Steckborn am Untersee TG: Der Notar, der durch den Garten kam

Nr. 12 –

Eine Witwe zerreisst ihr Testament, in dem Millionen für eine Stiftung vorgesehen waren, die vom Steckborner Stadtammann präsidiert wird. Das Geld schenkt sie stattdessen ihrer einzigen Tochter. Worauf die Behörden die Frau entmündigen und das Geld von der Tochter zurückfordern.


An der Schifflände blinkt die Sturmwarnung. Die Sonne scheint, der Himmel ist bewölkt, warm, eisig kalt, alles zugleich, wegen des böigen Windes. Der Windsurfer, nicht unweit vom Turmhof ins Wasser gestiegen, ist in knapp einer Minute bereits drüben am deutschen Ufer, dann ein blitzschnelles Wendemanöver, und wieder zurück. Steckborn: eine Idylle. Jetzt: grosse Sorge um das Image! «Ich kann es nicht glauben, 24 Negativmeldungen in der ‹Thurgauer Zeitung› in den letzten Wochen», sagt ein Polizist.

Der Grund für die Reise nach Steckborn ist der Fall Turmhof. Paris hat den Eiffelturm, Pisa den schiefen Turm - Steckborn hat den Turmhof. Der Stolz auf den Postkarten. Nebenbemerkung: Auch immer auf den Postkarten: ein Haus mit langem Kamin. Dort ist der Schreibende aufgewachsen. Vom Wohnzimmerfenster konnte man in den See springen. Der Turmhof laut Inschrift: «Vom Reichenauer Abt Albrecht von Ramstein 1282 errichtet. Ab 1521 Freisitz im Jagdprivileg im Gemeindebann Steckborn. 1639 an die Stadt. 1856 bis 1864 Schule. Seit 1937 Heimatmuseum. Heute Stiftung Turmhof (Kulturzentrum)».

Hans Peter Hausammann, Mittelstufenlehrer damals, führte uns einmal monatlich in das Prunkstück, um unser Heimatbewusstsein zu schärfen. Dass solch ein Turm auch Geld kostet, war uns damals natürlich nicht klar, dem Hausammann muss das damals schon gedämmert haben, und ganz sicher bewusst war es den Ortskoryphäen Alfred Muggli (Exkantonsarzt) und Jost Gross (Ex-SP-Nationalrat, selig). Diese fundraisten ab 2002 für den Turm: Sie gingen das Ehepaar Alfred und Doris Hertner-Diethelm um Millionen an (das Anhängsel ist wichtig, von der Diethelm-Seite kam der Geldsegen).

«Ein substantieller Beitrag»

Jost Gross schrieb 2002 an die Tochter von Doris Hertner: «Sehr geehrte Frau Cao, ich bin von der Heimatvereinigung am Untersee als Mieterin des Ortsmuseums im Turmhof Steckborn beauftragt, die Stiftung zur Rettung, Erhaltung und Sanierung des Turmhofs voranzutreiben. Es soll verhindert werden, dass der Turmhof in spekulative Hände kommt. Ihrer Mutter, Frau Hertner, wäre es ein Herzensanliegen, etwas zum Zustandekommen dieses Stiftungsprojektes beizutragen, und zwar durch einen substantiellen Beitrag an das Dotationskapital der Stiftung, die gleichzeitig ihren Mädchennamen Diethelm tragen würde.»

Als Rechtsanwalt und Politiker wusste Gross, wie man die Sache ein bisschen schönredet. Denn mit «Beitrag» meinte er: Das alte Ehepaar sollte mit seinen Millionen die Stiftung finanzieren. Aus dem Heimatmuseum sollte ein kultureller Leuchtturm werden. Mit den Worten Thomas Baumgartners (Stadtammann, Präsident Stiftung Turmhof und Präsident Vormundschaftsbehörde): «Ausstellungen, Vorträge, Konzerte, Theater, Gastronomie, Museum ... Alles unter einem Dach, das ist die Philosophie.»

