Steueroase für Reiche: Nein, mehr gibt es nicht

Nr. 37 –

In Deutschland sind die Steuern der Wohlhabenden längst nicht so hoch wie gern behauptet – dafür wächst die Armut. Eine kleine Zahlenreise durch eine Gesellschaft, die aus den Fugen gerät.


Am Ende hat er gekniffen. Vielleicht wurde er auch von seiner Chefin zurückgepfiffen, die nicht vergessen hat, was ihr den vielfach prognostizierten Sieg bei der Bundestagswahl 2005 verdorben hatte: die wirtschaftsliberal-konservativen Pläne für einen weiteren grossen Schritt bei der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben.

Dabei wollte Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) mit seinem Industriekonzept, das Mitte August an die Öffentlichkeit kam, gar nicht so weit gehen. Er hatte darin nur anklingen lassen, was nach Ansicht des Ministeriums nach der Bundestagswahl nötig sein wird: Der Arbeitsmarkt soll durch die weitere Aufweichung des Kündigungsschutzes noch stärker flexibilisiert werden, die bisher für einzelne Branchen beschlossenen Mindestlohngesetze gehörten «korrigiert», die Zahl der Zeit- und LeiharbeiterInnen sei zu niedrig, die Unternehmensbeiträge für die Sozialversicherung müssten weiter gesenkt werden. Alles nicht dramatisch, jedenfalls nicht für GrossgrundbesitzerInnen, zu denen die Guttenbergs gehören. Und doch Munition für die politischen GegnerInnen. Und so verschwand das Papier wieder in der Schublade.

Nur ein Punkt aus Guttenbergs Konzept ist übrig geblieben, weil der zum offiziellen Wahlkampfprogramm der rechtsbürgerlichen Parteien CDU/CSU und FDP passt: Die Unternehmen und die Reichen müssen weiter entlastet werden. Das haben Angela Merkel (CDU) und Guido Westerwelle (FDP), Merkels Wunschpartner für eine schwarz-gelbe Koalition nach dem 27. September, unisono verkündet. Sie wollen die Firmen und Wohlhabenden um fünfzehn Milliarden Euro entlasten, denn: «Leistung muss sich wieder lohnen.» Dem Staat, so signalisieren sie mit ihrem Vorhaben, gehe es trotz Wirtschafts- und Finanzkrise finanziell erstens gar nicht so schlecht, und zweitens seien die Steuern noch immer zu hoch. Und so kursiert noch immer eine Mär in den Medien – die vom Hochsteuerstaat, von der Steuerwüste Deutschland.

Ein Hochsteuerland ist die Bundesrepublik tatsächlich – für den schlechter gestellten Teil der Bevölkerung. So hatte beispielsweise die Grosse Koalition (CDU/CSU und SPD) Anfang 2007 den Mehrwertsteuersatz um drei Punkte auf neunzehn Prozent erhöht – eine spürbare Verschlechterung für alle, die ihre gesamten Einkünfte für Waren des täglichen Lebens ausgeben müssen. Gerade sie treffen auch die ständig steigenden kommunalen Abgaben (Müll, Wasser), die merklich angehobenen Zuzahlungen im Gesundheitswesen (vgl. WOZ Nr. 35/09), die Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen Verkehr. Und die anhaltend hohen Lohnsteuern. Die Verbrauchs- und Lohnsteuern, die vor allem von den unteren zwei Dritteln der Gesellschaft entrichtet werden, machen über 75 Prozent des Gesamtsteueraufkommens aus.

Keine Steuer auf Vermögen

Etwas anders sieht es oben aus. Denn in den letzten zwölf Jahren sind die Steuern der Reichen erheblich gesunken:

Seit Anfang 1997 gibt es in Deutschland keine Vermögenssteuer mehr. Anderthalb Jahre zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht die geltende Besteuerung von Reichtum für verfassungswidrig erklärt, da Immobilienbesitz nicht genügend berücksichtigt wurde. Doch anstatt Liegenschaften ebenfalls in die Vermögenssteuer einzubeziehen, schaffte die damalige Regierung von Helmut Kohl (CDU) diese Steuer ganz ab. Während in den USA die Reichensteuern über drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen, liegen sie in Deutschland bei praktisch null.

Im Jahr 2001 hatte die rot-grüne Regierung von Gerhard Schröder (SPD) die Körperschaftssteuer, eine Gewinnsteuer für Unternehmen, von 40 auf 25 Prozent gesenkt. Vor zwei Jahren reduzierte Merkels Grosse Koalition diese Firmensteuer nochmals auf 15 Prozent. Dabei zahlten international agierende Grossunternehmen wie etwa die Daimler AG dank der vielen Schlupflöcher schon seit Jahren keinen Euro Körperschaftssteuer.

