Knapp daneben: Panta rhei, auch beim FCZ

Nr. 19 –

Ich war 1991 zum ersten Mal im Letzigrund. Neu in der Stadt, kannte ich kaum jemanden, und immer nur zu Hause sitzen, das tut dem jungen Menschen nicht gut. Es war ein Dienstag oder Mittwoch im Winter, und in der Zeitung stand irgendwo, recht klein, dass der FC Zürich am Abend gegen den FC Lugano spielt. Ich machte mich auf den Weg in den Letzigrund.

Das Ticket kostete um die zehn Franken, genau weiss ich es nicht mehr, und anstehen musste niemand. Als ich vom Kassenhäuschen beim Eingang 3 am Wurststand vorbei zu den Stehrampen kam, erschrak ich. Auf den Rängen standen so wenig Leute, dass ich mir sicher war, als Fremder hier sofort erkannt und verhauen zu werden. Doch vergebens gezittert; einer mehr oder weniger, das interessierte an diesem Abend niemanden. Die Jungen und Männer – einige trugen Samichlausmützen – unterhielten sich, lachten, stimmten hin und wieder ein Lied an. Was sie zu verbinden schien, war, dass sie allesamt ohne die geringsten Erwartungen ins Stadion gekommen waren. Sie waren FCZ-Fans, es blieb ihnen nichts anderes übrig, als auch an diesem Spiel, bei diesem Wetter, unter der Woche dort zu stehen. Ich suchte mir einen Platz. Die Qual der Wahl.

Später, es waren sechs, sieben Jahre vergangen, musste ich die Augen zusammenkneifen, um mich an das Bild von damals zu erinnern. Der FCZ spielte international, und die Stehrampen hatten sich gefüllt. Es war die Zeit, als sich, auch in meinem Umfeld, viele ihrer Liebe zum FCZ besannen. Nick Hornby hatte sein «Fever Pitch» veröffentlicht, eine Fanbiografie, die neidisch machte, weil sie bei allem Irrsinn von einer ungebrochenen Hingabe erzählte. Auch im Letzigrund waren nun immer mehr Legenden zu hören, von früher, von den unsäglichen Zeiten, die man durchgestanden hatte. Wie war das noch damals, im Winter 1991? Es müssen wohl einige verhindert gewesen sein, an jenem Abend gegen Lugano.

Seither sind wieder zehn Jahre vergangen. Die Legenden sind der Diskussion um Modefans gewichen, und diese Diskussion wird auch gerne von Leuten geführt, deren «ewige Treue» so um das Jahr 2003 einsetzte. Der FCZ ist heute nicht mehr wegzudenken, nicht aus der Liga, nicht von den Stammtischen und Bartresen, nicht von den Titelseiten. Er schreibt Geschichte und Geschichten. In den letzten acht Jahren ist er zweimal Meister und zweimal Cupsieger geworden, nachdem er zuvor zwanzig Jahre lang ins Gras gebissen hatte. Seine Ticketpreise sind heute die höchsten der Schweiz, und nachdem er sich nur halbherzig für ein reines, aber unförmiges Fussballstadion auf dem Hardturmareal stark gemacht hatte, spielt er heute wieder am alten Ort, in einem schönen neuen Leichtathletikstadion, ohne Stehplätze und ohne Atmosphäre.

Beim letzten Heimspiel der Saison 07/08, einem ungelenken Hin und Her gegen den armen FC St. Gallen, erwiesen knapp 8000 Interessierte dem abtretenden Meister die Ehre. Das Spiel wurde zu ungewöhnlich später Stunde angepfiffen, um die Fussballsoap des Schweizer Fernsehens nicht unnötig zu konkurrenzieren. Die Zürcher Südkurve, der Dachverband der lautesten Fans, verteilte vor dem Spiel ein Flugblatt, in dem sie sich von einstigen Weggefährten distanzierte. Diese hatten im Spiel zuvor Verein und Fans diskreditiert, indem sie in Basel Feuerwerkskörper in den benachbarten Sektor warfen. Gegen St. Gallen blieben die Plätze der geächteten Gruppierungen leer. Der Stadionmanager des Letzigrunds – er hatte zuvor als Angestellter von GC über Jahre die dortigen Hooligans hofiert - hatte den Übeltätern Schlimmes angedroht, falls sie sich blicken liessen. Es stand in allen Zeitungen, wurde in Blogs diskutiert, kam im Radio, in der «Tagesschau», in der Sportsendung.

Der FC Zürich und seine Fans, siebzehn Jahre nach 1991, diktieren die Agenda. An der jüngsten Geschichte des FCZ lässt sich ablesen, wo der Fussball in der Schweiz steht, und, bei Bedarf, noch viel mehr. Stoff für ein Buch, ein dickes. Hat jemand Zeit?