Finanzkrise: Die frommen Banker

Nr. 43 –

Während führende Finanzinstitute weltweit in Konkurs oder Staatshand schlittern, bleibt das islamische Bankensystem von der Krise verschont. Vorerst.


Im Iran lacht man sich derzeit ins Fäustchen. «Seht nur: Die uns wegen unserem Atomprogramm in die Krise stürzen wollten, werden nun von Gott mit einer Rezession bestraft», proklamierte Ayatollah Ahmed Chatami beim Freitagsgebet in Teheran. Andere geistliche Würdenträger gingen sogar so weit, das Ende der westlichen, liberalen Demokratie und des Kapitalismus auszurufen.

Der Hohn kommt nicht ohne Grund: Im Gegensatz zu den Börsen der benachbarten arabischen Golfstaaten überstand die Islamische Republik die Auswirkungen der internationalen Finanzkrise unbeschädigt. Man werde davon sogar noch profitieren, ist Mohammad Nahavandian, Chef der iranischen Handelskammer, überzeugt. Das ist sicher übertrieben. Ebenso wie die Behauptung, dass man aufgrund der eigenen wirtschaftlichen Unabhängigkeit gegen die Auswirkungen der Finanzkrise immun geblieben sei. In Wirklichkeit sind es die von den USA und dem Uno-Sicherheitsrat auferlegten Sanktionen, die den Iran vom internationalen Finanzmarkt abkoppelten und ihn ironischerweise so vor dem Schaden bewahrten.

Dies gilt zumindest, was die Börse betrifft. Das Bankensystem wäre auch ohne Sanktionen stabil geblieben. Denn im Iran, wie auch im Sudan oder in Pakistan, sind Geldinstitute verpflichtet, nach islamischen Prinzipien zu arbeiten. Dieses auf der Scharia basierende System bewahrte auch alle anderen islamischen Banken im Nahen Osten und in Europa vor grossen Verlusten. Der Grund ist einfach: Kreditvergaben und spekulative Finanzprodukte wie Derivate, welche die Krise in den USA auslösten und nach Europa überschwappen liessen, sind im «Islamic Banking» verboten. Grundsätzlich gilt: Geld wird nicht gegen Zins verliehen - es wird in Form einer Beteiligung investiert. Denn Zins nehmen ist verboten (siehe Kasten).

Schuldscheine sind tabu

«Anders als die meisten Banken Europas und der USA sind wir nicht am Handel mit Schuldscheinen beteiligt», erklärt der Vorsitzende der Union Arabischer Banken, Adnan Ahmed Yousef. «Die konventionellen Banken wussten oft nicht, was für Schuldscheine sie kauften», gibt Steven Amos von der Islamic Bank of Britain zu bedenken. Hinter diesen Scheinen hätten oft unzureichende Einlagen gestanden. Solche ungedeckten Kredite in Milliardenhöhe waren es, die Kredit- und Investmentbanken - darunter auch die bekannte Lehmann Brothers in New York - zu Fall brachten und eine Kettenreaktion auslösten. «Wir als islamische Bank dagegen müssen die Einlagen zuerst besitzen, bevor wir damit Geschäfte machen können.»

Glaubt man Amos, hat die Islamic Bank of Britain seit Beginn der Finanzkrise einen «deutlichen Zuwachs an nicht-muslimischen Kunden» verzeichnen können. In Britannien gibt es heute fünf islamische Banken und weitere zwanzig bekannte Grossbanken, die islamische Abteilungen eröffnet haben. Kein Wunder, verzeichnet doch das «Islamic Banking» jährliche Wachstumsraten von fünfzehn Prozent. «Das gesamte weltweite islamische Anlagevermögen von 300 Instituten übersteigt heute eine Billion Dollar», sagt Mohammed Kamal von der Bank of Malaysia - «fünfmal so viel wie vor fünf Jahren; und die Tendenz ist steigend.» Schliesslich gebe es weltweit eineinhalb Milliarden MuslimInnen. Selbst wenn man nur zwei bis drei Prozent von ihnen als potentielle KundInnen in Betracht ziehe, sei das ein grosses Zielpublikum.

Die ersten Banken, die ohne Zinsen arbeiteten, entstanden in den sechziger Jahren in Ägypten - auch wenn sie sich noch nicht ausdrücklich als islamische Banken bezeichneten. 1974 wurde dann von arabischen Regierungen die Islamic Development Bank gegründet. Damit sollten nach Scharia-Prinzipien Projekte in ökonomisch rückständigen Mitgliedsländern gefördert werden.

Die ersten explizit islamischen Geschäftsbanken entstanden Ende der siebziger Jahre in Dubai, Kuwait und im Sudan. In den achtziger Jahren erfolgte mit der Gründung der Bank Islam Malaysia die Ausweitung des Konzepts nach Südostasien. Seit Beginn der neunziger Jahre sind islamische Banken rund um den Globus zu finden. Gründe für diese Entwicklung sind einerseits die zunehmende Rückbesinnung auf den Islam und andererseits der seit den siebziger Jahren wachsende Wohlstand im Nahen Osten.

Der Aufschwung der islamischen Banken ist direkt mit dem Bauboom in den Ländern am Golf verknüpft. Investitionen in Immobilien erzielen hier seit Jahren hohe Gewinne und führen zu einer Absicherung der islamischen Fonds.

Bald ein Liquiditätsproblem?