Das Ehepaar Hertner-Diethelm stiftete drei Millionen Franken. Die Stiftung war geboren, im Rat Einsitz nahmen Ex-FDP-Nationalrat Ernst Mühlemann und CVP-Ständerat Philipp Stähelin. Und Hausammann, der Lehrer. 2004 hielt das Ehepaar Hertner-Diethelm im Testament fest, dass bei ihrem Ableben weitere vier Millionen Franken in die Stiftung fliessen sollten. Im Dezember 2006 starb Alfred Hertner. Im Jahresbericht 2006 der Stiftung Turmhof schrieb Thomas Baumgartner optimistisch: «Das Ziel von maximal vier Millionen Franken an Drittmitteln kann in zwei bis drei Jahren erreicht werden.»

Im November 2007 erschien im «Beobachter» ein Artikel. Es ging um den Turmhof und die Stiftung. Doch im Artikel war von der Euphorie zur Zeit der Stiftungsgründung nichts mehr zu lesen. Der Ton war ein anderer. Der Artikel trug den Titel: «Jagd auf die Millionen einer alten Dame». Und er warf den Behörden von Steckborn vor, der Witwe Doris Hertner-Diethelm ihre Millionen abjagen zu wollen.

«Keine weiteren Millionen»

2009: Die vor zwei Jahren in die Kritik geratenen Behörden stellten sich bis heute auf den Standpunkt, sich wegen des Amtsgeheimnisses nicht zum Fall äussern zu können. Bereits gibt es von einer Privatperson bezahlte Annoncen im Lokalblatt «Bote vom Untersee»: «Bitte entbindet die Behörden vom Amtsgeheimnis! Wir wollen endlich die Wahrheit hören!» Auf Ersuchen des Reporters hat Doris Hertner-Diethelm die Behörde exklusiv für die WOZ in Bezug auf ihren Fall vom Amtsgeheimnis befreit. Damit die Behörde ihren Standpunkt darlegen kann. Was Stadtammann Thomas Baumgartner und Notar Markus Donatsch in einem Gespräch dann tun. Beim Gegenlesen ziehen sie alle Zitate zurück. Begründung von Stadtammann Baumgartner: «Ich nehme in keinem Artikel Stellung, in dem auch Doris Hertner-Diethelm Stellung nehmen kann. Sie hatte ihre Bühne zur Genüge.» Ein bisschen schimmert es durch, auch wenn es Baumgartner nicht offen ausspricht: Könnte der Reporter im Dienst der Gegenpartei stehen? Ging es ihm bei seinem Bemühen, auch die Behörde zu Wort kommen zu lassen, gar nicht um einen journalistischen Fairnessanspruch? Fakt ist: Der Reporter ist weder Behörde noch Hertner-Diethelm. Und die Möglichkeit, sich endlich äussern zu können, nutzt die Behörde nicht.

Und so spricht die in Ordnern vorliegende Aktenlage: Nach dem Tod ihres Mannes am 4. Dezember 2006 widerruft die damals 83-jährige Doris Hertner-Diethelm ihr Testament (inklusive den Turmhof-Millionen). Es habe nicht mehr ihrem Willen entsprochen. Sie habe während ihres Ehelebens im Schatten des männlichen Befehlshabers gestanden, das Frauenstimmrecht sei ja auch erst 1971 eingeführt worden, und mit der Stiftung Turmhof sei sie nicht mehr zufrieden. Die für die Stiftung vorgesehenen Millionen schenkt sie ihrer einzigen Tochter Marianne Cao-Hertner. Diese teilt das umgehend Stadtammann Thomas Baumgartner mit. «Auf Wunsch meiner Mutter sagte ich ihm, dass die Stiftung keine weiteren Millionen bekommt», sagt Marianne Cao-Hertner.

«Sämtliche Transaktionen stoppen»

Anfang Januar 2007: Alfred Hertner ist noch immer nicht beigesetzt. Jetzt beginnt das Spektakel. Es geht um eine Witwe, die, wie sie heute sagt, «aus Naivität heraus» Vollmachten unterschreibt, die sie nicht versteht, darunter ihre eigene Entmündigung. Es geht um eine Behörde, die formal katastrophal - statt nach sorgfältiger Abklärung - zuerst eine Beistandschaft und dann eine Vormundschaft über die Witwe beschliesst.

