Afrikas Landwirtschaft: «Ihr konntet es mal!»

Nr. 2 –

Al Imfeld hat ein Buch mit afrikanischen Agrargeschichten geschrieben. Ein Gespräch mit dem Afrikaspezialisten, der am Erscheinungstag dieser WOZ seinen 75. Geburtstag feiert.

WOZ: Al Imfeld, Sie schreiben mit Ihrem Buch gegen die Vorstellung an, Afrika habe keine eigene Landwirtschaft entwickelt. Doch was spielt es für eine Rolle, ob die Hirse zuerst in Indien oder Afrika kultiviert wurde?
Al Imfeld: Das ist wichtig, weil die ganze Auseinandersetzung mit diesem Kontinent ins Rassistische tendiert. Sogar die Afrikaner selbst haben begonnen, zu glauben, alles komme aus dem Osten. Das geht auf die Bibel zurück: Die Zivilisation ging vom Zweistromland aus. Da kommt der Weizen her, und der galt lange als älteste kultivierte Getreideart. Diesen Chauvinismus gilt es zu zerstören. Die Landwirtschaft ist so alt wie der Mensch, er hat sich immer organisiert, um sein Essen zu gewinnen. So umherziehen, da eine Frucht pflücken und dort ein Tier erlegen, das gabs nie ...

... Sie meinen die «Jäger und Sammler» ...
Dieser Begriff ist so diskriminierend wie «Neger», den darf man nicht mehr verwenden. Diese Vorstellung ist veraltet, das hat die Archäologie gezeigt, denn die Menschen haben von Anfang an mit Pflanzen gearbeitet, sie angebaut und verändert. Das waren aktive, gestaltende Tätigkeiten. Bis heute aber wird gelehrt, erst der Kolonialismus habe die Landwirtschaft gebracht.

Wie definieren Sie Landwirtschaft?
Ich verstehe darunter alle Betätigungsformen, die mit Pflanzen, Tieren, aber auch mit dem Klima und anderen geografischen Gegebenheiten arbeiten, um das Überleben zu sichern. Landwirtschaft bedeutet: Wie schaffe ich es, zusammen mit all den gegebenen Faktoren genug Nahrung zu erzeugen, um meine Familie zu ernähren?

Sie schreiben, die diskriminierende Wahrnehmung zeige sich etwa darin, dass die Agrarforschung eine Feldfrucht wie Yams gering schätzt.
Weil es keinen internationalen Handel damit gibt! Ich habe Tropenlandwirtschaft studiert. Da ging es einzig darum, was man exportieren oder für den Export neu entwickeln kann. Über Yams war da nichts zu hören – ausser der Bemerkung, er sei «für den Export ungeeignet».

Nun haben wir ja bereits ein halbes postkoloniales Jahrhundert erlebt. Weshalb geht es nicht vorwärts?
Entkolonisierung heisst nicht einfach, dass man eine eigene Flagge und eine eigene Hymne hat – das muss in den Köpfen geschehen, dazu braucht es auch eine eigene Geschichte. Ich sehe mein Buch als einen Beitrag. Viele Afrikaner wollen eine westliche Landwirtschaft betreiben und Weizen anbauen, obwohl das gar nicht geht. Nun kommt man langsam auf die Hirse zurück. Sie galt als rückständig. Hirsekörner sind klein, Weizenkörner gross. Der moderne Mensch hat einen Hang zu allem, was gross ist. Auch die kleine afrikanische Banane hatte bis vor kurzem keinen Markt.

Auch die Gerätschaften unterscheiden sich zwischen Europa und Afrika. In der europäischen Agrargeschichte dreht sich alles um den Pflug.
Auch die Afrikaner möchten den Pflug, weil er ein Fortschrittssymbol ist. Aber bei sieben Zentimetern Humusschicht kann man nicht pflügen. Für die heutige Denkweise ist Afrika nur zu dreizehn Prozent fruchtbar – das heisst pflügbar. Und in diesen Gegenden hat der Pflug inzwischen viele Böden ruiniert. Für den Rest braucht es andere Techniken: eine Hackkultur und eine Mischkultur, weil man nicht weiss, ob der Regen kommt. Das ist nicht erst mit der jüngsten Klimaveränderung ein Thema. Und Bäume spielen eine ganz wichtige Rolle, weil sie den Boden vor Erosion schützen und ihn fruchtbar erhalten: Die Akazie wurde gepflanzt, weil sie Stickstoff aus der Luft fixiert und so den Boden düngt.

