Dick Marty: «Weiterschweigen ist ungesund»

Nr. 25 –

Der FDP-Ständerat fordert eine Parlamentarische Untersuchungskommission.

WOZ: Dick Marty, aus US-Regierungs- und Geheimdienstkreisen wurde der WOZ bestätigt, dass die Aktenvernichtung im Fall Tinner auf Ersuchen der USA erfolgt sei und dabei Spuren gelöscht werden sollten, die Rückschlüsse auf die Rolle des CIA erlaubt hätten. Überrascht Sie das?
Nein, es ist nur eine Bestätigung meiner bisherigen Vermutungen. Ich sah bis jetzt keine andere logische Erklärung für die Aktenvernichtung. Wäre es nur um die Baupläne gegangen, hätte man sie ja auch einfach versiegeln können. Ich hatte bei diesem Fall immer ein ungutes Gefühl.

Weshalb?
Es herrscht seitens der Behörden ein Mangel an Information, und daraus entsteht ein Klima der Konfusion. Der Bundesrat hätte über den Fall abschliessend informieren können, ohne die Baupläne preiszugeben. Und er könnte es weiterhin tun.

Hatten Sie weitere Gründe für die Vermutung, dass auch Daten beseitigt wurden, die dem CIA schaden könnten?
James Risen, ein seriöser Rechercheur, hat in seinem Buch «State Of War» zur Geschichte des CIA einen interessanten Hinweis zu den Tinners geliefert: Risen schreibt, der CIA habe dem Iran selbst Pläne für Atombomben zugespielt - allerdings mit technischen Fehlern versehen, damit nichts passiert. Aber die Iraner sind ja nicht blöd, die haben die Fehler bemerkt. Mit diesen Bauplänen werden gefährliche Spiele betrieben.

Sie haben als Sonderermittler für den Europarat zwei Berichte zu den Geheimgefängnissen und den Geheimflügen der CIA verfasst – wie ordnen Sie den Fall Tinner in Ihre Erkenntnisse ein?
Ich habe immer stärker den Eindruck, dass es historisch einen roten Faden gibt von den Geheimarmeen nach dem Zweiten Weltkrieg zur Terrorbekämpfung heute. Die Geheimarmeen, beispielsweise Gladio in Italien oder P-26 in der Schweiz, sollten bei einer Invasion der Sowjetunion Widerstand leisten. Aufgestellt wurden sie von der Nato.

Worin besteht nun die Verbindung zur Terrorbekämpfung?
Eine sensationelle Sache in meinem zweiten Bericht wurde von der Presse kaum wahrgenommen: Nämlich, dass sich die Nato Anfang Oktober 2001 in Athen in einer geheimen Sitzung traf. Die Amerikaner beriefen sich auf Artikel 5 des Verteidigungsbündnisses, wonach sie militärisch angegriffen worden seien. Die Terrorbekämpfung stand fortan unter der Führung des CIA. Alle Nato-Staaten machten mit. Und dazu auch die Schweiz.

Und was war die Folge?
Eine Kultur des Geheimen mit entsprechenden Mechanismen. Die Geheimhaltung wird zur Staatsräson erklärt. Es gibt von den USA keine Wiedergutmachung für den 2003 in Mazedonien entführten Khaled al-Masri. In Italien wird alles darangesetzt, dass es keinen Prozess gibt zum Kidnapping Abu Omars 2003 in Mailand. Weil nicht darüber gesprochen werden soll. Und im Fall Tinner werden im Geheimen Akten vernichtet.

Gefangene, an denen auch andere Staaten ein Interesse haben, werden demnach zum Spielball der Aussenpolitik.
Ja, weil wirtschaftliche Interessen höher gewichtet werden als institutionelle Grundrechte. Die Schweiz tolerierte Überflüge des CIA, unter anderem mit dem entführten Abu Omar. Wirtschaftlich ging es damals um ein Freihandelsabkommen mit den USA. Die Schweiz vernichtet jetzt die Akten in einem laufenden Strafverfahren. In den USA gerät gerade die UBS und damit das Bankgeheimnis unter Druck. Ich sage nicht, dass es einen direkten Zusammenhang gibt.

Aber?
Dass es um Machtverhältnisse geht. Ein kleiner Hund geht keinen Pitbull stören.

Der Bundesrat handelte also im vorauseilenden Gehorsam: Er vernichtete die Akten und erhoffte sich einen wirtschaftlichen Vorteil.
Das ist noch zu positiv formuliert. Es ging ihm bestenfalls darum, einen Nachteil, einen Schaden zu verhindern. International gelten keine ethischen Gesetze, sondern Machtgesetze. Ein Staat muss sich überlegen, ob er sich für Gesinnungsethik einsetzen will: ob er sich für die Wahrheit starkmachen will, koste sie, was sie wolle. Oder ob er sich von der Verantwortungsethik leiten und in erster Linie das Staatsvolk und den Wohlstand schützen will.

Sie plädieren für die Gesinnungsethik?
Nein, reine Gesinnungsethik wäre verantwortungslos. Umgekehrt werden mit dem Argument Verantwortungsethik heute viel zu viele Konzessionen gemacht, welche für die Demokratie und den Rechtsstaat gefährlich werden. Man kann von Opportunismus sprechen. Der Staat braucht eine ethische Grundlage.

Sind Sie in diesem Sinn für eine Untersuchungskommission?
Ich habe bisher gesagt, man sollte eine einsetzen, wenn der Bundesrat nicht rasch eine weitgehende Erklärung abgibt. Ja, im Moment bin ich für eine Puk. Das Weiterschweigen ist ungesund. Es gab einen klaren Bruch der Gewaltenteilung. Und es stellt sich immer mehr die Frage nach der Tätigkeit der ausländischen Geheimdienste bei uns. Nach ihren Beziehungen zu unseren Geheimdiensten und nach ihrer Aufsicht.

Dick Marty

FDP-Ständerat Dick Marty (63) machte sich als Tessiner Staatsanwalt einen Namen in der Verfolgung des organisierten Verbrechens und der Drogenkriminalität. 1989 wurde er Regierungsrat, 1995 Ständerat, drei Jahre später Mitglied des Europarates. Dieser ernannte ihn 2005 zum Sonderermittler zu Geheimgefängnissen und Geheimflügen des CIA in Europa. Im ersten Bericht kritisierte Marty unter anderem die Schweizer Regierung wegen ihrer Tolerierung von Geheimflügen. Im zweiten Bericht, der im letzten Sommer erschienen ist, bezeichnete er die Existenz von Geheimgefängnissen in Polen und Rumänien als erwiesen. Für seine Arbeit wurde Marty mehrfach ausgezeichnet.

Geschreddert

Die Affäre Tinner wurde in der WOZ bereits ausführlich verfolgt: In «Die drei Lügen von Pascal Couchepin » widerlegte Andreas Zumach die Aussage des Bundesrats, internationale Abkommen hätten ihn zur Vernichtung der Akten gezwungen. In «Von Zierfischen und Zentrifugen » skizzierten Harry Rosenbaum und Kaspar Surber den Thriller zwischen Grabs SG und Islamabad. Ausserdem erschien der Artikel «Die Bombe liegt im Schrank der CIA ».