Die Behörden behaupten heute, die Tochter habe die Mutter manipuliert und eiskalt das Geld «abdisponiert». Das geht aus den Akten hervor. Man habe versucht, die Witwe vor ihrer Tochter zu schützen. Für die Familie Hertner-Diethelm (Mutter und Tochter) ist der Fall auch klar: In seiner Dreierfunktion sorgt sich Thomas Baumgartner als Stadtammann um das Image Steckborns, als betroffener Stiftungspräsident gerät er in Panik, weil Millionen ausbleiben. Als Präsident der Vormundschaftsbehörde will er das Geld mit der Entmündigung der Witwe zurückholen.

Im Januar 2007 taucht bei Doris Hertner-Diethelm Turmhof-Stiftungsrat Hans Rudolf Gachnang auf, den sie seit Jahren nicht mehr gesehen habe, der aber, so sagt sie im Gespräch, «für mich früher wie ein Sohn war». Deshalb sei sie nicht misstrauisch geworden, als dieser sie gedrängt habe, einen von ihm für den nächsten Tag festgelegten Termin beim Notar der Gemeinde, Markus Donatsch, wahrzunehmen. «Ich dachte, es geht um Formalitäten beim Nachlass.» In, laut ihren Angaben, völliger Unkenntnis, was sie da unterschrieben habe, und unwissend, dass Donatsch in diesem Moment nicht als Notar, sondern als Sekretär der Vormundschaftsbehörde geamtet habe, unterzeichnet sie am 11. Januar 2007 eine vorformulierte «Beistandschaft auf eigenes Begehren», inklusive eines unüblichen Rechtsmittelverzichtes, eines Verzichts auf eine Bedenkfrist. Sie habe dazu eingewilligt, weil sie gewollt habe, dass die Behörde umgehend ihre Interessen vertrete, gibt Notar Donatsch später vor Verwaltungsgericht zu Prot okoll.

Interessen, die Doris Hertner-Diethelm laut eigenen Aussagen gar nicht wahrgenommen haben will. Interessen gegen die eigene Tochter: Ziel der Behörde ist es, die bereits auf Konten der Tochter bei UBS und Credit Suisse transferierten Millionen zurückzufordern. Die Behörde verpflichtet den Kreuzlinger Anwalt und Expräsidenten der Kantonalbank, Peter Lindt. «Die Vormundschaftsbehörde erhoffte sich von mir einen raschen Zugang zu den beiden Grossbanken», schreibt dieser in einer den Fall betreffenden Stellungnahme an die Anwaltskommission. Seine Dienste werden Steckborn allein 2007 fast 60 000 Franken kosten. Mit einer von Doris Hertner-Diethelm unterzeichneten Vollmacht (Hertner: «Ich kann mich nicht erinnern, diese unterzeichnet zu haben») fordert Lindt die Banken auf, «sämtliche Transaktionen zu stoppen, zu blockieren und rückgängig zu machen». Die Tochter habe 6,7 Millionen Franken «abdisponiert»: «Diese Abdisposition sämtlicher Vermögenswerte erfolgte ohne Wissen, ohne Willen und insbesondere ohne ausdrückliche Ermächtigung von Frau Doris Hertner.» Die Banken lehnen Lindts Forderung ab: «Die Transaktion war rechtmässig.»

Am 17. Januar, nur sechs Tage nachdem sie die Beistandschaft unterschrieben hat, widerruft Doris Hertner-Diethelm diese. Sie schreibt zwei Briefe. Einen dem Rechtsanwalt: «Sehr geehrter Herr Dr. Lindt, ich habe mit Entsetzen vernommen, dass Sie - in meinem Namen - gegen meine einzige Tochter Marianne Cao-Hertner ein Verfahren einleiten wollen, um sie zu zwingen, die von mir an sie geschenkten Vermögenswerte zurückzuerstatten. Ich weiss nicht, was Sie auf diese absurde Idee gebracht hat.» Einen zweiten Brief schickt sie an Notar Donatsch: «Sehr geehrter Herr Donatsch, ich bitte Sie, den von mir beauftragten Beirat zu annullieren, da meine Tochter die Reglung meiner Angelegenheiten selbständig übernehmen wird. Ich bin leider von falschen Voraussetzungen ausgegangen und ich entschuldige mich für die verursachten Umtriebe.»