Aber es gibt doch heute alternative Tendenzen. So erwähnt etwa der Weltlandwirtschaftsbericht ausdrücklich traditionelles Wissen.
Ja, es gibt diese Tendenz, langsam, langsam. Aber das ist alles noch zu abstrakt und geschieht mit einer grossen Unbeholfenheit. Und von historischem Wissen ist da nicht die Rede. Wenn Hilfswerke in Afrika Biolandbau einführen wollen, bin ich immer skeptisch – es wäre sinnvoller, an der afrikanischen Geschichte anzuknüpfen, statt europäische Konzepte zu übernehmen.

In Afrika fällt immer wieder auf, dass viele Bauern und Bäuerinnen Grundlegendes nicht wissen – etwa dass Grünabfälle zur Düngung aufs Feld zurückgebracht werden sollten.
Sie machen es nicht mehr, weil die Europäer darüber gelacht haben. Man hat den Afrikanern eingetrichtert: Du musst den Busch roden, die Bäume fällen. So ging viel traditionelles Wissen verloren. Das geschah übrigens auch in der Gegend, wo ich herkomme, im Luzerner Hinterland. Das war lange die ärmste Region der Schweiz. Man wollte nicht als rückständig gelten – da hätten Sie lange nicht mit bio kommen müssen. Dabei ist noch erstaunlich viel Wissen vorhanden – im Luzerner Hinterland wie in Afrika –, aber die Menschen finden, es sei veraltet. Die neunzehn Agrarfakultäten, die ich in Afrika kenne, lehren nur moderne westliche Landwirtschaft, mit britischen Büchern.

Früher versorgten die Bauern vor allem die eigene Familie. Heute gilt es, Millionenstädte zu ernähren. Hat das Bevölkerungswachstum die Subsistenzwirtschaft nicht obsolet gemacht?
Natürlich! Aber man kann sie weiterentwickeln, wie sie ja immer schon entwickelt wurde. Und man muss auch sehen, dass es die reine Subsistenzwirtschaft gar nie gab. Immer waren auch Märkte wichtig – wo man Waren tauschte, sich kennenlernte, Heiratspartner suchte.

Gewisse traditionelle Formen der Landwirtschaft hatten verheerende Folgen, als die Bevölkerung wuchs.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. In Ruanda gibt es doppelt so viel Vieh wie Menschen, zwölf Millionen Kühe in einem Land, das halb so gross ist wie die Schweiz. Dieses Vieh macht die Böden kaputt. Oder Nordnigeria: Die grausamen Konflikte dort werden in der Regel als Kampf zwischen Islam und Christentum erklärt. Aber eigentlich ist das ein Kampf um den Boden. Auch die Tragödie im Darfur ist ein Bodenkonflikt, zu dem noch ein Rohstoffkonflikt hinzukommt. Und die nachkolonialen Regierungen sind unfähig, weil sie in der Kolonialzeit nur Befehle auszuführen hatten. Frantz Fanon schrieb, das Handeln der Kolonisatoren präge die Kolonisierten derart, dass sie nach der Befreiung gleich weitermachten – und noch schlimmer.

Für das Problem, dass die Bevölkerung sofort wächst, wenn die landwirtschaftlichen Erträge steigen, gab es traditionell auch keine Lösung.
Richtig. Nehmen wir den Südsudan. Dort hatte man mindestens zwölf Kinder, denn neun starben. Seit die medizinische Versorgung besser geworden ist, überleben viel mehr, aber die Geburtenzahl hat sich dem nicht angepasst. So kommt man in die Hungersnot. Afrika ist wie kein anderer Kontinent darauf angewiesen, die Faktoren immer wieder auszubalancieren. Es ist der verwundbarste Kontinent – klimatisch, geografisch, von der Bodenbeschaffenheit her.