Wie lange noch, ist allerdings ungewiss: «Das islamische Bankwesen, das in den letzten achtzehn Monaten kaum von der Krise berührt wurde», sagt Danie Marx von der European Islamic Investment Bank, «könnte in einer zweiten Welle getroffen werden.» Bei den derzeit sinkenden Ölpreisen könnte schon bald ein Liquiditätsproblem entstehen, meint Marx. Zudem ist es wahrscheinlich, dass die Werte der Immobilien künftig sinken. Der Bauboom werde nicht ewig andauern.

Von einem solchen Rückgang will der Finanzminister von Bahrain, Scheich Ahmed Al Chalifa, nichts wissen. Statt im Ausland zu investieren, habe man zu Recht in der Golfregion investiert - und das überaus erfolgreich. «Daran wird sich auch in den nächsten Jahren nichts ändern.»

Tatsächlich breiten sich am Horizont jedoch erste Wolken aus. Laut der Consulting-Agentur Collier International stiegen die Immobilienpreise in Dubai im zweiten Quartal um sechzehn Prozent - ganze 26 Prozent weniger als im ersten Quartal.



Der satanische Zins

Das «Islamic Banking» verbietet Zinsgeschäfte. «Diejenigen, die Zins verschlingen, stehen nicht anders auf, als einer aufsteht, den Satan mit Wahnsinn geschlagen hat.» So steht es im Koran. Und auf diesen Vers berufen sich die islamischen Gelehrten bei ihrem Verbot von Zins, arabisch «ribaa» (was auch Wucher bedeutet). Zudem sind kurzfristige Risikogeschäfte verboten, «haram».

Da aber eine Marktwirtschaft ohne Zinsen nicht auskommt, haben sich die Gelehrten Konzepte ausgedacht, um das Verbot zu umgehen. Zum Beispiel das Muscharaka: Statt einen festen Zins auf geliehenes Geld zu erheben, beteiligen sich die Investierenden als PartnerInnen am entsprechenden Geschäft. Gewinne oder allfällige Verluste werden anschliessend unter den Beteiligten aufgeteilt. Oder das Murabaha: Statt etwa Geld für den Kauf von Immobilien zu verleihen - wie es in den USA im grossen Stil betrieben wurde - kauft eine islamische Bank das Haus zu mindestens achtzig Prozent. Der Kunde zahlt dann - wie bei einem normalen Kredit - monatlich eine Rate, bis er das Haus abbezahlt hat. Zwar erhält die Bank mehr Geld zurück, als sie ausgegeben hat. Dies wird jedoch nicht als Zins, sondern als Ausgleich für die Wertsteigerung der Immobilie verstanden.

Kein Alkohol, keine Waffen

Bereits existieren unzählige Scharia-konforme Finanzinstrumente. So gibt es neben Sukuks (Obligationen) mittlerweile auch islamische Rückversicherungen, Rentenpapiere und sogar Hedgefonds. Damit die laufend neu lancierten Finanzprodukte den Prinzipien des Islamic Banking entsprechen, müssen sie von einem Scharia-Rat überprüft werden. Neben den Zinsgeschäften sind auch Investitionen in Branchen, die mit Waffen, Drogen, Alkohol, Schweinefleisch, Pornografie oder Glücksspielen ihr Geld verdienen, verboten.

Das islamische Zinsverbot existiert aber noch nicht seit langem. Erst als ägyptische Banken Ende des 19. Jahrhunderts ihre Kunden mit Wucherzinsen in die Schulden trieben, hat sich unter den Gelehrten die Debatte um ein Verbot entwickelt. Zum eigentlichen Durchbruch des Islamic Banking und des Zinsverbots kam es erst in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Und noch heute ist das Zinsverbot unter islamischen Rechtsgelehrten umstritten. Denn das islamische Recht ist flexibel: Neben dem Wortlaut des Korans und den Taten des Propheten besteht die Scharia aus dem Konsens der Gelehrten sowie aus dem sogenannten Analogieschluss. Der Koranvers, auf den sich die Gelehrten für das Zinsverbot berufen, kann deshalb bestenfalls als dessen Basis, nicht aber als dessen Ursache gedeutet werden.

«Unsere Kunden sind gläubige Muslime»

Auch seine Bank sei gegen die Finanzkrise nicht immun, erklärt Marco Rochat, Chef der Faisal Private Bank in Genf - der einzigen «islamischen Bank» in der Schweiz.

WOZ: Herr Rochat, ist ihre Bank von der Finanzkrise betroffen?

Marco Rochat: Ja, aber nicht besonders stark. Wir investieren vor allem in den USA und in Osteuropa in Mietshäuser - nach Scharia-Prinzipien (vgl. «Der satanische Zins»). Die Mietzinse, die wir daraus ziehen, sind von der Krise nicht betroffen. Unsere Häuser sind derzeit gut ausgelastet. Denn viele US-Amerikaner, die sich ihr Haus nicht mehr leisten konnten, ziehen in Mietwohnungen um. Allerdings verspüren wir im Immobilienhandel einen gewissen Rückgang.

Islamische Banken gelten derzeit als relativ sicher. Fliessen Ihnen neue Kundengelder zu?

Nein, wir haben fast keine lokalen Kunden. Unsere Klienten sitzen im Nahen Osten. Und die haben nun Angst, in Europa zu investieren. Sie legen ihr Geld lieber lokal an. Denn niemand weiss, ob die Finanzkrise in Europa die Talsohle bereits erreicht hat.

Auch Sie sind gegen die Finanzkrise nicht immun?

Nein, die Auswirkungen sind schwer abzuschätzen - die Märkte reagieren zurzeit völlig irrational.

Warum haben Sie keine Schweizer Kunden?

Weil wir eine Nische besetzen. Unsere Bank ist für gläubige Muslime, die ihr Geld ethisch anlegen wollen.