Umweltproteste in Britannien: Mit Klebstoff und Bügelschloss

Nr. 22 –

Seit ein paar Jahren erlebt eine alte britische Kampfform ein Revival - Direct Action. Tausende engagieren sich mit direkten Aktionen für die Umwelt: Sie besetzen Flughäfen, klettern auf Dächer, blockieren Kohlekraftwerke. Der Staat schreitet zwar ein, aber stoppen konnte er die Proteste bisher nicht.


Ein bisschen bange war ihr schon, als sie das Bügelschloss um den Hals legte und sich mit dem Nacken an den Gitterzaun kettete. Denn das Gitter stand dort, wo normalerweise Flugzeuge auf das breite Asphaltband einschwenken und die Turbinen Schubkraft entwickeln: am Südwestende der Start- und Landebahn des Londoner Flughafens Stanstead.

Es war ein Montagmorgen, Anfang Dezember 2008: Wiz Baines, die gerade ihr Studium abgeschlossen hat, näherte sich um 3 Uhr in der Früh mit 56 Gleichgesinnten dem Aussenzaun des Flughafengeländes. Manche waren auf dem Fahrrad hergeradelt, andere kamen in einem alten Feuerwehrauto daher, die meisten reisten in Vans an: Da an der Startbahn Wartungsarbeiten vorgenommen wurden, fielen die kleinen Transporter anfangs nicht auf. Die Operation war von langer Hand vorbereitet, alles ging blitzschnell: Die AktivistInnen, die gelbe Leuchtjacken mit der Aufschrift «Please DO something» (tut doch bitte was) über ihre dicken Pullover gestülpt hatten, schnitten ein grosses Loch in den Zaun, trugen Absperrgitter durch die Lücke und stellten diese am Ende der Startbahn zu einem Käfig zusammen. Dann ketteten sie sich an - die einen mit Handschellen, andere mit einem Fahrradschloss um die Gurgel. Um 5 Uhr früh sollte der Flughafen seinen Betrieb aufnehmen.

Doch daraus wurde nichts. Die Gruppe sei bald entdeckt worden, sagte ein Sprecher von BAA, der privatisierten British Airport Authority und Besitzerin von Stanstead, später. Aber wie räumt man so entschlossene Leute beiseite? Etwas brenzlig war die Aktion schon, erinnert sich Baines - vor allem, als ein Werkschutzmann mit einem Pflug auf die Gitter losfuhr, «an die wir uns gebunden hatten. Wir konnten uns ja nicht bewegen.» Glücklicherweise aber habe der Schneepflug den Zaun nur touchiert, dann sei er von der Polizei gestoppt worden. Gegen 6 Uhr morgens kündigte BAA offiziell die Verspätung mehrerer Flüge an; kurz vor 8 Uhr war die Aktion vorbei. Die DemonstrantInnen ketteten sich los und liessen sich festnehmen.

Sie hatten ihr Ziel erreicht: Die Billigfluggesellschaft Ryanair, die Stanstead hauptsächlich nutzt, musste 56 Flüge nach Aarhus, Eindhoven, Warschau, Dublin, Göteborg, Glasgow oder Wroclaw annullieren. Ihr Protest gegen den geplanten Ausbau von Stanstead machte überall Schlagzeilen. Und nebenbei hatten sie durch ihre Aktion auch noch die Erdatmosphäre kurzfristig vor einem weiteren Ausstoss an klimaschädlichen Gasen bewahrt - um 41,6 Tonnen Kohlenmonoxid pro AktivistIn, wie sie später errechneten. So viel verbraucht im Schnitt jedes Flugzeug, das in Stanstead startet.

Die britische Luftfahrt gehört zu den grössten Klimakillern des Landes, sagt Wiz Baines und zitiert eine Untersuchung des Tyndell Centre for Climate Change Research, derzufolge der Flugverkehr in Britannien für dreizehn Prozent des Gesamtausstosses klimafeindlicher Gase verantwortlich ist. «Und was macht die Regierung? Sie empfiehlt in ihrem Weissbuch von 2003 eine Verdoppelung der Flughafenkapazitäten!» Wie das mit der ebenfalls von Labour versprochenen Reduktion der Klimagase um sechzig Prozent bis 2050 zusammenpassen soll, habe ihr bisher kein Politiker erklären können. Statt sich Gedanken darüber zu machen, wie der Zuwachs im Flugverkehr gestoppt werden könne, prognostiziere Premierminister Gordon Brown einfach einen weiteren Anstieg «und lässt die Regierungsgutachten von Flughafenbetreibern und Airlines schreiben» - ein Vorwurf der mittlerweile hinreichend belegt ist.

