Leitwährung: Der Alte hält sich wacker

Nr. 19 –

Droht nach der Finanzkrise der Währungskrieg? Die Dollarabwertung grollt in der Ferne. Der linke Ökonom Elmar Altvater zu möglichen Folgen.


Wenn es nur Piraten auf der Welt gäbe, wäre der US-Dollar als Reserve-, Leit- und Handelswährung eine sichere Nummer. In einem Interview teilt der an den Lösegeldverhandlungen mit somalischen Piraten beteiligte Ex-FBI-Agent Jack Cloonan mit, dass diese nur Dollars akzeptieren würden und keine Euros oder andere Währungen. Es ist sicher, dass Rohstoffhändler und die Volkswirtschaften mit hohen Exportüberschüssen und satten Devisenreserven in der Weltwirtschaft dem Piratenbeispiel nicht folgen und den Dollar möglichst loswerden wollen. Sie wissen aber nicht so recht wie.

Der US-Dollar wird wie ein alter Platzhirsch von jüngeren Rivalen herausgefordert, kann sich aber immer noch durchsetzen. Von den rund 4200 Milliarden US-Dollar Währungsreserven, die vom IWF eindeutig Währungen zugerechnet werden können, werden rund zwei Drittel (2700 Milliarden US-Dollar) in Dollar gehalten, ein Viertel in Euro (1100 Milliarden), der Rest in anderen Währungen. Der US-Dollar ist also immer noch dominant, wenn auch in abnehmendem Masse: Anfang 2001 entfielen auf den US-Dollar noch fast drei Viertel aller Devisenreserven.

Das Dilemma der Dollarmilliarden

Das langsame Abrücken vom US-Dollar ist nicht überraschend. Das 1959 von Robert Triffin diagnostizierte Dilemma kommt auch fünfzig Jahre später zum Tragen: Die Dollarbestände im Ausland gibt es nur, weil die USA mehr ausgeben als einnehmen, weil sie sich ein Leistungsbilanzdefizit erlauben. Diesem Defizit entsprechen die Überschüsse in anderen Ländern (vgl. Text «Wo sind die Dollars?» weiter unten). Der Platzhirsch Dollar ist also als Reservewährung stark, weil die USA Schulden auftürmen und dadurch den Dollar paradoxerweise schwächen.

Es ist offensichtlich, dass die Wechselkursrelationen des Euro oder des chinesischen Yuan Renminbi und anderer Währungen zum US-Dollar unrealistisch werden, wenn sich die USA über Jahre hinweg ein strukturelles Defizit sowohl im Staatsbudget als auch in der Leistungsbilanz in der Höhe von jeweils fast 900 Milliarden US-Dollar pro Jahr erlauben, während andere Länder spiegelbildlich Leistungsbilanzüberschüsse realisieren und ihre Devisenschätze anschwellen lassen.

Was würde in dieser Situation eine Abwertung des Dollars bedeuten? Die USA könnten ihre Schuldenlast teilweise loswerden und den amerikanischen SteuerzahlerInnen Billionenverluste ihres Finanzsystems ersparen. Innere politische Konflikte wären so zu vermeiden. Eine Abwertung wäre zwar ein Bruch mit der jahrzehntelangen Tradition der Dollarhegemonie. Aber in der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise werden viele bislang heilige Kühe geschlachtet. Die aggressiv-expansive Geld- und Fiskalpolitik der Zentralbank und der Regierungen der USA nimmt die Dollarentwertung offensichtlich in Kauf. Doch der Preis ist hoch: Denn es geht um die Zukunft des US-Dollars als Reservewährung, als Handelswährung, als Ölwährung und als Transaktionswährung für Finanzkontrakte. Das sind die Insignien der US-Hegemonie in der globalisierten Wirtschaft und Politik, wie Zepter, Schwert und Krone für die Macht von Königen.

In der Deflation

Doch im Moment scheint eine Abwertung, also eine Inflation, nicht realistisch, deutet doch alles in die entgegengesetzte Richtung, in Richtung Deflation. Der Rückgang des Preisniveaus wird seit Ausbruch der Finanzkrise 2007 immer deutlicher: Laut OECD wird die Wirtschaft dieses Jahr um 4 bis 6 Prozent schrumpfen, der Welthandel um 13,2 Prozent abnehmen, die Arbeitslosigkeit an die 10 Prozent und mehr betragen, und die Preise werden in den USA um 0,4 Prozent, in Japan um 1,2 Prozent sinken und im Euroraum stagnieren.

