Sri Lanka: Raus aus Colombo!

Nr. 22 –

Nach der militärischen Vernichtung der LTTE-Rebellen befürchten die TamilInnen auf Sri Lanka nur noch mehr Repression gegen ihre Volksgruppe.


«Ich bin mir meines Lebens nicht mehr sicher. Sie werden mich töten, wenn ich nicht tue, was sie von mir verlangen», schluchzt Lackshman (Name geändert), ein 30-jähriger Tamile. Von Foltermalen am ganzen Körper übersät, war er froh, von seinen Entführern wenigstens am Leben gelassen worden zu sein - anders als die vielen, die nie mehr zurück nach Hause kehren werden.

Lackshman war 2005 von Jaffna, der Halbinsel an der Nordspitze Sri Lankas, weggezogen, nachdem dort viele seiner Freunde von Unbekannten erschossen worden waren. Er fand in der Hauptstadt Colombo eine Anstellung in einem Laden. Im April 2008 verhaftete ihn die Polizei auf der Strasse vor seiner Arbeitsstätte.

Über zwei Monate wurde er ohne Anklage festgehalten. Danach kam er aufgrund eines Gerichtsbeschlusses auf freien Fuss. Während der Haftzeit hatte ihn die Polizei mehrere Male tätlich angegriffen. Und sie warnte ihn bei seiner Entlassung: «Du kannst uns nicht entkommen. Wir wissen, wo du arbeitest. Wir werden dich beobachten.» Aus Sicherheitsgründen zog er in ein anderes Quartier.

Der weisse Kleinbus

Doch sein Leidensweg ging weiter. Nach seiner Entlassung erhielt Lackshman an seiner neuen Adresse einen Brief. Darin hiess es: «Warum bist du nach Colombo gekommen? Verschwinde von hier oder du wirst bestraft werden.» Ende letzten Jahres folgte ein zweites Schreiben. Dieses Mal wurde ihm ein Ultimatum gestellt. Er habe Colombo innerhalb der nächsten Tage zu verlassen.

Dass Lackshman dennoch in der Hauptstadt blieb, wurde ihm zum Verhängnis: «An einem Tag im Februar kam ich gegen 21 Uhr vom Abendessen zurück nach Hause. Einige Beamte der Special Task Force standen an der Ecke und riefen mich zu sich, also ging ich zu ihnen. Sie drängten mich plötzlich in einen Wagen und stülpten mir eine Maske über das Gesicht.» Die Special Task Force ist eine polizeiliche Eliteeinheit, die im Kampf gegen die tamilischen SeparatistInnen eingesetzt wird.

Lackshman sagt, dass er immer wieder geschrien habe. Rund zehn Stunden sei er umhergefahren worden. In dieser Zeit habe man ihn zweimal umgeladen. Dabei sei er schliesslich einer Gruppe übergeben worden, die anders als die Polizisten nicht singhalesisch, sondern wie er perfekt tamilisch sprachen. Man hielt ihn mehrere Tage fest, folterte ihn mit Elektroschocks, die überall Narben in seinen Körper brannten. «Ich flehte sie an, mir noch eine Chance zum Leben zu geben. Sie entgegneten, das hinge von zwei höheren Offizieren ab. Aber schliesslich sagten sie, sie würden mir noch diese eine Chance geben.» Die Entführer fuhren Lackshman schliesslich in die Aussenbezirke von Colombo. Es war noch dunkel an diesem Morgen. Er hatte überlebt, wusste aber, er musste weg aus Colombo.

Während seiner Entführung, so sagt Lackshman, sei keines der Fahrzeuge von den in Sri Lanka üblichen zahlreichen Strassensperren angehalten worden. Seine Peiniger waren, gibt sich Lackshman überzeugt, Polizisten und mit den Sicherheitskräften verbündete tamilischen Paramilitärs. Ihr Markenzeichen: Sie fahren immer mit einem weissen Kleinbus vor.

Entführungen haben System

Der tamilische Abgeordnete Mano Ganeshan spricht von «systematischen Entführungen zur Eliminierung von Tamilen». Für ihn ist klar, dass die Entführer von den Behörden gedeckt werden: «Überall gibt es Strassenkontrollen. Aber nie hat jemand gehört, dass irgendein weisser Kleinbus angehalten oder ein Kidnapper verhaftet worden wäre.» Ganeshans Freund Nadaraja Raviraj, ein Abgeordneter aus Jaffna, war im November 2006 ermordet worden. Die beiden hatten wenige Monate zuvor eine Kommission zur Beobachtung der Entführungen gegründet.

«Es ist allgemein bekannt, wer die Entführer sind», sagt auch Lal Wickramatunga, Chef der Wochenzeitung «Sunday Leader». Doch die meisten würden sich nicht getrauen, das Offensichtliche auch auszusprechen. Das sei wiederum einer der Gründe, weshalb bislang keiner dieser Fälle gelöst wurde. Sein 52-jähriger Bruder Lasantha, ebenfalls leitender Journalist beim «Sunday Leader» war am 8. Januar von Maskierten auf offener Strasse erschossen worden. Wer in Sri Lanka die Regierung öffentlich kritisiert, lebt gefährlich. Das Land steht gemäss der Organisation Reporter ohne Grenzen in Sachen Pressefreiheit an 165. Stelle - von 173 aufgelisteten Ländern.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch macht die Regierung von Sri Lanka für die zahlreichen Entführungen und die vielen Verschwundenen verantwortlich. Sie gehöre «weltweit zu einer der schlimmsten» Regierungen in Sachen «gewaltsames Verschwindenlassen» von Menschen, heisst es in einem ausführlichen Bericht, der vor einem Jahr veröffentlicht wurde. Die Regierung wies solche Vorwürfe bislang regelmässig als Propaganda der Befreiungsbewegung Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) zurück. Laut Schätzungen der Bürgerkommission gegen Entführungen, einer lokalen Menschenrechtsorganisation, sind allein in der Hauptstadt Colombo 400 Menschen verschwunden, seit Präsident Mahinda Rajapaksa im November 2005 die Regierung übernommen hat. Die Organisation geht im ganzen Land von rund 4000 Fällen aus. Am meisten Entführungen gebe es im Norden und im Osten Sri Lankas, wo die TamilInnen ihre Siedlungsgebiete haben. Neben den TamilInnen wurden aber auch einige MuslimInnen und SinghalesInnen entführt.