Voll doof

Stanstead, so eines dieser Gutachten, brauche dringend eine zweite Startbahn, da in nächster Zeit ein Anstieg der Passagierzahlen von derzeit 25 auf bald 35 Millionen zu erwarten sei. Gegen diese Steigerung wandte sich der Protest, der nicht zufällig Anfang Dezember stattfand: In derselben Woche trafen sich in Polen UmweltpolitikerInnen aus 190 Staaten zum Weltklimagipfel. «Wir fordern einen sofortigen Stopp der Ausbaupläne», sagt Baines, «und ein Verbot für Kurzstreckenflüge.» Zwischen London und Edinburgh zum Beispiel verkehren pro Tag 139 Flieger, aber nur 22 Züge, die nicht einmal fünf Stunden benötigen: «Das muss aufhören.»

Deshalb beteiligt sich Wiz Baines seit anderthalb Jahren an Aktionen gegen den Ausbau der britischen Flughäfen. Jahrelang habe sie demonstriert, Flugblätter verteilt und auf Kundgebungen agitiert, sagt Baines, die derzeit bei einem Hilfswerk jobbt: «Der Klimawandel bedroht uns alle, da muss man doch etwas tun!» Die vielen Demonstrationen, an denen sie teilnahm, hätten jedoch zumeist eine ernüchternde Nebenwirkung gehabt: «Die Mächtigen interessiert diese Protestform nicht, sie nehmen sie kaum wahr, niemand hört dir zu. Du drehst dich im Kreis, und das frustriert. Egal, ob du dich engagierst oder nicht - es macht keinen grossen Unterschied.»

Dann aber hörte sie von einer Gruppe, in der es auf jedeN EinzelneN ankommt und «die Wirkung sofort da ist». Baines ist Mitglied von Plane Stupid, der vielleicht effektivsten und mittlerweile wohl bekanntesten der radikalen britischen Umweltorganisationen. Plane Stupid (der Name spielt mit den aussprachegleichen Wörtern «plane» und «plain», changiert also zwischen «dummem Flugzeug» und «voll doof») ist ein lockerer Verbund von AktivistInnen, die ohne Führung auskommen, dezentral planen und agieren und mit einer gehörigen Portion Zivilcourage hin und wieder ein paar Handvoll Sand in die umweltfeindliche Turbinengesellschaft werfen.

Erinnerung an die Suffragetten

Plane Stupid wurde 2005 gegründet. «Unsere Grundprinzipien sind einfach», sagt Liz Snook, die seit ein paar Monaten als einzige bezahlte Plane-Stupid-Aktivistin Aktionen koordiniert, Mitglieder berät und das Spendenkonto verwaltet. «Alle können mitmachen, die sich an drei Dinge halten: Die Aktion muss absolut gewaltfrei verlaufen, sie muss sich gegen die Luftfahrt richten, und alle müssen hinterher auch dazu stehen.» Wer diese Kriterien einhalte, könne gern mitmachen und im Namen von Plane Stupid agieren; eine formelle Mitgliedschaft gibt es nicht.

Liz Snook, Ende zwanzig, ist eine altgediente Umweltkämpferin. Sie war schon Mitte der neunziger Jahre dabei, als UmweltschützerInnen mit Bauplatz- und Hausbesetzungen gegen das überzogene Strassenbauprogramm der damals regierenden Konservativen protestierten. Nachdem die Labourpartei, die 1997 an die Regierung gekommen war, viele Strassenprojekte gekippt hatte, beteiligte sie sich an Aktionen gegen die Gentechnologie und stürmte so manchen Acker. «Wir von Plane Stupid pflegen eigentlich nur eine traditionelle zivilgesellschaftliche Widerstandsform», sagt sie. So wie das auch Teile der britischen Friedensbewegung tun. In den achtziger Jahren hatten die Frauen von Greenham Common jahrelang die US-amerikanische Luftwaffenbasis bei Newbury umzingelt, um die Stationierung von atomaren Mittelstreckenraketen zu verhindern. Noch heute klettern Frauen über die Zäune des britischen Atomwaffenzentrums Aldermaston oder blockieren Atomwaffentransporte (siehe WOZ Nr. 26/08).

