Kapitalismusanalyse: Das Schlaraffenland ist gründlich abgebrannt

Nr. 32 –

Ein Häuschen auch für die Ärmsten und fette Gewinne für die FinanzmanagerInnen - so sollte das eigentlich funktionieren. Wie konnten Probleme mit US-amerikanischen Subprime-Hypotheken, einem kleinen Segment der Finanzmärkte, eine globale Systemkrise auslösen?


«Die Krise hat alles überstiegen, was man sich vorstellen konnte», sagte Marcel Rohner, Konzernleiter der UBS, im vergangenen Frühling. Gleichermassen ratlos gibt sich auch Nationalbank-Vizepräsident Philipp Hildebrand, der im Juli die Finanzkrise so kommentiert hat: «Es gab wohl niemanden, der sich diesen Ablauf, diese Rasanz, mit der sich die Initialzündung rund um den Globus verbreitet hat, vorstellen konnte.»

Wenn Hildebrand «niemanden» sagt, dann redet er allerdings nur vom neoliberalen Mainstream in der Ökonomie. Ausserhalb dieser Denkschule, der sich auch die Nationalbank verschrieben hat, gab es überall auf der Welt BeobachterInnen und KommentatorInnen, die nicht überrascht waren.

Krise, welche Krise?

Ende Juli, nachdem die Grossbank Credit Suisse (CS) für das zweite Quartal 2008 einen höheren Gewinn als erwartet gemeldet hatte, titelte der Zürcher «Tages-Anzeiger»: «Credit Suisse sagt der Finanzkrise Adieu». Zum Quartalsergebnis der Bank Bär hiess es im gleichen Blatt: «Julius Bär bietet der Finanzkrise die Stirn». Die Märkte sahen es anders. Bereits am nächsten Tag sanken die Kurse der CS-Aktien und zahlreicher anderer Finanzpapiere. Auch in New York, London und Frankfurt ging die Rallye der Finanzaktien, ein kurzes Aufleben der Titel bei grundsätzlich fallenden Kursen, am 25. Juli zu Ende. Die stützenden Staatseingriffe der US-Regierung auf den Finanzmärkten hatten jenes Zwischenhoch für Finanztitel ausgelöst, das rasch verpufft war.

Marktturbulenz oder Systemkrise, so lautet hier die Frage. Ist bloss wieder einmal eine Finanzblase geplatzt, wie im New-Economy-Crash 2000/2001 und in den diversen Kursstürzen der achtziger und neunziger Jahre? Oder stecken die globalisierten Finanzmärkte in einer Systemkrise, ist die Funktionsweise von Märkten, Institutionen und Instrumenten des Weltfinanzwesens korrumpiert?

Das US-amerikanische Finanzsystem, der Kern der globalisierten Finanzmärkte, wäre zusammengebrochen, wären da nicht die stützenden Staatskredite gewesen, die im August 2007 notfallmässig gewährt wurden. Und diese Rettungsübung nimmt kein Ende. Ein Jahr danach, Anfang August 2008, sind die Kreditprogramme des Federal Reserve System, der US-Zentralbank, zur Stützung des Bankensystems ausgeweitet und bis 2009 verlängert worden.

Überholtes neoliberales Dogma

Staat raus aus der Wirtschaft, die Märkte regeln sich am besten selber - dieses Dogma gilt für die US-Finanzmärkte nicht mehr. Auch der härteste Neoliberale ruft nach dem Staat, wenn es keine Gewinne mehr zu privatisieren gibt, sondern Verluste sozialisiert werden müssen. Heute reguliert die US-Regierung unter George Bush das Finanzsystem im Geiste einer Doktrin, die als Sozialismus für die Reichen bezeichnet werden kann. Die verbilligten Zentralbankkredite an inländische Banken sind eine Staatsgarantie für das Vermögen der Reichen. Bezahlen müssen der inländische Mittelstand und die inländischen Armen sowie mittelfristig auch ausländische InvestorInnen in den US-Dollar.

Trauerspiel in drei Akten

Wie kam es, dass vor einem Jahr die Krise eines verhältnismässig kleinen Segments der US-Finanzmärkte schlagartig die gesamten US-Börsen und die globalisierten Finanzmärkte kontaminierte? Warum hat sich die Krise weiter verschlimmert? Die Produktewursterei des Finanzkapitalismus präsentiert sich wie ein Trauerspiel, als Dreiakter mit Prolog und vorläufigem Finale furioso.

Vorspiel: Von Prime zu Subprime

Hypothekarkredite auf Wohnimmobilien gehören zu den wichtigsten Kreditformen und gelten für KreditgeberInnen als solides Geschäft, weil sie pfandgesichert sind. Bis zum Ausbruch der Krise hatten die USA einen zweigeteilten Hypothekarmarkt.