«No schnell es Autogramm, bitte»

Trotz ihrer klaren Worte gegen behördliche Unterstützung entschliesst sich Notar Donatsch, der Witwe am nächsten Tag einen Besuch abzustatten, zusammen mit Anwalt Lindt und dem von der Vormundschaftsbehörde für Doris Hertner-Diethelm bestellten Amtsbeistand Andreas Sieber. Die gegenüber der WOZ gemachten behördlichen Ausführungen zu diesem Besuch: zurückgezogen. Aus den Akten geht hervor, dass die Behörde folgenden Standpunkt vertritt: Der Besuch habe Aufschluss darüber geben sollen, ob die Witwe durch die Tochter manipuliert worden sei, die Beistandschaft aufzuheben. Die Witwe habe diesen Verdacht dann «durch eigene Aussagen» bestätigt.

Nur ein paar Stunden später betritt Notar Donatsch das Haus von Doris Hertner durch den Garten und die Hintertür, legt ihr zwei Verträge auf den Tisch und sagt: «No schnell es Autogramm, bitte.» Bei den Verträgen handelt es sich um eine «Vormundschaft auf eigenes Begehren». Es handelt sich dabei im Wortlaut um das zwei Tage zuvor zurückgezogene Beistandschaftsbegehren. Einzig, dass «Beistandschaft» durch «Vormundschaft» ersetzt wurde. Die Witwe unterschreibt - und soll wieder die Tragweite dessen, was sie unterschrieben hat, verstanden haben. Donatsch nimmt beide Kopien mit. Wieder enthalten die Verträge den höchst unüblichen Rechtsmittelverzicht. Obwohl sie ein massiver Eingriff in das Persönlichkeitsrecht eines Menschen ist, geht die Behörde davon aus, dass für die Vormundschaft keine Abklärungen, etwa eine ärztliches Gutachten, nötig sind. Was normalerweise Monate sorgfältiger Abklärungen in Anspruch nimmt, dauert in Steckborn ein paar Stunden. «Dass ich bevormundet werde, habe ich später zufällig durch meine Haushälterin erfahren, die es im Amtsblatt gelesen hat», sagt die Witwe.


WOZ: Herr Donatsch, wie kamen Sie darauf, den Widerruf der Beistandschaft nicht einfach zu akzeptieren und stattdessen gar eine Vormundschaft zu forcieren?

Markus Donatsch: Antwort zurückgezogen.

Warum betraten Sie durch die Gartentür das Haus Doris Hertner-Diethelms und schickten den Entmündigungsbeschluss nicht wie üblich eingeschrieben per Post?

Antwort zurückgezogen.

Die Mutter sei von der Tochter manipuliert worden. Worauf stützen Sie diese Aussage?

Antwort zurückgezogen.

Wie fand eigentlich der erste Kontakt mit Doris Hertner-Diethelm statt?

Antwort zurückgezogen.


Aus den Verwaltungsgerichtsprotokollen von Doris Hertner-Diethelm:

«Am 17. Januar 2007 haben Sie die Beistandschaft widerrufen. Dann, lediglich zwei Tage später, haben Sie einen Antrag um Entmündigung auf eigenes Begehren unterzeichnet. Wie ging das genau vor sich?»

Doris Hertner-Diethelm: «Ein Behördenmitglied kam durch die Gartentüre zu mir ins Haus und hielt mir ein Schreiben vor, mit dem Ersuchen, er brauche ein Autogramm. Ich Naivling habe einfach unterschrieben.»

«Hat Ihnen das Behördenmitglied erklärt, worum es ging?»

«Nein, er wollte lediglich ein Autogramm von mir. Ich habe erst erkannt, was ich unterzeichnet hatte, als mich meine Tochter darüber aufklärte.»

«Hatten Sie nie die Absicht, sich entmündigen zu lassen?»

«Nein, nie.»