Das Kampfkonzept Direct Action reicht jedoch viel weiter zurück - bis zu den Maschinenstürmern Anfang des 18. Jahrhunderts und den Suffragetten, den Frauenrechtlerinnen, die vor hundert Jahren für das allgemeine Stimmrecht kämpften. «Was wurde denen damals alles vorgeworfen!», sagt Snook, «und heute beteuern alle, wie grossartig die britische Demokratie doch immer gewesen sei.» Besonders zimperlich waren die Suffragetten in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg nicht vorgegangen: Nachdem das ausschliesslich männliche Establishment ihre vielen Demonstrationen ignoriert hatte, schlugen Frauenrechtlerinnen Fensterscheiben ein, stürmten das Parlament, ketteten sich dort an, steckten Landsitze und die Tribünen von Pferderennbahnen in Brand, warfen Tinte und Marmelade in die Briefkästen der Royal Mail, zerstörten Golfplätze, attackierten die Polizei und traten - wenn sie inhaftiert wurden - in den Hungerstreik.

Der Kampf der Suffragetten hatte jedoch einen Schwachpunkt: Ihre Anführerinnen waren bekannt und wurden - wie Emmeline Pankhurst (siehe WOZ Nr. 20/08) - jahrelang verfolgt und eingesperrt. Nicht nur das: Ihre prominenten Vertreterinnen hatten auch massgeblichen Einfluss auf die Bewegung und stoppten sie beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914, um «in den Dienst des Vaterlandes zu treten». So was könne heute nicht mehr geschehen, sagt Graham Thompson, einer der MitbegründerInnen von Plane Stupid. Niemand hat die Kontrolle. «Die Polizei sucht zwar ständig nach Verantwortlichen, um sie dingfest zu machen, aber den Gefallen tun wir ihr nicht.»

Direct Action heute

Und so entwickelte sich im Laufe der letzten Jahre eine gestaltlose Bewegung, auf die der Staat zwar immer wieder Spitzel ansetzt, die er aber nicht in den Griff bekommt. «Die Älteren wollen dich genau kennenlernen, bevor sie dich als neues Mitglied akzeptieren», sagt Wiz Baines. Der Einstieg sei nicht einfach, aber das umständlich-kollektive Prozedere schütze ebenso wie die Workshops, in denen die Aktionen vorbereitet werden. «Niemand darf verletzt werden», sagt Thompson, 35 Jahre alt und mittlerweile Pressesprecher von Greenpeace in London: «Die Regierung wartet nur auf einen Unfall, um dann zum angeblichen Schutz der Beteiligten gegen unseren Widerstand vorzugehen.»

Und so wurden alle Aktionen zu einem Erfolg. Hier eine kleine Auswahl:

 Ende September 2006 - es war die erste grössere Plane-Stupid-Aktion - blockierten 25 AktivistInnen stundenlang die Startbahn des East-Midlands-Flugplatzes bei Nottingham.

 Im Juni 2007 blockierte Plane Stupid die Abfertigungshalle des East Midlands Airport: Sie klebten sich mit Superglue, einem besonders starken Sekundenkleber, an den Eingangstüren fest.

 Im August 2007 wurde der Betrieb der kleinen Business Airports Biggin Hill und Farnborough gestört, diesmal mithilfe von Bügelschlössern.

 Im Oktober 2007 verriegelte Plane Stupid die Departement Lounge im Terminal 3 des Flughafens von Manchester und entrollte ein Transparent mit der Aufschrift «Inlandflüge kosten die Welt». Die meisten Flüge von Manchester gehen nach London.

 Im Januar 2008 blockierten zwanzig Mitglieder den Eingang einer kleinen Business Airline in Edinburgh (Parole: «Dieser Planet hat keinen Notausgang»), um gegen die geplante Vervierfachung des schottischen Luftverkehrs zu protestieren. Allein Edinburgh soll im Jahre 2030 fünfzig Millionen Fluggäste abfertigen; heute sind es vierzehn Millionen.