Zum einen gab es das regulierte Segment mit Belehnungsgrenzen und Bonitätsanforderungen an die KreditnehmerInnen, die von den beiden grossen halbstaatlichen Hypothekarinstituten Fannie Mae und Freddie Mac definiert wurden. (Die kuriosen Namen, Verballhornungen komplizierter Kürzel, haben sich eingebürgert. Die beiden Unternehmen waren in der Wirtschaftsdepression der dreissiger Jahre im Zug der staatsinterventionistischen «New Deal»-Politik von US-Präsident Franklin D. Roosevelt gegründet worden.)

Der andere Teil des Hypothekarmarktes beinhaltete das nicht regulierte Segment: den sogenannten Subprime-Sektor ohne Belehnungsgrenzen und Bonitätsanforderungen, der dafür höhere Gebühren und schlechtere Konditionen für KreditnehmerInnen mit sich brachte.

In den Achtzigern war das Subprime-Geschäft noch klein, aber seit Beginn der neunziger Jahre wuchs es rasant. Die im Bonussystem bezahlten HypothekenverkäuferInnen von Subprime-Banken wie Countrywide oder IndyMac gewährten KreditnehmerInnen immer freigiebiger Hypotheken. Als Sicherheit setzten die KreditverkäuferInnen nicht nur auf die Zahlungsfähigkeit der SchuldnerInnnen, sondern auf den künftigen Preisanstieg des Pfandes, also des Grundstückpreises. Die Produktion von Subprime-Hypotheken wurde zur grossen Geldmaschine.

Parallel zur Ausdehnung der Kreditvergabe gingen die Subprime-Institute dazu über, die einzelnen Hypotheken in Wertpapieren zu verbriefen. Damit folgten sie einem Trend, der auch in anderen Sektoren des Bankenwesens einsetzte. Verbriefung heisst: Die Hypotheken wurden nicht mehr als Aktivposten in den Bilanzen aufgeführt, sondern als Wertpapiere weitergehandelt. Dazu gründeten die Subprime-Institute Anlagegesellschaften, denen sie eine grosse Zahl der von ihnen gewährten einzelnen Hypotheken verkauften.Das nötige Geld beschafften sich diese schwach kapitalisierten Gesellschaften aus Schuldverschreibungen und Obligationenanleihen. Solche Subprime-Papiere waren lange gut verkäuflich. Sie galten als sicheres Anlageprodukt, weil die Zinszahlungen ihrer HypothekarschuldnerInnen für einen konstanten Einkommensstrom sorgten und weil sie eine positive Bewertung der Rating-Agenturen vorweisen konnten.

1. Akt: Von Subprime zum Derivat

Subprime-Papiere sind Anlageprodukte, deren Ertrag aus den anfallenden Zinszahlungen der HypothekarschuldnerInnen besteht. Finanzderivate sind Wetten auf die künftige Preisentwicklung von Basiswerten aller Art. Bei einer Kombination entstehen sogenannte strukturierte Hypothekarprodukte mit - vermeintlich - präzis definiertem Risikoprofil. Der Clou solcher Produkte ist, dass die InvestorInnen bei der Geldanlage aus einer breiten Palette vom Hoch- bis zum Tiefrisikoprodukt wählen können, anstatt nur auf ein Produkt zu fixem Zins angewiesen zu sein, das mit Hypotheken gesichert ist. Solche strukturierten Immobilienprodukte sind eine Mischform von Investition und Spekulation. Erstinvestoren waren in aller Regel nicht Private, sondern Hedgefonds und Investmentbanken, also Zwischenhändler, welche dann mit diesen Papieren einen Sekundärhandel für mittlere und kleine InvestorInnen aufzogen.

Nachdem der New-Economy-Crash von 2000/2001 die Aktienbörsen zum Absturz gebracht hatte, explodierte das Geschäftsvolumen mit strukturierten Subprime-Hypothekarprodukten. Wer in der Welt der Hedgefonds und Investmentbanken Rang und Namen hatte, stieg ein. 2005 begann die Ausfallquote bei den Zinszahlungen der Hypotheken zwar anzusteigen. Aber das kümmerte die Branche wenig. Ebenso wenig beunruhigte der gleichzeitig einsetzende Preisrückgang für Wohnimmobilien. Die FinanzingenieurInnen schraubten in ihren Marktmodellen einfach die Ausfallquote höher und pumpten neue strukturierte Produkte ins System.

