Medientagebuch: Neofeudalismus

Nr. 39 –

«Psychisch angeschlagen», so analysiert die NZZ – das publizistische Flaggschiff der Schweizer Wirtschaft – die jüngsten Ereignisse auf den Finanzmärkten. Eine Redaktorin braucht das Wort «manisch-depressiv». Für den Nationalbankdirektor Daniel Heller ist es «die Gier», welche von Zeit zu Zeit eine Krise mit verursacht, wie er in der «NZZ am Sonntag» schreibt. Dabei habe der Ablauf der Krise nichts Ungewöhnliches an sich, so Heller, die verlaufen nämlich immer nach demselben Muster. Alles sei einer bestimmten Mechanik untergeordnet, aus der es keine Flucht gibt: Auf den Knall folge der Katzenjammer und alsbald die Regulierungswut.

Der Banküberwacher Daniel Zuberbühler wiederum hat als guter Mechaniker die Risikomodelle der Banken überprüft, alles in Ordnung befunden, und versteht auf Radio DRS nicht so ganz, was denn schief gelaufen ist. Ein anderer Beobachter der Szene offenbart in der Zeitung, man habe einen Ferrarimotor in einen Personenwagen eingebaut, das müsse ja schief gehen.

Es ist von Mechanik die Rede, vom Menschen als Untertan der Maschinen und von den menschlichen Eigenschaften. Als ob es nie eine Aufklärung gegeben hätte, als ob sich die Menschen nie aus ihrer Unmündigkeit befreit hätten. Tatsächlich schreibt Gerhard Schwarz als Quintessenz eines Leitartikels in der NZZ resigniert: «Damit im Zusammenhang steht (...) die Einsicht, dass die Wirtschaft von Menschen gebildet und gemacht wird, dass Ökonomie letztlich Psychologie ist. Alle Gesetze der Welt werden die Menschen nicht zu besseren Menschen machen und werden sie auch nicht umerziehen.» Das ist mittelalterliches, religiöses Denken: Letztlich ist alles Schicksal! Es ist die Philosophie einer feudalen Gesellschaft: oben der gottgewählte König, unten die einfachen Menschen, die sich wie Marionetten zur ewig gleichen Melodie bewegen. Danach befinden wir uns nicht in einer neoliberalen, sondern in einer neofeudalen Gesellschaft, errichtet auf dem absurd gross gewordenen Unterschied zwischen Reich und Arm. Da erscheint nur schon der Kraftakt der US-Regierung, die Krise mit Staatshilfe aufzufangen, als eine unerwartete und daher mutige Handlung, als ein Versuch, sich gegen die Macht des Schicksals aufzulehnen!

Es gehe uns allen besser, heisst es, wenn die USA die von der Finanzkrise ausgehenden Schockwellen abfange. So könne eine grosse Depression, wie sie Ende der zwanziger Jahre die ganze Welt heimsuchte, verhindert werden. Ausgearbeitet wurde das Paket von denselben Kreisen, die die Krise verursachten. Und wer trägt die Kosten? Die amerikanischen Steuerzahler? Wohl nur beschränkt: Die Kapitalmärkte, über welche die US-Staatsschulden abgewickelt werden, sind international organisiert. Und die US-Notenpresse dürfte bald auf Hochtouren laufen, um den Schuldenberg per Inflation abzubauen und global zu verteilen. Das spüren wir. Die nächste Zinssenkungsrunde bei den Pensionskassen ist schon angesagt. Dabei läuft die Schweizer Wirtschaft zurzeit gut.

Die SpekulantInnen und Börsenjongleure aber, die das Ganze verursacht haben, werden einmal mehr abzocken. Wohl werden einige Sündenböcke medienwirksam geopfert werden, aber der grosse Rest wird weiterhin benötigt: Die US-Schuldenwirtschaft muss bewirtschaftet werden. Die Verarbeitung der Krise eröffnet gleichzeitig neue Perspektiven für globale Spekulationen ausserhalb der künftig stärker regulierten Bankenwelt.

Veränderungen? NZZ-Wirtschaftschef Schwarz beschwört die «schöpferische Zerstörung», wie sie der Ökonom Joseph Schumpeter als notwendig für Veränderungen sieht. Ein zwiespältiger Traum! Denn eine Redimensionierung des Finanzsektors, eben dessen «schöpferische Zerstörung», würde auch die Existenz der NZZ gefährden, die von den Inseraten der Finanzwelt lebt. Selbstverständlich wird auch das Verursacherprinzip – sonst ein Standardargument – in diesem Fall nicht erwähnt. Es ist nirgends davon die Rede, die Verantwortlichen in den Hedgefonds und Banken, die an den Spekulationen gross verdienten, für das angerichtete Unheil zur Kasse zu bitten. Bankrotter kann eine Ideologie wohl kaum sein.

Wolfgang Hafner beschäftigt sich mit Heiligen und Finanzmärkten. Im Sommer ist von ihm im Luzerner Rex-Verlag das Buch «Wie Verena zur Heiligen wurde» erschienen.

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