Simbabwe: Hausse in Harare

Nr. 17 –

Der Wirtschaft geht es miserabel. Dabei verfügt das Land über eine funktionierende Infrastruktur. Und die ausländischen Unternehmen überbieten sich mit Investitionen - die Börse boomt.

Zweimal am Tag nimmt Percy Dangaremba (Name geändert) das Auto, um von seinem Büro in der Samora-Machel-Strasse die paar hundert Meter hinüber zu Simbabwes «Wirtschaftswunder» zu fahren - Harares Börse. Der dunkle Anzug des Börsenhändlers ist über seinem Bauch etwas gespannt. Sein japanischer Mittelklassewagen verrät ihn in Harares Strassen schon deshalb als Gutverdienenden, weil er Benzin im Tank hat. Denn im Binnenland des südlichen Afrikas mangelt es an praktisch allem.

Der junge Dangaremba fährt an Menschenschlangen vorbei, die sich um Häuserecken winden und vor Bankautomaten enden: die Folge einer Hyperinflation, wie sie nur mit den Verhältnissen in der Weimarer Republik der zwanziger Jahre verglichen werden kann. Offiziell liegt sie bei gut 150 000 Prozent, nach unabhängigen Schätzungen jedoch weit darüber. Es gab Monate, da waren die Regale in den Supermärkten so leer, dass der staatliche Chefstatistiker keine Waren fand, um die Inflation zu berechnen.

Eine Welt für sich

Als die Zentralbank im Januar einen neuen Zehn-Millionen-Dollar-Schein in Umlauf brachte, konnte man damit ein Huhn kaufen. Heute erhält man dafür noch ein hart gekochtes Ei. Bereits ist eine Fünfzig-Millionen-Note im Umlauf. Und weil die Regierung von Präsident Robert Mugabe verzweifelt ständig neue sinnlose Gesetze erlässt, um die Geldflut einzudämmen, stehen die Menschen nun vor den Bankautomaten. Denn seit neustem dürfen sie höchstens 500 Millionen Simbabwe-Dollar pro Tag abheben (bei Redaktionsschluss rund 5,55 US-Dollar). Dies reicht kaum aus, um einen Einkaufskorb mit Grundnahrungsmitteln zu füllen.

Dangaremba fährt im Lift hinauf ins Paralleluniversum; vierter Stock, Union Street Nummer 101: die Zimbabwe Stock Exchange (ZSE), Harares Börse. In den vergangenen Jahren zählte sie regelmässig zu den «best performing» (florierendsten) in Afrika und den Schwellenländern. Der ZSE-Index überflügelte auch die Inflation. Ende 2007 lag er bei 1,9 Milliarden Punkten - eine Steigerung von rund 338000 Prozent gegenüber Anfang Jahr. Kein Wunder, dass einige risikofreudige ausländische InvestorInnen hier kräftig mitmischen. Auch Dangaremba ist optimistisch: «Es kann nur besser werden, wir werden mehr Handelsvolumen haben und mehr ausländische Investitionen.» Damit meint er: wenn Mugabe nicht mehr Präsident ist.