Doris Hertner-Diethelm legt gegen die Bevormundung beim Kanton Rekurs ein. Sie schreibt einen Brief an den Regierungsrat: «Die Abdisponierung (welches Wort!) meiner Vermögenswerte bei den Banken UBS und Credit Suisse durch meine Tochter erfolgte auf meinen ausdrücklichen Wunsch mit den Worten: Dann kann mir niemand etwas nehmen. Wie recht ich mit dieser Entscheidung hatte, zeigt mir die Wut der Zuspätgekommenen.» In seiner Rekursantwort führt Rechtsanwalt Lindt «grosse Spannungen» zwischen Mutter und Tochter auf (als Zeugen: Nachbarn). Innert weniger Wochen hat sich Lindt auf dem Papier vom Anwalt für Doris Hertner-Diethelm (für die Vormundschaftsbehörde, gegen die Tochter) zum Anwalt gegen die Witwe gemausert. Der WOZ liegt eine Anzeige vor, die gegen Lindt wegen dieser Doppelvertretung bei der Thurgauer Anwaltskommission eingegangen ist. Der Ausgang des Verfahrens ist noch offen. Lindt schreibt, die Witwe leide seit Jahren an Depressionen und sei deswegen in Behandlung (ohne Rücksprache mit dem Hausarzt, ob eine Depression Einfluss auf ihre Urteilsfähigkeit habe).

Dokumente, die der WOZ ebenfalls vorliegen, belegen, dass der von der Behörde verordnete Amtsbeistand, Andreas Sieber, am selben Tag, an dem er mit Donatsch und Lindt den Vormundschaftsbesuch macht, ohne Rücksprache mit Doris Hertner-Diethelm deren Hausarzt besucht. Dabei stellt Sieber die Frage, ob die medizinischen Voraussetzungen für eine Bevormundung gegeben seien. Der Hausarzt verneint. Sieber teilt dieses Wissen, laut eigenen Aussagen, auch Rechtsanwalt Lindt mit. Klar ist: Sieber hätte diese Frage gar nicht stellen, der Hausarzt, gebunden an das Arztgeheimnis, hätte sie gar nicht beantworten dürfen (das ist ein Offizialdelikt).

Im März 2007 stellt der Hausarzt dann ein Zeugnis aus: «Ich bestätige, dass Frau Hertner sich in urteilsfähigem Zustand befindet und insbesondere fähig ist, letztwillig über ihr Vermögen zu verfügen.» Der Kanton, der den Rekurs ablehnt, beachtet das Zeugnis nicht; das Verwaltungsgericht in seinem Urteil vom Dezember 2008 hingegen schon. Auf die Fragen, wer aus welchen Motiven gehandelt hatte, geht das Gericht nicht ein. Das formelle Vorgehen der Behörde sei untragbar. Der Rechtsmittelverzicht sei «fragwürdig», die Gartentüreröffnung des Beschlusses «mangelhaft». Das Gericht verfügt die Aufhebung der Vormundschaft, deren «Voraussetzung weder im jetzigen Zeitpunkt noch im Zeitpunkt der Beschlussfassung der Vormundschaftsbehörde am 23. Januar 2007 als erfüllt betrachtet werden kann». Das Vorgehen der Behörde sei unseriös, ein ärztliches Gutachten wäre unabdingbar gewesen. «Einen derart einschneidenden Entscheid hätte sie nicht ohne entsprechende Abklärungen fällen dürfen.» Nachdem die Vormundschaftsbehörde von sich aus keine Abklärungen habe treffen wollen, hätte sie spätestens im März 2007, als das Zeugnis des Hausarztes vorlag, «Anlass gehabt, ihren Beschluss rückgängig zu machen».

Andreas Siebers Besuch beim Hausarzt hat ein juristisches Nachspiel: Gegen den Beistand läuft eine Strafuntersuchung wegen Amtsanmassung, weil er sich gegenüber dem Hausarzt als Mitglied der Vormundschaftsbehörde ausgegeben haben soll (was er als Beistand nicht ist). Zudem, das belegen der WOZ vorliegende Dokumente, durchsucht die Kantonspolizei am 14. Oktober 2008 die Büros von Andreas Sieber, von Notar Donatsch und von Stadtammann Baumgartner auf der Gemeindeverwaltung: um herauszufinden, ob Sieber im Auftrag der Behörde gehandelt hat. Notar Donatsch hatte vor Verwaltungsgericht gesagt: «Niemand von der Vormundschaftsbehörde hatte mit dem Hausarzt telefoniert.»