Die Bankverluste steigen auf der nach oben offenen Pleiteskala, die Defizite der Staatshaushalte schiessen in die Höhe. In den USA betragen sie inzwischen mehr als 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, in Britannien an die 13 Prozent - eine Folge der Konjunkturspritzen und Rettungspakete. Derzeit wird fast überall mit Bankenrettungs- und Konjunkturpaketen geklotzt - denn welche Regierung möchte sich schon vom Nobelpreisträger Paul Krugman vorhalten lassen, zu zögerlich gehandelt zu haben?

Diese Rosskur kann nur erfolgreich sein, wenn man bereit ist, das Fieber der inneren Inflation und äusseren Währungsabwertung zu ertragen. Noch herrscht die Deflation mit ihren vernichtenden ökonomischen Folgen für Schuldner, aber auch für Arbeitsplätze und Lohneinkommen.

Der Nebel lichtet sich

Doch die Dollarinflation grollt von Ferne: Zentralbanker und Finanzmarktakteure haben ein gutes Gehör und wissen, was kommen kann: Eine Abwertung des Dollars gegenüber anderen Währungen wäre für alle Länder und Währungsräume mit Dollarguthaben schmerzhafter als ein Tritt ans Schienbein. Denn die in Dollar gehaltenen Währungsreserven würden entwertet. Daher «pflegt» China den Dollarkurs, eine Aufgabe, die eigentlich der Federal Reserve zusteht, der US-amerikanischen Zentralbank. Natürlich übernimmt China diese hehre Aufgabe nicht uneigennützig. Ein billiger Dollar würde die Exporte seiner Industrie in die USA erschweren.

Eine Dollarabwertung könnte zudem die Ölexporteure veranlassen, ihr Öl nicht mehr in US-Dollar, sondern in anderen Währungen in Rechnung zu stellen. Das würde dem Land der Hegemonialwährung viel Ärger bereiten.

Doch bisher scheiterten solche Versuche: Nachdem Saddam Hussein das Oil-for-Food-Programm im Jahr 2000 von US-Dollar auf Euro umstellte, marschierten die USA begleitet von ihrer Allianz der Willigen in den Irak ein und schon im Mai 2001 verkündete die OPEC, dass Öl in Zukunft wieder ohne Ausnahme in Dollar fakturiert würde: «Mission accomplished».

Auch die iranische Ölbörse, seit Jahren im Gespräch, hat sich gegen die traditionellen Ölhandelsplätze in London und in New York noch nicht durchsetzen können. Das Öl wird immer noch in US-Dollar fakturiert. Das sichert dem Dollar den Thron. Ein Angriff auf diese Stellung wird daher schwer geahndet: Die Sanktionen gegen den Iran erfolgen nicht wegen der überhaupt nicht zu rechtfertigenden Leugnung des Holocaust durch Ahmadinedschad, sondern als Vorbereitung, um die geplante Entthronung des US-Dollar als Ölwährung zu verhindern - Obama hin, Obama her, beim Öl ist alles Bush.

Allerdings hat der Kraftprotz Dollar eine Achillesferse: die schon oft geäusserte, aber nie wahr gemachte Drohung einer Koalition Öl exportierender Staaten, den US-Dollar als Ölwährung abzuschaffen. Die Golfscheichtümer verfolgen dieses Projekt. Sie haben inzwischen zwei Weltfinanzzentren, Abu Dhabi und vor allem Dubai, um ihr Öl nicht mehr in Dollar, sondern in Euro oder in einem Korb regionaler Währungen zu fakturieren und zu handeln. In Lateinamerika ist ebenfalls ein regionaler Währungsblock im Entstehen.

Alternativen zum US-Dollar?

Es ist zwar wahrscheinlich, dass der Euro gestärkt wird, wenn der US-Dollar an Wert verlieren sollte. Doch die Finanz- und Wirtschaftskrise kann auch einen Strich durch diese Rechnung machen. Denn keineswegs ist es sicher, dass die Staaten Mittel- und Osteuropas den Bankrott abwenden können. Wenn die österreichischen Banken dann abgeschirmt werden müssen, wird sich das Land Kreditlinien durch die Europäische Zentralbank (EZB) einräumen lassen müssen. Ob untadelige Solidität dann das Markenzeichen des Euro bleibt, kann bezweifelt werden. Anders als es vor der Finanzkrise schien, wird der Euro nicht automatisch stärker, wenn der Dollar schwächelt.