 Im Februar 2008 kletterten fünf Plane-Stupid-AktivistInnen auf das Dach des britischen Unterhauses. Sie entrollten zwei Banner («BAA-Hauptquartier» stand auf einem) und warfen vertrauliche Dokumente, die sie zu Papierflugzeugen gefaltet hatten, in die Tiefe. Im April wiederholte eine schottische Gruppe die Aktion: Sie stiegen dem schottischen Regionalparlament aufs Dach.

 Im Juli besuchte frühmorgens eine Plane-Stupid-Delegation das Privathaus der damaligen Transportministerin Ruth Kelly und spielte ihr mit einem Lautsprecher den Lärm eines startenden Jumbos (110 Dezibel) vor. Im Oktober 2008 bekam der schottische Erste Minister Alex Salmond ähnlichen Besuch.

 Ebenfalls im Juli klebte sich ein Aktivist bei einem offiziellen Empfang in Downing Street 10 mit Superglue am Anzugärmel von Gordon Brown fest. Danach musste sich der verdutzte Premier Stellungnahmen von Heathrow-AnwohnerInnen vorlesen lassen, denen er ein Gespräch verweigert hatte.

 Im August kam es im Londoner Flughafen Gatwick zu gleich drei Aktionen: Wieder wurden Banner angebracht, wieder ketteten sich AktivistInnen an.

 Zwei Monate nach der Besetzung von Stanstead bauten im Februar 2009 Plane-Stupid-AktivistInnen vor dem Haupteingang des Southampton Airport ein Zeltlager auf, das sie Klimaflüchtlingscamp nannten, und ketteten sich an.

 Anfang März 2009 stoppte eine Plane-Stupid-Gruppe den Flugverkehr auf dem Airport Aberdeen, indem sie in Gestalt des US-Milliardärs Donald Trump, der bei Aberdeen gerade einen Golfplatz bauen lässt und deswegen den Ausbau des Regionalflughafens fordert, auf der Startbahn eine Runde Golf spielten.

Die Vielfalt der Bewegung

Plane Stupid ist nicht die einzige Gruppierung, die etwas unternimmt. Ebenfalls aktiv sind die Dachorganisation AirportWatch, die die FlughafengegnerInnen vernetzt; die Initiative Stop Climate Chaos, die einmal im Jahr zu einem grossen Marsch aufruft; die studentische Bewegung People and Planet; die christliche Gruppierung Operation Noah; das Women’s Institute mit seiner Climate Change Campaign; das Coal Action Network, das gegen Kohlekraftwerke protestiert; das bunte Netz Rising Tide, das vor allem in den Regionen agiert; die kleine Gruppe Climate Rush, die sich die Suffragetten zum Vorbild genommen hat: Exakt hundert Jahre, nachdem sich FrauenrechtlerInnen an einer Statue im Unterhaus angekettet hatten, klebten sich vier Climate-Rush-AktivistInnen an derselben Statue fest - die Nachfrage nach Superglue muss in den letzten Monaten sprunghaft angestiegen sein.

Mit dabei sind natürlich auch die grossen Organisationen Friends of the Earth, WWF, Oxfam, Greenpeace. Und Climate Camp, eine lose Verbindung vieler dezentraler Aktivgruppen, die jedes Jahr ein Protestlager mit mehreren Tausend BesucherInnen organisiert. 2007 campierten 2000 Menschen eine Woche lang vor Heathrow. 2008 belagerten 1000 das Kohlekraftwerk Kingsnorth in der Grafschaft Kent, dessen Betreiber (der deutsche Energiekonzern Eon) nebenan ein neues Kraftwerk bauen will - es ist das erste britische Kohlekraftwerkprojekt seit über dreissig Jahren. 2009 beteiligten sich anlässlich des G20-Gipfels rund 5000 Personen am Climate Camp in der Londoner Innenstadt.

