Agrarhandel: Können Ämter lesen?

Nr. 21 –

Die Schweiz unterzeichnet einen wegweisenden internationalen ExpertInnenbericht. Von den Inhalten des Berichts wollen die Betroffenen aber nicht so viel wissen.

Wenn eine repräsentative Auswahl der renommiertesten Fachleute der Welt das Wissen ihrer Disziplinen zusammenfasst, so braucht man das Resultat nicht für die endgültige Wahrheit zu halten. Man sollte aber doch ein paar gute Argumente haben, wenn man das Gegenteil dieses Resultats behauptet.

Liebe Leserin, lieber Leser: Dieser Artikel ist nicht sehr aktuell, und er enthält nicht viel faktische Information – nicht die Information zumindest, die hier eigentlich stehen sollte. Die WOZ wollte vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) etwas wissen und hat eine späte Antwort erhalten, die wenig aussagt – wenig Inhaltliches zumindest.

Sprachregelung

Von vorn: Am 12. April präsentiert ein Gremium von mehr als vierhundert Wissenschaftlerinnen unter dem Akronym IAASTD einen Bericht zu einer der wichtigsten Fragen der Menschheit: Wie lässt sich die Weltbevölkerung auch in Zukunft ernähren? Die Zeit ist ideal: Wegen der steigenden ­Lebensmittelpreise sprechen alle von Welternährung und Landwirtschaft. ­Einer der Ko-Präsidenten des IAASTD und einer der Hauptautoren sind Schweizer, die Schweiz hat den Bericht mitfinanziert und unterzeichnet. Dessen Hauptaussage: Die Welt braucht eine nachhaltige Landwirtschaft und eine Stärkung kleinbäuerlicher Strukturen. So wie bisher kann es nicht weiter­gehen.

Die WOZ wollte wissen, welche Konsequenzen die Schweiz daraus zieht. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) im Departement für auswärtige Angelegenheiten antwortete sofort: «Wir stehen zu dem Bericht» ­(siehe WOZ Nr. 17/08 ). Besonders inter­essierte uns aber, ob der Bericht Auswirkungen auf die Schweizer Position zum Agrarhandel habe. Im IAASTD-Bericht heisst es: «Die Öffnung landwirtschaftlicher Märkte kann (…) langfristig negative Folgen auf Armut, Ernährungs­sicherheit und die Umwelt haben.»

Anfrage also beim Mediendienst des Seco im Volkswirtschaftsdepartement. Nach dem dritten Nachhaken heisst es dort, man wolle zuerst eine «Sprachregelung» erarbeiten, «können Sie mit Ihrem Artikel noch ein wenig zuwarten?» Dann Funkstille; nach drei Wochen eine erneute Nachfrage unsererseits.

«Ach so, ja, ich weiss nicht»

Schliesslich, mehr als einen Monat nachdem die Schweiz einen wichtigen internationalen Bericht unterzeichnet hat, schickt die Seco-Pressesprecherin ein Dokument, das tatsächlich mit «Sprachregelung» betitelt ist. Darin steht unter anderem: «Auch die Doha-Runde der WTO kann ihren Beitrag [zur Lösung der Nahrungsmittelkrise] leisten. Dies durch die Liberalisierung des Agrarhandels (Produktionsanreiz, Handelsausweitung, sinkende Preise).» Das ist interessant: In Entwicklungskreisen gilt es als Konsens, dass gerade das jahrzehntelange Sinken der Agrarpreise eine der Hauptursachen für das Elend der ländlichen Bevölkerung in weiten Teilen der Welt ist. Der Agrarbericht, nach dem wir fragten, wird in der «Sprachregelung» nicht erwähnt.

Nachfrage beim Seco: Wie stellt sich das Seco zum Agrarbericht? Dieser schreibt, dass der kleinbäuerliche Sektor der Entwicklungsländer unter den meisten Liberalisierungsszena­rien zu den Verlierern gehöre.

Seco: Aber das ist ja das Gegenteil von dem, was wir wollen!

Eben.

Hm, in dem Bericht ging es doch um Landwirtschaft und Entwicklung. Da sind wir nicht zuständig.

Es geht auch um Agrarhandel.

Ach so, ja. Also ich weiss nicht, ich glaube nicht, dass wir mit dem Bericht zu tun hatten. Für Entwicklung ist die Deza zuständig.

Die haben auch geantwortet und finden den Bericht gut.

Worauf die Pressesprecherin zwei, drei nicht so nette Dinge über die Deza sagt, die sie nicht zitiert sehen will. Später ruft ein anderer Mitarbeiter des Seco an, kann aber auch nicht weiterhelfen.

Das tut dafür die Deza: Vom Seco habe sich niemand mit dem IAASTD-Prozess befasst, heisst es dort. Und es scheint, dass sich beim Seco auch niemand für seine Resultate interessiert. So kann die WOZ an dieser Stelle nicht allzu viel mitteilen. Nicht das, was wir wollten, zumindest.