Finanzkrise-Demos: Schimpfen allein ändert nichts

Nr. 46 –

Warum sich die Wut bisher nicht auf der Strasse entladen hat und wie konkrete Forderungen dennoch Tausende zur Demonstration vom Samstag mobilisieren sollen.


Die Mobilisierungen anlässlich der Finanzkrise waren bisher ein kleines Desaster. Eine Woche nach dem 68-Milliarden-Deal zur Rettung der UBS standen 500 Leute auf dem Paradeplatz in Zürich, so wenige, dass sogar die Trams noch fahren konnten. Eine Woche später in Bern versammelten sich 200 Seelen zu einer nicht nur temperaturmässig etwas unterkühlten Kundgebung. Nicht besser erging es autonomen Kreisen in Biel, wo vor einer Woche gerade einmal 60 Personen die Abschaffung des Kapitalismus forderten. Und in Basel, wo ein Ad-hoc-Komitee von Privatpersonen zu «Donnerstagsdemos» aufgerufen hatte, liessen sich in den letzten drei Wochen nie mehr als die paar Dutzend der «üblichen Verdächtigen» mobilisieren, weshalb das Komitee die Übung nun abgebrochen hat.

Schweizweit ist die Ernüchterung gross, und die OrganisatorInnen der verschiedenen Kundgebungen sind sich im Grundsatz einig, dass es einerseits vielen Leuten (noch) an konkreter persönlicher Betroffenheit fehlt und dass andererseits ein grosser Nachholbedarf besteht, was eigene Analysen und Forderungen betreffe.

«Wir sind etwas ratlos und bemalen Schilder mit unseren alten, angestaubten Sprüchen», sagt etwa Mathias Stalder, der sich an der libertären Mobilisierung in Biel beteiligt hat. «Und wir haben es nicht einmal geschafft, viele unserer eigenen Leute zu mobilisieren, geschweige denn in die Breite zu gehen.» Das käme nicht von ungefähr, man habe es in den letzten Jahren versäumt, an eigenen, konkreten Inhalten zu arbeiten. Stattdessen sei man «überall hingerannt, wo es gerade gebrannt hat».

Selbstkritisch zeigt sich auch der Präsident der JungsozialistInnen, Cédric Wermuth: «Am Anfang haben wir uns auf die Forderung nach der Rückzahlung der Boni beschränkt und es dabei verpasst, die Diskussion auf Grundsätzlicheres auszuweiten.» Immerhin habe die Juso als Organisation profitiert, habe man doch zwischen siebzig und hundert neue Mitglieder gewinnen können.

Auch Peter Sigerist vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) ist sich bewusst, dass es für eine Bewegung mehr braucht «als Schimpfen». Zwar sei im Gespräch auf der Strasse, in den Leserbriefspalten und in Umfragen zu sehen, dass die Leute empört seien. «Gleichzeitig herrscht aber eine grosse Verunsicherung, was und ob man überhaupt etwas verändern kann.» Sigerist verweist auf die gut besuchte Veranstaltung des Denknetzes als Beleg für einen hohen Diskussions- und Analysebedarf in der Linken. «Man muss jetzt neue Formen des Sozialismus diskutieren, aber nicht einfach nur mit den alten Ansätzen und Begriffen.» Doch vorerst versuchen die Gewerkschaften, die noch immer vorhandene Empörung in der Bevölkerung an konkrete Forderungen zu knüpfen. So wird im Aufruf zur vom SGB lancierten Kundgebung vom Samstag in Zürich (vgl. Flugblatt) nicht wie bisher nur gegen «Abzockerei» gewettert, sondern auch ein Impulsprogramm für die Wirtschaft und ein Ja zur AHV-Initiative gefordert. «Was ist uns mehr wert: der Finanzplatz oder eine hundertmal günstigere Stärkung der wichtigsten sozialen Säule in diesem Land?», fragt Sigerist. Trotz der bisherigen Mobilisierungsprobleme rechnet er mit einigen Tausend TeilnehmerInnen. Und überhaupt wisse man ja in diesen «überraschungsvollen, hektischen Zeiten nie, wann die Bereitschaft zu handeln - und nicht nur zu parlieren - plötzlich viele packt». Roland Sidler von der Unia Region Bern wiederum warnt: «Wenn die Linke nicht mobilisiert, dann laufen wir Gefahr, von der Rechten überlaufen zu werden. Und dann wird es ganz ungemütlich in diesem Land.»