Auch die Climate-Camp-Aktiven gehen mit direkten Aktionen vor: Immer wieder blockieren sie Kohlezüge in die CO2-Kraftwerkschleudern oder stoppen Transportbänder. Eine Greenpeace-Aktion während des Klimacamps 2008 sorgte für besonders viele Schlagzeilen - nicht weil fünf Greenpeace-Aktivisten die Schornsteine von Kingsnorth hochgeklettert waren und einen Spruch darauf malten, sondern weil Eon die fünf wegen schwerer Sachbeschädigung anzeigte, weil die Sache vor ein Geschworenengericht kam, weil während des Prozesses hochrangige ExpertInnen (auch aus den USA) über die langfristigen Folgen der Kohleverbrennung informierten. Und weil die Jury am Schluss befand, dass durch diese Aktion mehr Schaden verhindert als verursacht wurde - und die Angeklagten freisprach.

«Seither scheuen die Firmen die grossen Prozesse vor Jury-Gerichten und lassen den Staat handeln», sagt Graham Thompson. Die Staatsgewalt geht nicht zimperlich vor, wie der Tod von Ian Tomlinson zeigte, der während des Londoner G20-Gipfels zufällig in der Nähe des Climate Camp war, von Polizisten zusammengeschlagen wurde und kurz darauf starb. Die KlimaaktivistInnen zahlen immer für ihren Einsatz. Wiz Baines zum Beispiel wurde für ihre Teilnahme an der Gatwick-Aktion im August 2008 (es war ihr erster Plane-Stupid-Protest) mit einer bedingten Strafe belegt. Nach der Stanstead-Besetzung im Dezember verurteilte sie ein Magistratsrichter zu neunzig Stunden Gemeinwesenarbeit. «Die anderen bekamen zumeist fünfzig Stunden aufgebrummt», sagt sie. Aber da sie «rückfällig» geworden war, «erhöhte der Richter das Strafmass». Seit ihrer Verurteilung gilt sie als vorbestraft.

Graham Thompson muss für Stanstead sogar 120 Stunden abarbeiten, denn er ist ein besonders schwerer Fall. Noch vor dem Irakkrieg hatte er 2003 in einem Marinehafen Panzer besetzt, die in den Irak verschifft werden sollten. Er war bei der Besetzung des East Midlands Airport 2006 dabei und bei der Dachaktion auf dem Londoner Parlament Anfang 2008. «Die Strafen nehmen zu», sagt er, «und wenn ich nicht aufpasse, lande ich irgendwann im Gefängnis.» Dort will er aber nicht hin. Und arbeitet jetzt bei Greenpeace.

Harsche Auflagen

Schlimmer als das kalkulierbare Risiko, das er eingeht, seien jedoch die polizeilichen Schikanen und die Auflagen, die die Polizei - und nicht etwa ein Gericht - seit der Verabschiedung eines neuen Gesetzes im Jahr 2006 verhängen darf. «Im April hat die Polizei überfallartig 114 Leute festgenommen, die eine friedliche Aktion gegen Eons Kraftwerkprojekt diskutierten», erzählt Thompson. «Sie wurden einen Tag lang festgehalten. Dann entliess man sie ohne Anklage, aber unter der Bedingung, dass sie nie wieder in die Nähe eines Kraftwerks kommen.»

Diese Auflagen, sagt er, hätten nur einen Zweck: Den Aktiven soll der Spielraum genommen werden. Doch das Kalkül geht nicht auf. Es wird immer unwahrscheinlicher, dass sich die dritte Startbahn in Heathrow politisch durchsetzen lässt (vgl. Text «Testfall Heathrow»), und auch die zweite Startbahn von Stanstead kommt nicht so schnell, wie das die Labourregierung gerne hätte. Die unabhängige Planungskommission der Grafschaft Essex wird frühestens im September mit ihren Beratungen beginnen und ihren Bericht erst nach der nächsten Unterhauswahl vorlegen. Sollten die Konservativen die Wahl gewinnen, ist das Projekt vom Tisch. Auch die Monopolkommission wirft dem Flughafenbetreiber Knüppel zwischen die Beine. BAA müsse einen Teil ihrer Flughäfen verkaufen, empfahl die Kommission im August letzten Jahres - darunter zwei der drei Londoner BAA-Airports Heathrow, Stanstead und Gatwick. Noch ist die Empfehlung nicht rechtskräftig - aber BAA wird kaum Millionen in ein Ausbauprojekt investieren, das möglicherweise der Konkurrenz zugute kommt.

