Durch den Monat mit James K. Galbraith (Teil 1): Volkes Zorn?

Nr. 40 –

WOZ: Herr Galbraith, haben Sie persönlich auch Geld verloren in der gegenwärtigen Finanzkrise?
James K. Galbraith: Ich kontrolliere meinen Kontostand nicht regelmässig, das wäre reine Zeitverschwendung.

Können Sie – nicht als Wirtschaftskommentator, sondern als Amerikaner der Mittelklasse – mit den üblichen finanziellen Abhängigkeiten wie Hypothek, Pensionsgeldern und Konsumkrediten, Ihr Schicksal überhaupt beeinflussen?
Das Paradoxe an der jetzigen Situation ist: Individuen können sich durchaus schützen, falls sie zahlungsfähig bleiben und konservativ – etwa in Staatsanleihen – investieren. Das System als Ganzes kann sich aber nicht erhalten, wenn die Leute so reagieren. Die Börsentätigkeit nimmt ab, das zum Betrieb von Unternehmen verfügbare Kapital nimmt ab, Lohnarbeitende verlieren ihren Job.

Ein sehr begrenzter und ambivalenter Einfluss also.
Wenn sich alle einzeln vor dem finanziellen Ruin schützen wollen, ist am Ende niemand geschützt.

In Ihrem Buch «The Predator State» (Der Räuberstaat) beschreiben Sie ein ökonomisch unverantwortliches Klima – so wie wir es jetzt haben. Kann man sich in einer solchen Umgebung überhaupt ökonomisch verantwortlich verhalten?
In erster Linie muss man politisch handeln. Man muss für eine Umgebung sorgen, die regulierend eingreift, die einerseits ökonomisch verantwortliches Verhalten belohnt und andererseits ökonomische Raubzüge bestraft. Wir brauchen dazu einen umfassenden Wechsel der Wirtschaftsphilosophie, der Wirtschaftsfachleute und der Wirtschaftspolitik. Einen andern Ausweg gibt es nicht.

Ist die US-Bevölkerung reif für einen solchen Umschwung? Wird der spontan entflammte Zorn das Volk politisieren?
Es wäre ein vielversprechender Anfang, wenn das Volk realisieren würde, dass es gerade jetzt in dieser Frage eine klare Wahl treffen kann. Senator McCain ist ein reines Produkt dieses Systems, er ist ganz und gar in die herrschende Finanzarchitektur eingebunden. Senator Obama ist es nicht. Und dieser fundamentale Unterschied zeigt sich in ihren politischen Programmen.

Kommen wir von diesen Zukunftsplänen zurück zum vorliegenden Bail-out-Plan über 700 Milliarden US-Dollar, der im Kongress so heiss umstritten ist. Ist dieser Plan noch ein Element des räuberischen Staates oder schon der erste Schritt davon weg?
Er ist etwas dazwischen, ein Provisorium, ein Lückenbüsser. Der Plan ist sicher weniger räuberisch als das bisherige Verhalten der Regierung. Er enthält eine Menge guter Absichten, aber wenig Druckmittel, um diese Absichten durchzusetzen. Im besten Fall erlaubt ein solcher Plan dem Finanzministerium das System bis zum Januar zu stabilisieren, wenn alle gegenwärtigen Akteure von der politischen Bühne verschwinden sollten.

Nehmen wir an, Barack Obama gewinnt im November die Wahlen. Hat er ökonomische Berater, die in ihrer Analyse so weit gehen wie Sie?
Senator Obama hat Berater aus vielen ökonomischen Lagern, darunter auch Mentoren von mir selber.

Haben Sie einen direkten Einfluss auf den demokratischen Präsidentschaftskandidaten?
Das ist schwer abzuschätzen. Ich bleibe jedenfalls in Verbindung mit dem Obama-Camp.

In Ihren eigenen Texten empfehlen Sie ganz andere wirtschaftliche Stützmassnahmen als das Bail-out von Wall Street. Sie schlagen zum Beispiel staatliche soziale Ergänzungsleistungen an Rentnerinnen und Rentner vor, die in der Krise ihre Pensionsgelder verloren haben. Hoffen Sie, die neue Regierung bewegt sich in eine solche Richtung?
Ich beschäftige mich im angesprochenen Text mit der Situation der Hausbesitzer, der Pensionierten, der lokalen Verwaltungen, die alle akut unter der Krise leiden. Es ist wichtig, ihre Situation zu berücksichtigen, wenn der finanzielle Eingriff Erfolg haben soll. Warum? Wenn das Einkommen von Leuten, die Hypotheken abzahlen müssen, sinkt, dann gibt es mehr Zwangsversteigerungen. Die gegenwärtig als schlecht bewerteten Anlagen werden noch schlechter. Einem Viertel aller Subprime-Hypotheken droht bereits heute die Pfändung. Diese Zahl könnte in schwindelnde Höhe klettern, wenn die Situation noch schlimmer wird.

Sie sagen, die finanzielle Lage muss auch unten, beim ökonomischen Fussvolk, korrigiert werden, nicht bloss an der Spitze?
Die Korrekturen unten, auf der Einkommensseite, sind eine unabdingbare Voraussetzung für die Korrektur der Hochfinanz.

Der US-Ökonom JAMES K. GALBRAITH (56) lehrt Politik und Wirtschaft an der Lyndon B. Johnson School of Public Affairs der Universität von Texas. Sein neuestes Buch heisst: «The Predator State: How Conservatives Abandoned the Free Market and Why Liberals Should Too» (Free Press 2008).