte, bescheinigten ihm Standard & Poor's und Moody's eine ausgezeichnete Bonität. Ähnlich im Fall von Worldcom oder Parmalat. Nie haben die Agenturen eine überlegene Einsicht ins undurchdringliche Dickicht der Märkte bewiesen trotz ihrer vermeintlichen Objektivität, trotz der «mathematischen Methoden» und der analytischen Kompetenz, der sie sich rühmen. Nach wie behandeln die Ratingagenturen ihre Bewertungsmethoden als Geschäftsgeheimnis. Niemand weiss, welche Rolle blosse Meinungen, Wohlwollen und Bauchgefühl dabei spielen.

Mit der Unabhängigkeit dieser HüterInnen der Märkte kann es nicht weit her sein. Denn die Agenturen werden von den Unternehmen bezahlt, deren Produkte sie beurteilen sollen. In der Regel handeln die AnalystInnen, die eine Bewertung vornehmen, mit den KundInnen das Honorar aus. Die Banken und Investmentfonds lassen sich eine gute Note etwas kosten. Unter den Ratingagenturen herrscht heftige Konkurrenz, sie versuchen mit allen Mitteln, einander die Kundschaft abzujagen. Niemand hindert ihre KundInnen, auf Einkaufstour zu gehen und die Agenturen gegeneinander auszuspielen, um die beste Bewertung für ihr Wertpapier zu bekommen. Die Agenturen leben von ihrer Reputation, aber die beruht darauf, dass sie ihre AuftraggeberInnen zufriedenstellen, die mit den benoteten Wertpapieren Geschäfte machen wollen. Vor über hundert Jahren, in den Anfängen des Ratinggeschäfts, waren es die InvestorInnen, die dafür bezahlten. Heute sind es die EmittentInnen, die Investmentbanken und -fonds, die Wertpapiere auf den Markt bringen wollen.

Richtlinien für die Reputation

Lacht da jemand? Nein, das Ganze ist so «seriös», wie sich die HerrInnen der Finanzmärkte seit je in Gelddingen verhalten. Und zum Lachen ist es nicht, denn die angeblich unabhängigen Prüfer, die sich von den Geprüften ihre guten Noten fürstlich bezahlen lassen, sind direkt an der Konstruktion der merkwürdigen «Finanzprodukte» beteiligt, vor allem dann, wenn es um «strukturierte», verbriefte und vielfältig besicherte Schuldpapiere und Anleihen geht. Demnach lässt sich eine Investmentbank von den Spezialisten der Agenturen eine Bündelung, Verpackung und Einteilung ihres Finanzprodukts austüfteln und das so konstruierte Wertpapier anschliessend von den gleichen Spezialisten benoten.

Dass der starken Kritik Taten folgen, ist zu bezweifeln. Mit dem Basel-II-Regelwerk ist soeben die Benotung durch Ratingagenturen kräftig aufgewertet worden, den Entwicklungsländern wurden deren Dienstleistungen geradezu aufgezwungen. Nun schreit alle Welt nach Transparenz und Regeln. Aber einen Verhaltenskodex haben die grossen (und viele kleine) Ratingagenturen längst. Nach der Enron-Krise traten sie damit an die Öffentlichkeit, um ihre Reputation aufzupolieren. Die IOSCO, die internationale Organisation der Börsenaufsichtsbehörden, hatte davor Richtlinien für das Ratinggeschäft erstellt. Die EU hat prüfen lassen, ob und wieweit die Verhaltenskodexe der grössten Ratingagenturen den von der IOSCO vorgegebenen Normen entsprechen, der Bericht liegt seit Dezember 2006 vor. Danach halten die Agenturen sich nicht daran, wo es um ihre Honorare und die Transparenz ihrer Bewertungsmethoden geht. Im Moment arbeitet die IOSCO selbst an einer Studie zu den Geschäftsmethoden der Ratingagenturen. Im April 2008 soll er vorliegen. In wenigen Tagen werden die ExpertInnen der EU beschliessen, den Bericht der IOSCO abzuwarten. Die Finanzkrise schwelt weiter.

DEBATTE FINANZKAPITALISMUS

In einer losen Serie befasst sich die WOZ mit dem Aufbau und den Folgen des Finanzkapitalismus. Agiert er in einer eigenen Sphäre, oder gibt es doch Rückkopplungen auf den realwirtschaftlichen Kapitalismus? Und welche Strategien wären geeignet, um ihn in die Schranken zu weisen? Bisher erschienen Beiträge von Oliver Fahrni (Nr. 18 und Nr. 24), Gian Trepp (Nr. 21), Michael R. Krätke (Nr. 23), Stefan Howald (Nr. 28) und Wolfgang Hafner (Nr. 36).