Knapp daneben: Von Witzfiguren und Pappbechern

Nr. 15 –

Lange konnten wir uns an Österreich aufrichten. Waren unsere Perspektiven düster, herrschte bei ihnen vollkommene Finsternis. Verloren wir gegen die USA, verloren sie gegen uns. Unser Co-Veranstalter, unser kleiner Trost. Damit ist es jetzt vorbei, das Blatt hat sich gewendet. Wir haben gegen Holland zwei Tore erzielt, sie drei, sie haben gegen Deutschland 0:3 verloren, wir 0:4. Sie wittern Morgenluft, wir blauen Dunst: Die «Weltwoche» entlarvt Captain Alex Frei als schändlichen Raucher und enthüllt schonungslos (hat sie es von Alice direkt oder doch eher vom klagenden Köbi?), wie unser Natitrainer gelegentlich von seiner Frau ausgesperrt wird, wenn er mal zu lange verhockt. Die Fussballnation Schweiz zwei Monate vor dem Eröffnungsspiel: ein Elend. Zeit, sich abzusetzen.

Auf Einladung des Technischen Museums durfte ich in Wien die Eröffnung von «Herz:Rasen» besuchen. Die Fussballausstellung ist Teil des österreichischen EM-Kulturprogramms, das unseren NachbarInnen zehn Millionen Euro wert ist. Das Kulturprogramm der Schweiz ist im Vergleich dazu sehr billig; was nicht ist, kann auch nicht kosten. «Herz:Rasen» führt auf zwei Ebenen und anhand ausgewählter Themenfelder durch die Geschichte des Spiels – klug, vielseitig, oft überraschend und zuweilen amüsant, etwa wenn legendäre Spiel- und Jubelszenen mit Spielfilmsequenzen gespiegelt werden. Ein Raum ist der Verbindung von Fantum, Subkultur und Pop gewidmet, wofür das Technische Museum auch auf einige der Fussballsingles zurückgegriffen hat, die sich im vergangenen Jahrzehnt in meinem Plattenregal angesammelt haben. An der Eröffnung war ich nun geladen, ausgewählte Titel dieser Sammlung zu spielen. So zum Beispiel «Hey, Prohaska», die B-Seite einer Austria-Memphis-Hymne aus den achtziger Jahren, die ich zu Ehren des Anwesenden auflegte, der sich dafür im Gegenzug mit mir ablichten lassen musste. Über Prohaska schrieb am selben Tag «Die Presse», er habe es innert erstaunlich kurzer Zeit von der «Witzfigur, die was dem Dativ mit den Akkusativ verwechselt», zum Liebling der Intellektuellen und Theaterschaffenden gebracht; eine Folge der überbordenden, auf Kultfiguren versessenen Medialisierung des Fussballs, mit der wiederum sich «Herz:Rasen» eingehend auseinandersetzt.

Irgendwann im Verlauf des Abends wurde dann Samuel Schmid zugeschaltet, mit einer Videobotschaft. Ausgerechnet er, und ausgerechnet Video. Umgeben von ungläubig kichernden ÖsterreicherInnen verspürte ich in irgendeiner fernen Faser meines Körpers so etwas wie Verbundenheit mit unserem Magistraten, die sich kurz darauf zu echter Solidarität auswuchs. «Wenn ich Samuel Schmid in seiner hektischen Sprechweise richtig verstanden habe, freuen sich die Schweizer auch auf die EM», scherzte Bundespräsident Heinz Fischer in seiner Ansprache und erntete dafür die gewünschten Lacher. Als ausgetrunken war, zog ich ab, über den Karlsplatz, durch eine Unterführung, vorbei an einer Digitalanzeige: «In Wien verzehrte Schnitzel seit dem 1. Jänner 2008: 5'414’087». Wenn ich die Digitalanzeige in ihrer kantigen Schreibweise richtig verstanden habe, essen die Österreicher zu viel Fleisch. «Alle Panzer nach St. Margrethen, Sämi», war mein letzter Gedanke. Dann war ich weg.

Ausgeschlafen und aller patriotischen Verwirrungen entledigt verliess ich Wien Richtung Linz. Blau-Weiss gegen Stattledt hiess das Abendprogramm, vierte Liga. Blau-Weiss, hervorgegangen aus dem Stahlwerksklub Voest Linz, ist sozusagen die Nummer eins der Stadt und erfreut sich einer Beliebtheit, auf die bei uns mancher B-Ligist stolz wäre. Ich sah ein packendes 2:2 und wurde in die Lokaltraditionen eingeführt. «Schweizer, wo ist dein Bier?» «Getrunken.» «Und den Becher zertreten?» «Nein, warum?» «Hier den Becher immer zertreten, Schweizer. Sonst verwendens ihn wieder.» Am Fanstand fragte ich nach Postkarten. Man reichte mir einen Stapel, darin ein Mannschaftsfoto aus den Achtzigern: «SK Salesianer Miettex Voest Linz». Ich kaufte. Und war mit Österreich im Reinen.