Zu einer grösseren Reaktion kam es erst Anfang 2007. Nachdem die Rating-Agenturen die Bonitäten bestehender Produkte zurückgestuft hatten, bauten einzelne vorsichtigere AkteurInnen ihre Positionen in den stukturierten Subprime-Produkten ab. Die Kurse sanken, und es wurden immer weniger neue Produkte angeboten.

2. Akt: Zu viele Papiere

Im August 2007 erlitt der Finanzkapitalismus einen Herzinfarkt. Das Platzen der Subprime-Blase spielte sich wie folgt ab: Einige Hedgefonds aus dem Umfeld der Investmentbank Bear Stearns setzten die Rücknahme von Kapitalanteilen aus mit der Begründung, der Wert dieser Anteile könne nicht mehr eingeschätzt werden, weil der Bestand an strukturierten Subprime-Produkten nicht mehr zu bestimmen sei.

Diese Meldung war aus zwei Gründen eine Katastrophe. Zum einen blockierte sie die Kapitalrückzahlung an verkaufswillige Fonds-InvestorInnen. Zum anderen bedeutete das Bekenntnis der FinanzingenieurInnen den Super-GAU für den Handel mit solchen Produkten: Wenn die Hedgefonds einer Investmentbank wie Bear Stearns ihre Produkte nicht mehr bewerten können, dann haben auch andere EigentümerInnen solcher Produkte ein Problem.

Innert weniger Tage sank die reale Nachfrage für Subprime-Produkte auf null. Schlagartig zeigte sich den AkteurInnen, dass ihr Business von der Marktwirtschaft zur Modellwirtschaft mutiert war. Strukturierte Subprime-Produkte waren ein von der Realwirtschaft völlig entkoppeltes, rein virtuelles Computerprodukt geworden. Ihr Preis ist keine Funktion des real erwirtschafteten Mietertrages mehr, sondern eine Funktion eines mathematisch modellierten Marktes. Weil Nachfrage null in diesem Modell nicht vorgesehen war, mussten die Preisbildungsmodelle der FinanzingenieurInnen versagen.

3. Akt: Zu wenig Geld

Der Schock am Subprime-Markt trocknete die Liquidität auf dem Interbankenmarkt über Nacht aus. Solange nicht klar war, wie Subprime-Produkte bewertet werden mussten und wer wie hoch bei den kollabierten Hedgefonds engagiert war, wollten die Banken einander kein Geld mehr leihen. Weil die Banken ohne das Interbankengeschäft nicht stabil arbeiten können und weil die globalisierten Finanzmärkte ohne die Banken nicht funktionieren, mussten die Zentralbanken eingreifen. Zur Verhinderung einer Liquiditätskrise im Bankensystem öffneten die Zentralbanken der USA, Britanniens und Kanadas, die Europäische Zentralbank (EZB) und die Schweizerische Nationalbank einen Kreditschalter. Dort erhielten die Banken zinsgünstige Kredite gegen eine Hinterlegung von unverkäuflichen strukturierten Produkten.

Nach dieser Geldinjektion der Zentralbanken signalisierten die Bankbosse im September 2007 vorschnell Entwarnung. Marcel Ospel und seine Kollegen gingen davon aus, dass die Subprime-Krise rasch überwunden werden könne. Doch die Illusion hielt sich nicht lange. Im Herbst 2007 war klar, dass strukturierte Finanzinstrumente im dreistelligen Milliardenbereich unverkäuflich geworden waren. Immer mehr Banken waren gezwungen, den Geldschalter der Zentralbanken zu beanspruchen. Gleichzeitig war die Vergabe von neuen Subprime-Hypotheken völlig zum Erliegen gekommen, und die Preise für Wohnimmobilien sanken rasant.

Nachdem die Zentralbanken ihre Stützaktion zum Jahresabschluss 2007 nochmals intensivieren mussten, reagierte auch die Aktienbörse, wo die Kurse, ausgenommen bei den Finanztiteln, noch relativ wenig gesunken waren. Seit Beginn 2008 zeigt der Trend für die Aktien in allen Bereichen deutlich nach unten.

Bis zum Februar dieses Jahres kam es dank des billigen Geldes der Zentralbanken zu einer gewissen Konsolidierung im Bankensystem. Einigen stark angeschlagenen Instituten gelang es, neues Kapital von staatlichen Vermögensfonds und von mittelöstlichen Milliardären zu beschaffen. Dazu gehörten etwa die UBS, aber auch die US-amerikanischen Institute Citigroup oder Merrill Lynch.