Starke Rentenkassen

Doch wie ist eine solche Performance möglich in einem Staat wie Simbabwe? Der Absturz Simbabwes ist zweifellos tief. Mugabe hat in seiner 28-jährigen Herrschaft das Land heruntergewirtschaftet. Die Arbeitslosigkeit liegt bei achtzig Prozent. In der einstigen Kornkammer des südlichen Afrikas empfängt seit 2002 die Hälfte der Bevölkerung Zuschüsse in Form von Nahrungsmitteln - unter anderem vom Welternährungsprogramm. Gleichzeitig gilt jedoch: das Land stürzte von einem Niveau, das weit über dem der meisten afrikanischen Länder heute lag. Zwar fehlt es überall an Material und Wartung, doch die Infrastruktur ist - mit der allerdings wichtigen Ausnahme Landwirtschaft - keineswegs vollkommen zerstört. Dies gilt für Strassen, Krankenhäuser, Gerichte, Steuerbehörden und auch für die Ausbildung der SimbabwerInnen - auch wenn viele das Land verlassen haben. Und es gilt für die Pensionskassen. «Die Rentenkassen sind der Hauptgrund, warum die Börse so lange und gut überleben konnte», glaubt Mark Tunmer, Geschäftsführer der Investmentgruppe Imara. Simbabwe besitzt seit den späten neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts Rentenkassen und ist damit, gemeinsam mit Südafrika, dem Rest des Kontinents weit voraus. Durch diese Kassen - heute rund 5000 - entstand ein Pool an lokalen Spareinlagen, der in die Industrie floss. Die erste Börse des Landes öffnete ihre Türen bereits 1896.

Heute handeln hier fünfzehn registrierte Brokerhäuser mit Papieren von achtzig notierten Unternehmen - fünf davon aus dem Bergbau. Simbabwe hat unter anderem Vorkommen an Platin, Gold, Diamanten, Kohle und Erdgas. Die restlichen Werte bilden einen Querschnitt der simbabwischen Wirtschaft: von Banken und Brauereien über Immobilien und Landwirtschaft bis hin zu Tourismus. Gehandelt werden die Papiere in einem langen schmalen Raum. Er gleicht eher einem gemütlichen Konferenzzimmer als einer hektischen Börse. Zweimal täglich sitzen Dangaremba und weitere zwei Dutzend HändlerInnen um einen Holztisch in Form eines Hufeisens. Der Handel geschieht durch Zuruf.

Die Rentenkassen kontrollieren nach Schätzungen 75 bis 80 Prozent der ZSE. Das erklärt aber nicht, warum ausländische InvestorInnen sich für Anlagen interessieren, die in Simbabwe-Dollar gehandelt werden müssen - und das bei einer Hyperinflation mit gleichzeitiger Wechselkurskontrolle. Zur Veranschaulichung des Problems: Der offizielle Kurs am 16. April lag bei 30 000 Simbabwe-Dollar pro US-Dollar. Auf dem Schwarzmarkt hingegen ist der US-Dollar 90 Millionen Simbabwe-Dollar wert.

Die Erklärung liegt in der Aktie des Versicherungsunternehmens Old Mutual. Das Unternehmen mit Hauptsitz in London ist sowohl in Harare als auch in London und Johannesburg notiert. Weil jede Aktie - wo auch immer sie notiert ist - grundsätzlich gleich viel wert ist, können die Aktienkurse von London und Harare verglichen werden, um so eine Art Ersatzwechselkurs zu berechnen. Dieser quasi offizielle Kurs, die Old Mutual Implied Rate (OMIR), ist zwar genauso wie eine Aktie Schwankungen ausgesetzt, aber immerhin hat er einen gewissen Bezug zur Realität.

Weil die Old-Mutual-Aktie durch ihre Mehrfachnotierung übertragbar ist, kaufen ausländische InvestorInnen Anteile zum Beispiel in London, um sie dann zum OMIR-Kurs nach Simbabwe zu transferieren. Dort werden sie verkauft, um mit dem Geld in simbabwische Papiere zu investieren. Beim Verkauf läuft das Ganze andersherum.

Das Interesse der InvestorInnen sei «riesig», sagt Mark Tunmer - er dehnt das Wort. Als der Geschäftsführer von Imara vor drei Jahren den Imara Zimbabwe Fund auflegte, musste er nach kurzer Zeit KundInnen abweisen, weil ihm mehr Geld zufloss, als er investieren konnte. Mittlerweile hat der Fonds ein Volumen von 24 Millionen US-Dollar. Zu seinen KundInnen zähle er Einzelpersonen, Hedge-Fonds, Afrika-Fonds und Emerging-Market-Fonds. Die Hauptklientel stamme aus den USA und Grossbritannien, am Zimbabwe-Fonds machten KundInnen aus Kontinentaleuropa rund zwanzig Prozent aus.