Wiz Baines will auf jeden Fall weitermachen. «Ich habe zwar kein Sozialleben mehr, und meinem beruflichen Fortkommen dienen die Vorstrafen kaum.» Andererseits, sagt sie und lacht dabei, würde sie ohnehin nicht für ein Unternehmen arbeiten wollen, das sich an ihrem Vorstrafenregister stört. Und überhaupt: «Wenn du erst einmal herausgefunden hast, dass das System, in dem du lebst, voller Fehler steckt, öffnet sich dein Denken.» Sie habe daher auch keine Angst mehr vor denen da oben: «Die haben viel mehr Angst vor uns.»


Testfall Heathrow: Die dritte Startbahn

Rund 480000 Flugbewegungen verzeichnet Londons wichtigster Flughafen Heathrow im Jahr, das sind alle 45 Sekunden ein startendes oder landendes Flugzeug. Zu wenig, wie der Flughafenbetreiber BAA und die Labourregierung meinen: Im Januar erteilte Gordon Browns Kabinett die Planungsgenehmigung für eine dritte Startbahn und einen sechsten Terminal. Sollte das Projekt zustande kommen, steigt die Zahl der Starts und Landungen auf über 700000.

Wenn es denn dabei bleibt. Denn bisher haben die PolitikerInnen immer tiefgestapelt. Als 1978 Heathrows Terminal 4 eröffnet wurde, versprach die Regierung, dass die Zahl der Flugbewegungen unter 275 000 bleiben würde; ein Jahr später war die Zusage bereits Makulatur. Als Terminal 5 gebaut wurde, beteuerte das Kabinett, dass eine dritte Startbahn «nie infrage» käme.

Für die neue Startbahn sollen die beiden Dörfer Sipson und Harmondsworth geschleift werden; mindestens 700 Häuser sind für den Abbruch bestimmt. Die Ausweitung des Flugverkehrs werden jedoch auch die zwei Millionen LondonerInnen zu spüren bekommen, die im Westen der Hauptstadt leben. Aus diesem Grunde entwickelte sich in den Quartieren um Heathrow eine breite Bewegung, der sich inzwischen Kulturschaffende und auch PolitikerInnen aller Parteien angeschlossen haben: Liberale und Grüne, Labourabgeordnete, die um ihre Wiederwahl fürchten, und ToryparlamentarierInnen, die die besseren Viertel vertreten. Londons konservativer Oberbürgermeister Boris Johnson hat bereits rechtliche Schritte gegen den Ausbau angekündigt, und der konservative Oppositionsführer David Cameron will das Projekt im Falle eines Wahlsiegs stoppen.

Da jedoch schon viel versprochen wurde, setzen die AusbaugegnerInnen weiter auf Opposition von unten. «In den Dörfern führt BAA eine schmutzige Kampagne», sagt Liz Snook von Plane Stupid, «das Unternehmen setzt die Bevölkerung unter Druck und droht mit Schikanen.» Deshalb hat Plane Stupid den BewohnerInnen eine Partnerschaft angeboten. «Am Anfang begegneten uns die Leute mit grosser Skepsis», erinnert sich Snook, «vor kurzem jedoch setzten sich dreissig Familien mit uns zusammen, und jeder Familie wurde ein Aktivist oder eine Gruppe zugeordnet. Sie treffen sich jetzt regelmässig und wollen gemeinsam die Häuser verteidigen, wenn die Bagger anrollen.»

Erfolgversprechend ist auch eine Aktion, die sich Greenpeace ausgedacht hat. Die Umweltorganisation kaufte mit zwei KünstlerInnen und einem Mäzen einen fussballfeldgrossen Acker mitten im geplanten Baugelände. Laut britischem Recht darf ein Grundstück nicht mehr als vier EigentümerInnen («legal owner») gehören. Die Zahl der Nutzungsberechtigten («beneficial owner»), die ebenfalls über Rechte verfügen, ist jedoch unbegrenzt. Über 45 000 Menschen aus aller Welt haben sich inzwischen als NutzniesserInnen eingetragen. Wer die «Airplot»-Aktion unterstützen und eine mögliche Zwangsenteignung verhindern will, kann auf der Website www.airplot.org.uk unterschreiben.

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