Besuch bei der alten Dame

Das Verwaltungsgericht hat entschieden. Ruhe aber kehrt in Steckborn nicht ein. Doris Hertner-Diethelm ist überzeugt, dass die Behörden in böser Absicht handelten, dass durch die Verurteilung der rein formellen Aspekte Gerechtigkeit nicht getan sei. Im Februar 2009 verschickt sie eine Broschüre an alle Haushalte in der Gemeinde: «Von der Ehrenbürgerin zum Mündel - wie mutwillig die Steckborner Behörden Steuergelder verschleuderten, um meine Entmündigung zu erzwingen und an mein Vermögen heranzukommen.» Sie legt ihre Sicht der Dinge dar und rechnet vor, dass die Affäre die Gemeinde bisher 225 000 Franken an Steuergeldern gekostet haben soll.

Wir treffen uns an einem Freitag im März 2009. Das Haus ist still, keine Behörde, keine Tochter, nur zwei Chihuahuas, die wild wedelnd den Reporter begrüssen. Sie führt durch das Haus, das sie 1981 selbst konzipiert hat, zeigt hinaus in den Garten, den Teich, da landen Enten, «immer dieselben zwei», zeigt um die Ecke: «Das Gartentor ist neu, höher, damit niemand mehr durch den Garten kommen kann.» Sie schenkt Mineralwasser ein und sagt, sie sei wegen des Segelns nach Steckborn gezogen. Sie sei eine leidenschaftliche Seglerin gewesen. Der Tod ihres Mannes habe sie getroffen. Sie sei aber vor allem froh gewesen, dass er schmerzlos gestorben sei. «Das, was sich seither vor allem verändert hat, ist, dass ich keinen Alkohol mehr trinke. Das macht allein einfach keinen Spass.»

Warum unterzeichnete sie Vollmachten, ohne sie durchzuschauen? «Ich hatte nie schlechte Erfahrungen mit den Behörden gemacht und kannte die Herren, Notar Donatsch etwa, auch. Wie hätte ich ahnen können?» Was über die Tochter und das gemeinsame Verhältnis gesagt werde, sei gelogen. «So etwas würde ich nicht einmal im Traum sagen.» Nach dem Tod ihres Mannes habe sie ihren Vermögensverwalter angerufen und ihn gebeten, die Millionen auf die Konten der Tochter zu überweisen. Und dieser habe das getan. «Kein Druck, nichts.» Sie habe nie Hilfe gesucht, sagt sie. «Ich bin kein Huscheli.» Als wir uns verabschieden, frage ich sie, was die jetzige öffentliche Anprangerung der Gemeinde bewirken soll? «Ich will jetzt gegen diese Gesellen kämpfen. Ich bin nicht die einzige Witwe, die betrogen werden kann.»


WOZ: Haben Sie womöglich Fehler gemacht?

Thomas Baumgartner (in seiner Rolle als Präsident der Vormundschaftsbehörde): Antwort zurückgezogen.

Thomas Baumgartner (in seiner Rolle als Präsident der Stiftung Turmhof): Antwort zurückgezogen.

Thomas Baumgartner (in seiner Rolle als Stadtammann von Steckborn): Antwort zurückgezogen.


Klar ist: Wenn die Behörde am 17. Januar 2007 den Widerruf der Beistandschaft akzeptiert hätte, wäre das Ergebnis dasselbe gewesen wie heute: keine Vormundschaft. Dies ohne Nervenkrieg, Diffamierungen und Anwaltskosten über Hunderttausende Franken. Und Steckborn hätte vielleicht noch seine Ehrenbürgerin. Eine der letzten Dinge, die Doris Hertner-Diethelm in Steckborn getan haben wird, ist, sich 2008 die Annullierung der Ehrenbürgerschaft erkämpft zu haben, die ihr die Behörde 2003 für ihre Millionenspenden an den Turmhof verliehen hatte. Die im Februar in alle Haushalte verteilte Broschüre unterschrieb sie so: «Gründerin der Stiftung Turmhof und ehemalige Ehrenbürgerin von Steckborn».

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