Tunmers Optimismus gründet auf der Unterbewertung vieler simbabwischer Unternehmen. Zum Beispiel das Hwange-Kohlebergwerk: «Hwange hat in Simbabwe eine Marktkapitalisierung von vier Millionen US-Dollar. Doch der Wert eines einzigen ihrer Spezialbagger liegt schon bei einer Million.»

Politik steht im Weg

Auch Renaissance ist zuversichtlich. Die osteuropäische Gruppe, die mit aggressiven Investitionen etwa in Russland ein Vermögen aufgebaut hat, kaufte sich 2007 in eine simbabwische Brokerfirma ein. Der Geschäftsführer für Afrika und den Nahen Osten, Neil Harvey, selbst ein Simbabwer, verglich in der Zeitschrift «African Business» die Gewinnaussichten in Afrika mit denen in Russland: «Das ist, als sei man noch mal im selben Film.» Er hofft auf die guten alten Zeiten: «Noch vor zehn Jahren war Simbabwe nach Südafrika der zweitgrösste Markt Afrikas.»

Der Hoffnung steht nur noch die Gegenwart im Weg. Erst kürzlich setzte sich Präsident Mugabe wieder einmal über die Gesetze hinweg. Wären diese befolgt worden, hätten die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl vom 29. März innerhalb von sechs Tagen bekannt gegeben werden müssen. Doch als sich ein Sieg des Oppositionsführers Morgan Tsvangirai abzeichnete, setzt Mugabe einmal mehr auf die Gewalt des Staatsapparats. Polizeikommandos stürmten Büros der Opposition, JournalistInnen und politische BeobachterInnen wurden verhaftet. Die Bevölkerung wird für den Fall einer Stichwahl zwischen Mugabe und Tsvangirai derart eingeschüchtert, dass ein Urnengang zum jetzigen Zeitpunkt mehr als fraglich erscheint.

Wer auch immer Simbabwes neuer Präsident wird - ihm stehen gewaltige Aufgaben bevor. Selbst wenn das unablässige Drucken neuen Geldes durch die Zentralbank gestoppt würde, wäre die Hyperinflation nicht von heute auf morgen weg. Der Grund für das fehlende Geld liegt darin, dass die Wirtschaft kaum produziert und dass wegen der hohen Arbeitslosigkeit kaum noch Steuereinnahmen zur Verfügung stehen.

Einer, der die Zukunft der Börse kritisch sieht, ist der Simbabwer John Robertson. Der selbstständige Ökonom berät multinationale Unternehmen und Botschaften. Er glaubt, dass viele AnlegerInnen aus dem Aktienmarkt aussteigen werden, sobald Inflation und Zinsen auf ein akzeptables Niveau sinken. «Sie werden ihr Geld in weniger riskante Anleihen platzieren», sagt Robertson. Einer der Gründe für die Bevorzugung der Pensionsfonds von Aktien sei die Willkür der Regierung - die sich auch im Umgang mit den Ersparnissen der Bevölkerung zeigt. So habe die Regierung die Pensionskassen gezwungen, fünfzig Prozent ihrer Spareinlagen an die Zentralbank abzugeben. Die Börse wurde zu einem der letzten Orte, an dem Pensionskassen ihr Geld vor dem Staat in Sicherheit bringen konnten.

Negatives Wachstum

Nach Robertsons Einschätzung gehören die RentnerInnen zu den grossen VerliererInnen von Mugabes desaströser Wirtschaftspolitik. «Sie haben ihr Leben lang gearbeitet und in die Rentenkassen eingezahlt. Und die Regierung hat diese Ersparnisse dann gestohlen.» In Zukunft werde man die Frage nach Entschädigungen stellen müssen.