Im März 2008 verschärfte sich die Krise aufs Neue. Die bedeutende US-Investmentbank Bear Stearns geriet nach neuen zweistelligen Milliarden-Abschreibern von strukturierten Finanzprodukten in eine existenzbedrohende Liquiditätskrise. Sie musste mit einer Garantieerklärung des US-Finanzministeriums vor dem Bankrott bewahrt und zwangsweise mit der Investmentbank JPMorgan Chase fusioniert werden.

Finale Furioso: Fannie und Freddie

Am 13. Juli kehrte die Krise dann dorthin zurück, wo knapp ein Jahr zuvor alles begonnen hatte, zum US-Hypothekarmarkt für Wohnimmobilien: Nach dem Subprime-Segment kam auch das Prime-Segment des Hypothekenmarktes in eine schwere Krise. US-Finanzminister Henry Paulson erliess eine Notverfügung, wonach die erwähnten Hypothekarinstitute Fannie Mae und Freddie Mac auf Staatskredite in theoretisch unbegrenzter Höhe zurückgreifen dürften. Fannie und Freddie kaufen und garantieren Hypotheken, deren SchuldnerInnen eine Bonitätsprüfung bestanden haben. Überdies kennen sie ähnliche Belehnungsgrenzen für Immobilien, wie sie auch in der Schweiz gelten. Die beiden Institute haben eine enorme Bedeutung, weil sie ein Drittel aller US-Hypothekarkredite vergeben und darüber hinaus für die Hälfte aller US-Hypotheken eine Garantieerklärung abgelegt haben.

Grund für die Krise bei Fannie und Freddie sind nicht die erstklassigen Hypotheken, sondern dieselben strukturierten Hypothekarprodukte, die den Kollaps des Subprime-Geschäftes hervorgerufen haben. Gemäss der Analyse des Londoner Wirtschaftsmagazins «Economist» hielten die beiden Institute einen Riesenbestand an Subprime-Produkten, von denen sie laut ihrem definierten Geschäftsfeld, das sich auf erstklassige SchuldnerInnen beschränkte, eigenlich hätten die Finger lassen müssen. Die nötigen Abschreiber auf ihren Subprime-Produkten konnten Fannie und Freddie nicht verkraften, weil sie dank ihrer impliziten Staatsgarantie mit sehr wenig Eigenkapital ausgestattet sind.

Alles, was seit Sommer 2007 auf den Finanzmärkten geschah, ist nicht Ursache, sondern Wirkung. Die Ursache der Finanzkrise hat zwei miteinander verbundene Aspekte, einen technischen und einen politischen. Finanztechnisch ist die Systemkrise eine Folge des massenhaften, unregulierten Einsatzes von Finanzderivaten als Bausteine strukturierter Finanzprodukte. Politisch ist die Finanzkrise eine Folge des Niedergangs der Supermacht USA, die die globalisierten Finanzmärkte machtpolitisch garantiert.

Finanztechnisch gesehen griff die Krise im Sommer 2007 vom Geschäft mit strukturierten Hypothekarprodukten blitzschnell auf das systemnotwendige Interbankengeschäft über, weil der private Geldschöpfungsprozess, die dem massenhaften Einsatz von Derivaten eigen ist, zum Erliegen gekommen war.

Das Prinzip dieses privaten Geldschöpfungsprozesses besteht darin, dass zwei Spekulanten eine Wette abschliessen und beide - also auch der zukünftige Verlierer - ihre schriftlich festgehaltene Wettposition während der Laufzeit der Wette gegen Geld weiterverkaufen können. Solange dieser Sekundärmarkt funktioniert, kann der Verlierer seinen Verlust beim Ablauf der Wettfrist jeweils durch eine neue, gegen Geld verkäufliche Wettposition decken. Wenn er geldgierig ist, kommt er mit immer riskanteren Wetten zu immer mehr Geld. Dieser private Geldschöpfungsprozess ist das Herz des angloamerikanischen Finanzkapitalismus neoliberaler Prägung.

Nach dem Absturz der Hedgefonds von Bear Stearns verpuffte das gegenseitige Vertrauen der drei bis vier Dutzend Grossinstitute, die das Geschäft mit strukturierten Hypothekarprodukten kontrollieren. Ohne Vorwarnung liehen sich diese Institute gegenseitig kein Geld mehr aus und akzeptierten keine dieser neu aufgelegten strukturierten Produkte mehr. Jeder misstraute jedem. Denn jeder wusste, dass die Eigenfinanzierung mittels der den Derivaten eigenen Geldschöpfungskraft ausgetrocknet war. Und ausgetrocknet würde sie auch bleiben, solange keine neuen strukturierten Hypothekarprodukte mehr aufgelegt werden konnten und keiner wusste, bei wem die wertlosen Papiere lagen.