Die Einkommensteuern sinken ebenfalls ständig. In den achtziger Jahren betrug der Spitzensteuersatz noch 56 Prozent; zu Beginn der rot-grünen Koalition (1998) besteuerte der Staat besonders hohe Einkommen mit 53 Prozent; jetzt liegt der oberste Steuersatz bei 42 Prozent. Gleichzeitig wird immer seltener kontrolliert, ob die MillionärInnen den Finanzämtern auch korrekte Abrechnungen vorlegen. Im Bundesland Hessen beispielsweise gibt es, so berichtete der «Spiegel» vor ein paar Wochen, eine interne Anweisung des Finanzministeriums, die Reichen aus Gründen der Standortpflege überhaupt nicht mehr oder zumindest nicht mehr allzu genau zu überprüfen; mehrere hoch qualifizierte BeamtInnen, die sich daran nicht halten wollten, wurden aus dem Job gemobbt.

Nach Angaben der Europäischen Union (EU) zahlen in fast allen EU-Staaten Firmen und Reiche mehr Steuern als in Deutschland. Und während beispielsweise die britische Regierung den Spitzensteuersatz von Grosseinkommen um zehn Prozentpunkte anheben will, sollen in Deutschland die Abgaben der Vermögenden weiter sinken.

Ihnen hilft der Staat nicht nur durch die Senkung der Steuersätze. Er greift ihnen auch sonst unter die Arme – durch aktive Unterstützung bei der Steuerflucht zum Beispiel. So bietet etwa die LB Swiss Privatbank an der Zürcher Börsenstrasse KundInnen unter dem Motto «Vermögensverwaltung ist Vertrauenssache» ihre Dienste an. Das Geldhaus gehört zwei deutschen Landesbanken (siehe WOZ Nr. 9/09). Und die Commerzbank ist immer noch in Steueroasen tätig, obwohl inzwischen der deutsche Staat an ihr beteiligt ist (vgl. Artikel in dieser Ausgabe). Sie unterhält zusammen mit der Dresdner Bank – das hat der Publizist Werner Rügemer in der Tageszeitung «Junge Welt» errechnet – 329 Rechtskonstrukte, also Zweckgesellschaften und Spezialfonds, in Finanzoasen auf Jersey, den Cayman-Inseln, den Bermudas, Mauritius, in Luxemburg, Liechtenstein oder in der Schweiz.

Die Armutsschraube

«Allein in den letzten Jahren hat der deutsche Staat den Unternehmen und Vermögenden 400 Milliarden Euro geschenkt», sagt Michael Schlecht, Chefökonom der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Gleichzeitig wächst die Zahl der miserabel entlöhnten Beschäftigten: 1995 verdienten rund 15 Prozent aller Lohnabhängigen weniger als zwei Drittel des mittleren Stundenlohns; 2005 waren es bereits 22 Prozent – neuere Angaben liegen nicht vor. Diese Niedriglohnbeschäftigten erhalten im Westen, so eine Untersuchung des Instituts Arbeit und Qualifikation, einen Durchschnittsstundenlohn von 6,89 Euro brutto, in Ostdeutschland sind es gerade mal 4,86 Euro.

Überhaupt, sagt Schlecht und zitiert internationale Studien, seien in den vergangenen acht Jahren nur in Deutschland die Reallöhne gesunken – um minus 0,8 Prozent. In Frankreich hingegen nahmen sie um 9,6 Prozent zu, in Britannien sogar um 26 Prozent. Im selben Zeitraum stiegen die Profite deutscher Unternehmen um 33 Prozent.

Mit ein Grund für diese Entwicklung ist, dass sich immer mehr Firmen weigern, einen Gesamtarbeitsvertrag zu unterschreiben. Rund vierzig Prozent der deutschen Erwerbstätigen sind heute ohne Tarifvertrag beschäftigt. Von daher überraschen auch die Ergebnisse der letzten OECD-Studien kaum: In einem Bericht vom Oktober 2008 hatte die Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit festgestellt, dass in Deutschland Armut und Ungleichheit weitaus stärker zunahmen als in den meisten anderen OECD-Staaten. Und Anfang September 2009 warnte die OECD vor der wachsenden Kinderarmut: Mittlerweile lebe jedes sechste Kind in Familien, die weniger als sechzig Prozent des Durchschnittseinkommens haben.