Der äthiopische Wald ist weg, der Tschadsee ausgetrocknet, die Böden im südlichen Afrika erodiert. Auch wenn das traditionelle Wissen weiterentwickelt würde – könnte sich Afrika überhaupt selbst ernähren?
Afrika wird nie mehr ohne Lebensmittelimporte auskommen. Aber wir dürfen trotzdem nicht aufgeben. Es gibt viele gute Ansätze. Als ich in den sechziger Jahren die Ecofarming-Bewegung mitbegründete, arbeitete ich mit einer Biologin aus New York, die betrieb Landwirtschaft auf den Trottoirs der Stadt! Man kann das für eine Spinnerei halten, aber das Experiment zeigte, wie viel möglich ist. Regierungen, Universitäten und Bauern müssten zusammensitzen – aber wo geschieht das schon? Der Wandel darf nicht einfach von Hilfswerken ausgehen, sonst wird das wieder kolonial. Mein Buch ist nur ein kleiner Beitrag. Ich will nicht sagen, alles müsse wieder aufleben. Ich will sagen: Ihr konntet es mal! Eure Vorfahren – und die Ahnen sind in Afrika ganz wichtig – konnten das!

Aber das war ein prekäres Können. Sie betonen im Buch, dass es immer Hungersnöte gab, nicht erst im 20. Jahrhundert.
Ja, aber es gab zumindest Menschen, die Freude hatten an den Herausforderungen. Ich bin erschrocken, wie sehr auch in Afrika heute nur noch das Geld zählt. Dieser verdammte Kapitalismus. Geld verdienen mit Landwirtschaft, das funktioniert in Afrika fast nirgends. Ich wundere mich ja, wie nun Investoren vor allem aus Asien in Afrika Land aufkaufen. Das kann höchstens mit Energiepflanzenkulturen rentabel werden. Die werden noch schwer reinfallen.

Könnten die afrikanischen Erfahrungen auch für die restliche Welt wertvoll sein?
Es gäbe schon etwas zu lernen. Mit dem Klimawandel wird das Problem der Böden, die versauern und austrocknen, sodass der Wind den Humus davonträgt, auch in Europa akut werden. Und Argentinien mit seiner Viehzucht und seinen Sojamonokulturen dürfte seine Böden in zwei Generationen zerstört haben. Das gibt den Afrikanern dann vielleicht die Chance, anderen zu zeigen, wie man mit einer solchen Situation umgeht. Sie leben schon seit 12000 Jahren damit.

Al Imfeld: Elefanten in der Sahara. Agrargeschichten aus Afrika. Rot­punktverlag. Zürich 2009. 260 Seiten. 32 Franken

Der Kontinent seines Lebens

«Ich wollte zu meinem 75. Geburtstag noch einmal nach Afrika», sagt Al Imfeld. «Zum letzten Mal.» In den vergangenen Wochen besuchte er Ghana, das 1957 als erstes Land südlich der Sahara unabhängig geworden war, und Namibia, das 1990 zuletzt an der Reihe war. Schon 1954 war der angehende Theologiestudent erstmals nach Afrika gereist. Er wollte Albert Schweitzer sehen – und war vom alten Patriarchen schwer enttäuscht. Dennoch begann damals eine lebenslange Faszination. Als Theologe, Journalist, Tropenagronom und Geschichtenerzähler bereiste und beschrieb Imfeld immer wieder Afrikas «tausend Realitäten».

Imfelds neues Buch erzählt Geschichten über die afrikanische Landwirtschaft: über Hirten, Bäumepflanzer und Züchterinnen, über raffinierte Praktiken, die an ungastliches Klima optimal angepasst waren – und über die Vorurteile des Nordens. «Ich habe es zuerst in wissenschaftlicher Form auf Englisch geschrieben und wollte es in einem afrikanischen Verlag publizieren», erzählt Imfeld. «Aber keiner wollte es drucken ...»