Mano Ganeshan sagt, dass viele Verschwundene während des Friedensprozesses im Lande, der von 2002 bis 2006 dauerte, an Veranstaltungen der LTTE teilgenommen hätten. Der Organisation war es damals von der Regierung erlaubt worden, politische Büros in tamilischen Gebieten einzurichten. Das sollte dazu dienen, die Guerillagruppe in eine demokratische politische Partei zu transformieren. Wer allerdings an deren Veranstaltungen teilnahm - die von der damaligen Regierung und internationalen Organisationen unterstützt wurden -, wurde von Sicherheitskräften gefilmt.

Nach Wiederaufnahme des Krieges 2006 mussten die politischen Büros der LTTE schliessen. Unter dem Vorwand die LTTE infiltriere die Hauptstadt, zwang die Regierung alle TamilInnen in Colombo - egal, ob sie seit Jahrzehnten oder erst seit wenigen Tagen dort lebten -, sich bei der Polizeistation zu melden und die Nummern ihrer Bankkonten anzugeben. In einem Ausweis, den sie mit sich führen und an Strassensperren oder während Razzien den Sicherheitskräften vorzeigen müssen, sind die «Gründe für den Aufenthalt», die «beabsichtigte Aufenthaltsdauer» und andere Informationen vermerkt. Menschenrechtsorganisationen glauben, dass die Entführer diese Angaben zur Verfügung haben und daher wissen, wo sich ihre Zielpersonen aufhalten. Entführer nutzen diese Informationen auch, um Lösegeld für tamilische Geschäftsleute zu erpressen.

Sampanthan (Name geändert) wurde Anfang 2008 von der Polizei in Petta, einem Bezirk von Colombo, verhaftet. Er war in der Hauptstadt, um sich auf eine Arbeit in Malaysia vorzubereiten. Er hatte bei einer Routinekontrolle seinen Reisepass nicht dabei, sodass die Polizei ihn für verdächtig hielt, verhaftete und für drei Monate inhaftierte - ohne ihn anzuklagen. Er wurde erst auf Gerichtsbeschluss freigelassen, nachdem seine Familie alle Dokumente einschliesslich des Ausweises vorgelegt hatte. Die Polizei gab ihm den Pass bei seiner Entlassung allerdings nicht zurück.

Sein Bruder Eehai erzählt, was danach geschah: «Er ging zweimal zur Polizeistation, um nach dem Reisepass zu fragen, blieb aber erfolglos.» Also habe er einen neuen beantragt. Am 10. Mai 2008 hielt er sich gegen 18 Uhr in der Kathiresan-Strasse in Petta auf. «Nur wenige Minuten nachdem ich noch mit ihm am Telefon gesprochen hatte, wurde er von drei Personen in Zivil entführt.» Die Entführer hätten einen weissen Kleinbus gefahren und sich als Polizeibeamte ausgegeben, wie Zeugen später Eehai erzählten. Eehai glaubt, dass sein Bruder Sampanthan in Gewahrsam der Geheimpolizei CID ist. CID-Beamte hätten am Tage nach Sampanthans Entführung all dessen Dokumente beschlagnahmt. Auf die Frage, ob er versucht hätte, in einem CID-Büro nachzufragen, was mit seinem Bruder geschehen sei, sagt Eehai: «Die wissen, dass ich Tamile bin. Wie könnte ich da!»

Militärische Lösung

Auf Sri Lanka gibt es jetzt, seit die LTTE in den vergangenen Wochen ihre letzten Gebiete verloren hat, für TamilInnen keine sicheren Gebiete mehr. Zu Hunderttausenden müssen sie in Lagern ausharren, die von der sri-lankischen Armee kontrolliert werden. TamilInnen, die in Colombo leben oder auch in anderen Teilen des Landes, wo sie eine klare Minderheit bilden, befürchten, dass sie jetzt noch stärker unterdrückt werden als bisher. «Die Zerschlagung der LTTE bedeutet, dass die politische Lösung in noch weitere Ferne rückt», sagt ein tamilischer Aktivist in Colombo.

Ein singhalesischer Menschenrechtsaktivist sagt: «Die LTTE ist dreissig Jahre alt geworden. Die Wurzeln des Konflikts auf der Insel bestehen aber seit sechzig Jahren. Es wird nur der militärische Weg verfolgt, die politischen Probleme zu lösen. Dabei müssten wir die Wurzeln, die Ursachen angehen.» Diese Ansicht ist derzeit in Colombo kaum gefragt. Der militärische Sieg über die LTTE hat den Blick in die Zukunft vernebelt.

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