Alberto Nessi: Revolutionär

Nr. 38 –


«Nachts, wenn der Hund mich nicht schlafen lässt, versuche ich manchmal, eine Bilanz meines Lebens zu ziehen, das ein Kampf gegen den Tod war. Jetzt ist der Kampf zu Ende. Der Vogel, der durch die Zeit fliegt, bringt mir seine Strohhalme. (...) Ich trete in die Vergangenheit ein wie in eine bekannte Stadt und laufe den Erinnerungen nach wie der Hund, der an den Strassenecken schnuppert, kurz pinkelt, die Schatten anbellt. (...) Werden sie sich an mich erinnern? Sind die Gedanken nur Fetzen, die verwehen? Erblindete Tauben, die nicht den Weg finden, um ihre Botschaft zu überbringen?»

Der 1940 in Chiasso geborene Alberto Nessi lässt in seinem neuen Roman eine historische Figur als Icherzähler auftreten: José Fontana, der Mitte des 19. Jahrhunderts in einem abgelegenen, kargen Tessiner Bergtal aufwuchs, dann in den Jura kam und dort unter Uhrmachern jene Arbeitersolidarität erlebte, der er sich später in Lissabon als Buchhändler mit Leib und Seele verschrieb. Ein armer, schmächtiger Auswandererbub kommt heim zu seinen Wurzeln und engagiert sich voll für die noch junge Sache des Sozialismus. Seine Entwicklung zu einem stets bescheidenen, intellektuellen Revolutionär in der Pionierzeit der Arbeiterklasse berührt.

Ein ungewöhnliches Migrationsleben eines ursprünglich sehr gewöhnlichen Menschen entfaltet sich vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse, unter denen der Pariser Kommune von 1871 besondere Bedeutung zukommt. Hoffnungsloses Hungertessin, zukunftsträchtiger Neuenburger Jura und schliesslich das faszinierende Labyrinth der portugiesischen Kapitale – das sind Josés wichtige Stationen, die Nessi mit viel Detailwissen und sehr lebendig nachzeichnet.

Die Übersetzung aus dem Italienischen ins Deutsche besorgte Maja Pflug. Schade, dass sie zum Beispiel das Wort «Schnauzer» für Schnurrbart oder Schnauz verwendet. Bei uns wird damit eine Hunderasse bezeichnet.

Alberto Nessi: Nächste Woche, vielleicht. Limmat Verlag. Zürich 2009. 169 Seiten. 34 Franken