Auch Miles Morland, Direktor des Investmenthauses Blakeney Management in London, glaubt nicht an eine schnelle Genesung von Simbabwes Wirtschaft. «Man kann nicht einfach den Hebel umstellen und denken, dass am nächsten Tag alles wieder läuft», sagt der Brite. Er betrachtet die Simbabwe-Euphorie mit Skepsis. «Ich wundere mich über die Besessenheit, mit der vor allem britische und US-amerikanische Investoren auf dieses Land setzen.» Morland hält alle drei afrikanischen Länder, die bei dieser Investorengruppe am höchsten im Kurs stehen - Simbabwe, Kenia und Südafrika - für überbewertet. «Ich könnte über Nacht eine Milliarde US-Dollar Kapital für Simbabwe aufbringen, so wild sind Investoren. Für die anderen fünfzig Länder, die zum Teil wesentlich stärker wachsen, wie etwa Angola, interessieren sie sich nicht.»

Ein Blick auf die jüngsten Prognosen der Uno-Wirtschaftskommission für Afrika scheint Morland recht zu geben. Dort wird dem westafrikanischen Angola für das laufende Jahr ein Wachstum von 21 Prozent vorausgesagt - Simbabwe hingegen minus 2,5 Prozent. Hinter Simbabwe liegt nur noch Somalia.

Das Foltern geht weiter

Ein Ende der Krise in Simbabwe ist nicht in Sicht. Die Vorwahlperiode und der Wahltag am 29. März waren noch friedlich verlaufen - zur Überraschung westlicher und lokaler BeobachterInnen. Doch nun hält die Regierung seit Wochen das Ergebnis der Präsidentschaftswahl zurück und überzieht das Land mit einer Welle aus Einschüchterungen und Folter. Laut Angaben der Oppositionspartei Movement for Democratic Change (MDC) sind bisher elf Menschen getötet worden. Unabhängige Beobachter gehen davon aus, dass MDC-Führer Morgan Tsvangirai rechtmässiger Sieger der Wahl ist.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat inzwischen einen Bericht über «Folterlager» veröffentlicht. Soldaten und Anhänger der Regierungspartei Zanu-PF sollen darin Mitglieder der MDC sowie ZivilistInnen verprügelt haben, die unter dem Verdacht stehen, nicht für Mugabe gestimmt zu haben. Die Folterer nennen das «Operation Makavhoterapapi», so Human Rights Watch. Zu Deutsch: «Wo hast du dein Kreuz gemacht?» Beobachter gehen davon aus, dass sich auch zu Hilfe gerufene angolanische Milizen an den Einschüchterungen beteiligen.

Unterdessen hat Chinas Regierung angedeutet, dass sie ein mit Waffen beladenes Schiff zurückrufen will. Arbeiter im südafrikanischen Durban hatten sich geweigert, die Ladung zu löschen, weil die Waffen an die Regierung in Simbabwe geliefert werden sollten. China hat auch aus Mosambik und Angola eine Absage erhalten. Laut Nachrichtenagentur Reuters hatte der Sprecher des chinesischen Aussenministeriums die Waffenladung als «völlig normalen Handel mit Militärgütern zwischen China und Simbabwe» bezeichnet. Der Rücktransport werde nur deshalb in Erwägung gezogen, weil die Lieferung das Binnenland nicht erreichen könne.

Ob der zunehmende Druck aus den afrikanischen Staaten wirken wird, ist ungewiss. Die Regierungschefs haben sich auch auf einer am 12. April in Sambia einberufenen Krisensitzung zögerlich und wenig geschlossen gezeigt. Doch Aufrufe wie jener von Sambias Präsident Levy Mwanawasa an afrikanische Küstenländer, das chinesische Schiff nicht in ihre Gewässer zu lassen, und die Kritik des südafrikanischen ANC-Präsidenten Jacob Zuma an Mugabe haben zweifellos dazu beigetragen, den Spielraum von Mugabes Regime zu verringern.

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