Ausschlaggebend für diese Verschlechterung waren die Arbeitsmarktgesetze der letzten fünf Jahre. Schröders rot-grüne «Agenda 2010» stürzte Millionen in die Armut. Wer heute in Deutschland länger als ein Jahr arbeitslos ist, bekommt 351 Euro im Monat auf die Hand. Es spielt keine Rolle mehr, welchen Job man früher ausübte  –  Hilfsarbeiter oder Professorin, Computerspezialist oder Verkäuferin: Mehr gibt es nicht. Wer einen 1-Euro-Job als Strassenfeger nicht annimmt, dem wird die Leistung gestrichen. Diese neuen Regeln drücken immer mehr Menschen ins Elend. Die Bildungschancen vieler Kinder verringern sich, deren Eltern (oft Alleinerziehende) halten sich mit Einkäufen bei Billigdiscountern nur notdürftig über Wasser (daher gedeihen ja auch die Lebensmittelketten von Aldi, Lidl, Plus oder Penny), und wer nur ein paar Jahre lang die Leistungen nach Hartz IV bezieht, muss nach Erreichen des Pensionsalters mit einer Rente von 400 bis 500 Euro im Monat auskommen.

Das Elend und die Finanzkrise

Zweck der repressiven «Agenda 2010» – da sind sich mittlerweile viele ExpertInnen einig – war die Durchsetzung von Dumpinglöhnen und die Schwächung der Gewerkschaften. Ziel der Massnahme: die Stärkung der deutschen Exportwirtschaft. Mit sinkenden Löhnen bei steigender Produktivität konnte sie die internationale Konkurrenz vom Markt wischen. Während die Aussenhandelsbilanz bis 2000 in etwa ausgeglichen war, wächst seit 2002 der Exportüberschuss. In den letzten Jahren exportierte die deutsche Wirtschaft jährlich mindestens 100 Milliarden Euro mehr an Waren und Dienstleistungen, als sie einführte. Der Gesamtüberschuss liegt, seit 2002 zusammengerechnet, bei über 900 Milliarden.

Doch wohin mit dem Geld? Da sich Investitionen kaum lohnen, weil der Binnenmarkt mangels Nachfrage (auch ein Ergebnis von Hartz IV) stagniert, haben – so ver.dis Chefökonom Schlecht – die KapitaleignerInnen ihre Gewinne zu den Banken getragen, «die ihnen bis vor kurzem noch hohe Renditen offerierten und ganz wunderbare neue Finanzprodukte anboten». Der Nennwert aller Schrottpapiere, die die deutschen Finanzinstitute angehäuft haben und derzeit in staatlich gestützte Bad Banks verlagern, entspricht in etwa der Gesamtsumme der Exportüberschüsse: knapp einer Billion Euro. «Und jetzt sollen die Beschäftigten ein zweites Mal dafür zahlen», sagt Schlecht: Zuerst sorgten die niedrigen Löhne für eine Explosion der Profite, und nun kommt der Staat der kleinen SteuerzahlerInnen für die Folgen der Finanzkrise auf.


Gemeinden in Not

Mitten in der Krise hat die Grosse Koalition (CDU/CSU und SPD) eine sogenannte Schuldenbremse im Grundgesetz verankert. Danach dürfen ab dem Jahr 2016 beziehungsweise 2020 Bund und Länder keine neuen Kredite mehr aufnehmen. Die Auswirkungen dürften jedoch schon viel früher zu spüren sein – vor allem in den Gemeinden.

In Deutschland können die Kommunen nur eine eigenständige Steuer erheben: die Gewerbesteuer, eine ertragsabhängige Firmensteuer. Das Gewerbesteueraufkommen bricht in der aktuellen Krise jedoch ein. Im Bundesdurchschnitt wird ein Minus von fünfzehn Prozent erwartet, manche Grossstädte in strukturschwachen Regionen rechnen mit einem Rückgang von vierzig Prozent.

Dabei sind die meisten Gemeinden schon jetzt hoch verschuldet. Viele haben wegen der Steuerkürzungen in den vergangenen Jahren Personal gestrichen und Investitionen zurückgestellt. Schätzungen zufolge müssten die Kommunen bis zum Jahr 2020 insgesamt 700 Milliarden Euro aufwenden, um Schulen, Verkehrswege, Schwimmbäder, Theater, Kindertagesstätten und Spitäler zu sanieren und um die Energieversorgung, die Abwassersysteme, den ÖV zu modernisieren; 70 Milliarden davon kosten allein die dringend notwendigen Reparaturen. Doch die Schuldenbremse blockiert die Aufnahme neuer Kredite. Dabei warnt der Deutsche Städtetag, die Interessengemeinschaft der Gemeinden, seit langem vor weiteren Sparmassnahmen. Immerhin sind die Kommunen auch für viele Sozialleistungen zuständig.