Auch der chinesische Yuan Renminbi ist (noch) keine Alternative, da die Währung nicht konvertibel ist. Auf liberalisierten Währungsmärkten mit vielen privaten Akteuren ist die freie Konvertibilität die Voraussetzung dafür, dass eine Währung als Leit-, Reserve-, Handels- und Ölwährung akzeptiert wird. Auch muss der nationale Kapitalmarkt voll in das internationale Finanzsystem integriert sein, damit es keine Handelshindernisse gibt. Das ist in China nicht der Fall. Deshalb hat der chinesische Zentralbankchef Zhou Xiaochuan trickreich vorgeschlagen, den US-Dollar mit «Sonderziehungsrechten» (SZR) als internationaler Verrechnungseinheit zu ergänzen. Das wäre eine internationale Kunstwährung, die es seit 1969 zwischen Zentralbanken und als Rechnungseinheit im IWF gibt. Sie kann sich so lange nicht durchsetzen, wie hinter ihr nur der IWF, nicht aber eine mächtige Zentralbank steht. Doch Zhou beabsichtigt gar nicht, den US-Dollar vom Thron zu stossen, sondern mit dem Vehikel SZR die monopolistische Macht des US-Dollar herauszufordern und die SZR möglicherweise für bestimmte Handelskontrakte in Position zu bringen, vielleicht auch für Ölgeschäfte. Dafür spricht auch die Einfädelung von sogenannten Swap-Geschäften, etwa zwischen China und Argentinien, in denen die beiden Landeswährungen getauscht werden, ohne auf den US-Dollar oder andere Währungen zurückzugreifen.

Das könnte als Rückfall in einen währungspolitischen Bilateralismus interpretiert werden. Doch wird dabei verkannt, dass diese Vielfalt von Währungsregimes durch die Krise der US-Währung provoziert und durch die Finanz- und Wirtschaftskrise zum hegemonialen Chaos zugespitzt worden ist. Es kann sicherlich nicht von heute auf morgen geordnet werden. Es ist heute nicht absehbar, welche einigermassen stabile Konstellation aus dem chaotischen Nebel emporsteigen wird. Der Niedergang der US-Hegemonie in den kommenden zwei Jahrzehnten wird von einer Reihe seriöser Wissenschaftler vorausgesagt. Doch die Nation, die den Staffelstab im globalen Rennen übernehmen könnte, ist nicht in Sicht. Die EU? Es wäre möglich, aber keineswegs sicher. China? Dieses Land ist immerhin mit Alternativen hervorgetreten. Es ist abzuwarten, ob nicht nur der Mund gespitzt, sondern auch laut und vernehmlich gepfiffen wird.



Der Politikwissenschaftler und Ökonom Elmar Altvater (70) gilt als Doyen der marxistischen Wirtschaftswissenschaft. Er untersucht die Strudel der Finanzmärkte ebenso wie die Möglichkeiten einer solidarischen Ökonomie. Altvater lebt in Berlin.

Elmar Altvater: «Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen». Verlag Westfälisches Dampfboot. Münster 2005. 240 Seiten. Fr. 28.90.

Wo sind die Dollars?

Die weltweiten Devisenreserven betragen 6400 Milliarden US-Dollar. Wie sind sie regional verteilt? China hält mit 24 Prozent (1528 Milliarden) den grössten Teil, Japan verfügt über knapp 15 Prozent (948 Milliarden), Russland über 7 Prozent (464 Milliarden), Lateinamerika über 6 Prozent (397 Milliarden) und der Euroraum über 3 Prozent (204 Milliarden). Die Nettoölexporteure (einschliesslich Venezuela und Russland, sodass Doppelzählungen nicht ausgeschlossen sind) bringen es immerhin auf rund 15 Prozent (959 Milliarden). Die nahöstlichen Ölländer haben den grössten Teil der Devisenschätze in US-amerikanischen Staatsanleihen und in «Staatsfonds» angelegt, deren Gesamtvermögen sich auf 2000 bis 3000 Milliarden US-Dollar beläuft.