Finanzkrise: Gemeinsam bluten

Nr. 41 –

Europas Banken krachen, Island wankt, alle versuchen, sich selbst zu retten - geht jetzt ganz Europa unter?


Dramatischer gehts nimmer. Fast im Stundentakt krachen die Banken, die Börsen beben, die Aktienkurse brechen ein, die AnlegerInnen flüchten wieder mal in Massen - diesmal aus den Finanzwerten. Nach dem Krach an der Wall Street hat die internationale Finanzkrise Europa voll erwischt. Selbst die hartnäckigsten SchönrednerInnen wie der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück schwadronieren plötzlich anders herum und profilieren sich als UnheilsprophetInnen.

Dumm nur, dass Steinbrück und Co. an ihr Schöngerede geglaubt haben. Deshalb stehen sie jetzt mit offenem Mund und leeren Händen da. Sie haben kein Konzept für die Krise, weder einen Plan A noch einen Plan B, weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene. Also wursteln sie mit Ad-hoc-Massnahmen weiter, um die AnlegerInnen und die SparerInnen zu beruhigen. Alles, nur keine Panik, kein Run auf die Banken. So retten die Regierungen einzelne Banken um die Wette, gelegentlich, wie im Falle der belgisch-niederländischen Fortis oder der belgisch-französischen Dexia auch in konzertierter Aktion. Banken werden verstaatlicht oder teilverstaatlicht. Inbrünstig werben die KrisenbeschwörerInnen von Angela Merkel bis Gordon Brown um das Vertrauen der SparerInnen. Längst geht es nicht mehr um einzelne Finanzhäuser: Das ganze europäische Bankensystem ist von der Krise erfasst worden. Da die europäischen Regierungen sich nicht so hemmungslos verschulden können, wie die US-Regierung das kann, muss Rhetorik leisten, was die Staatskasse nicht hergibt. Für eine Freikaufaktion im Stil des US-Rettungspakets fehlt ihnen das Geld. Das Dilemma ist offensichtlich. Die Schwergewichte unter Europas Banken sind zu gross, als dass ein einzelner Nationalstaat die drohenden Verluste noch stemmen könnte. Auf der anderen Seite fehlt der EU selbst das Geld, weil die Mitgliedsstaaten sie finanziell an der kurzen Leine halten.

Um die deutsche Hypo Real Estate zu retten, haben die Bundesregierung und die Banken nächtelang gefeilscht. Anfangs ging es um 35 Milliarden Euro als Bürgschaft, wovon 26,6 Milliarden die Regierung stellen sollte. Über Nacht taten sich weitere Finanzlöcher in Milliardenhöhe auf, nun liegt die offizielle Summe der Regierungs- und Bankbürgschaften bei 50 Milliarden Euro. Am vergangenen Sonntag verkündete Bundeskanzlerin Merkel, die Spareinlagen, Girokonten und Festgelder in ganz Deutschland seien sicher. Wer sie beim Wort nahm, durfte an eine vollständige Garantie für sämtliche privaten Guthaben glauben, weit über die gesetzliche Einlagensicherung hinaus.

Irland ging voran in diesem Spiel. Die irische Regierung übernahm erst für sechs irische Banken die vollständige Garantie aller Einlagen, sattelte dann drauf und erklärte, mit bis zu 400 Milliarden Euro für alle Geschäfte ihrer Banken haften zu wollen - dies zum Verdruss der EU-Kommission, die darin eine Wettbewerbsverzerrung sieht. Ein Land nach dem anderen zog nach. Griechenland verkündete eine unbegrenzte Garantie für Bankeinlagen, die britische Regierung erhöhte am vergangenen Freitag die Obergrenze der staatlichen Einlagensicherung von 35 000 auf 50 000 Pfund pro Einlage. Die EU-FinanzministerInnen rauften sich die Haare und gipfelten in Luxemburg: Ein Notplan muss her.

Geschocktes Island

Das kleine Island sorgte für den nächsten Schock. Per Notstandsgesetz versucht die isländische Regierung, das Finanzsystem vor dem Kollaps zu retten. Die drei isländischen Grossbanken haben sich überall in Europa, in Skandinavien, in Deutschland, in Grossbritannien eingekauft, ihre Schulden betragen rund das Neunfache des isländischen Bruttosozialprodukts. Wenn sie fallen, sind nicht nur die IsländerInnen bankrott, es werden auch viele andere europäische Banken ins Wanken geraten. In der Vorwoche wurde die Glitnir-Bank für 600 Millionen Euro zu 75 Prozent verstaatlicht, dann wurde der Börsenhandel mit Finanzwerten in Reykjavik gestoppt. Inzwischen hat der Inselstaat alle drei Banken übernommen und eine Garantie für sämtliche Haushypotheken der 320 000 IsländerInnen abgegeben. Leisten kann er sich das, weil ihm die russische Regierung wohl mit einem Kredit in Milliardenhöhe beispringen wird.

Es kracht gewaltig in der EU. Die FinanzministerInnen haben sich vorläufig auf eine Erhöhung der gesetzlichen Einlagensicherung geeinigt - von 20 000 Euro auf künftig 50 000 Euro. Wer will, kann bis zu 100 000 Euro pro Einlage garantieren. In Grossbritannien wird mittlerweile eine Komplettgarantie nach deutschem Vorbild gefordert. Britische Grossbanken haben eine neuerliche Finanzspritze in Höhe von mindestens 50 Milliarden Pfund erhalten. Eine befristete Verstaatlichung der Bankriesen, vor wenigen Wochen noch völlig undenkbar, scheint das einzige Mittel zu sein. Die EU-FinanzministerInnen haben sich inzwischen für das Überleben «aller wichtigen Banken» oder «systemrelevanter Finanzinstitute» verbürgt. Big is beautiful, wer nur gross genug ist und ordentlich Milliardensummen verzockt hat, wird auf Staatskosten gerettet.

Springen oder auseinanderfallen

Weiterer Krach in der EU ist also programmiert. Ein gemeinsamer Notfonds ist vorläufig vom Tisch. Die Regierungen werden um die Wette ihre notleidenden Banken (teil-)verstaatlichen oder freikaufen. Banken mit Staatsgarantie werden mit Banken ohne staatlichen Regenschirm konkurrieren. Im Augenblick tun die Regierungen noch so, als hätten sie es mit nationalen Bankensystemen zu tun. Die Bank- und Finanzaufsicht ist nach wie vor national, die europäischen Grossbanken sind das schon lange nicht mehr. Auch im Finanzsektor ist die EU die am stärksten integrierte Wirtschaftsregion der Welt. Wenn eine Bank abstürzt, reisst sie andere mit sich - ohne Rücksicht auf Landesgrenzen. Die europäischen SteuerzahlerInnen werden gemeinsam haften und bluten müssen - die einen allerdings mehr als die anderen. Wenn es ums Geld geht, hört die Freundschaft auf. In der Krise aber hilft kein Vertagen und Schönreden. Die EU muss jetzt springen - oder sie fällt auseinander.