Den Vertrauensverlust verstärkt hat zudem ein politischer Faktor, nämlich die schrumpfende Macht der USA. Deren Banken dominieren den Handel mit Derivaten und strukturierten Produkten, und sie profitieren am meisten von diesem Markt. US-Institute machen etwa achtzig Prozent der drei bis vier Dutzend systemtragenden Grossinstitute aus. Die Banken in China, Indien, Russland, Südamerika und auch in Kontinentaleuropa dürften von einer Schwächung des US-Bankensystems profitieren.

Manche Grossinstitute haben die Krise bislang besser überstanden als andere. Dennoch lässt sich feststellen, dass die Handvoll Schlüsselspieler des Finanzkapitalismus ihre alte Grösse nur dann wieder erreichen, wenn der derivatgetriebene Mechanismus der privaten Geldschöpfung wieder anspringt. Wenn sie also wieder strukturierte Hypothekar- und andere Produkte in Massenauflage herausgeben, verkaufen und handeln können. Doch das scheint auf absehbare Zeit eher unwahrscheinlich. Der grosse Reibach bei den Banken ist erst einmal vorbei.


Der Schweizer Finanzplatz als Konkordanzplatz

Mit ihrem grossen Finanzplatz ist die Schweiz von der Krise stark betroffen. Angeschlagen sind besonders UBS und Credit Suisse sowie die Versicherungsgesellschaften Swiss Re und Zurich Financial. Diese vier kontrollieren zirka achtzig Prozent aller Aktiven im Schweizer Banken- und Versicherungsgeschäft.

Die staatliche Aufsicht über diese vier Institute erfolgte bislang nach dem Grundsatz der Selbstregulation. Es galt die Devise, dass der Standort die vier Finanzgiganten in ihrem Risikomanagement nach Belieben schalten und walten liess. Bis vor einem Jahr frassen der Bundesrat und die Eidgenössische Bankenkommission dem UBS-Chef Marcel Ospel aus der Hand. Die Überwachung von UBS und Credit Suisse durch die Bankenkommission war eine reine Alibiveranstaltung. Insbesondere die volkswirtschaftlichen Risiken der strukturierten Finanzprodukte wurden von der Schweizer Banküberwachung völlig verkannt.

Mit Selbstregulation und Servilität muss jetzt Schluss sein, das hat auch der Präsident der Bankenkommission, Eugen Haltiner, erkannt. Die von ihm geforderte obere Verschuldungsgrenze für die Grossbanken ist der richtige Weg, um den Appetit auf grosse Gewinne und damit grosse Risiken zu beschränken. Eine am Eigenkapital festgemachte, in absoluten Zahlen definierte Schuldengrenze limitiert insbesondere auch das Volumen der strukturierten Produkte und hilft mit, deren destabilisierende Effekte auf die Schweizer Realwirtschaft einzugrenzen.

Einmal in Kraft gesetzt, bedeutet eine solche Schuldengrenze - Neudeutsch auch «leverage ratio» genannt - das Ende des heutigen Geschäftsmodells von UBS und Credit Suisse: der Kombination von Schweizer Vermögensverwaltungsbank und Investmentbank von US-amerikanischem Typ. In den USA ist dieses einst einträgliche Modell bereits eingestürzt. Im Gefolge der Krise sind UBS und CS an der Wall Street gewissermassen zwangsweise ausgebürgert worden. Dies geschah, obwohl sie sich seit Anfang dieses Jahrzehnts voll amerikanisiert hatten und an der Wall Street faktisch auch als inländische Institute agieren konnten. Neuerdings hat sich dies unter dem Banner des staatlichen Finanzinterventionismus der USA geändert. Die Eingriffe von Finanzministerium und Zentralbank (Fed) sind nationalstaatliche wirtschaftspolitische Massnahmen, die dem US-Bankensystem zugute kommen sollen. Und dazu gehören UBS und Credit Suisse jetzt nicht mehr.

Die Nationalbank beteiligt sich als Juniorpartnerin des Fed am neuen US-Finanzinterventionismus. Damit öffnet sie den beiden Schweizer Grossbanken den nötigen Zugang zum Geldschalter der Zentralbanken. Dabei gilt es zu bedenken, dass die Stabilität der Grossbanken und der globalisierten Finanzmärkte nicht deckungsgleich ist mit der Stabiliät des Schweizer Finanzsystems. Sollte die Nationalbank die Stabilität der globalisierten Finanzmärkte höher gewichten als die Interessen des Wirtschaftsstandortes Schweiz, dann könnte es für den Schweizer Werkplatz und die Arbeitsplätze in der Exportindustrie dereinst ein böses Erwachen geben.