US-Finanzreform: Kalkulierte Katastrophen

Nr. 22 –

Von den Parallelen zwischen Ölleck und Finanzkrise und wie Barack Obama dem Katastrophenkapitalismus Herr werden will.


Obamas Finanzreform, das zweite ambitiöse Projekt des US-Präsidenten nach der Überholung des Gesundheitswesens, steht in den USA nicht im Zentrum des öffentlichen Interesses. Es ist schwierig, sich über die Kaprizen virtueller Kapitalbewegungen aufzuregen, wenn im Golf von Mexiko das Öl weiter sprudelt und Meer, Strände und Feuchtgebiete zerstört. Kommt dazu, dass man die BP-Katastrophe im Gegensatz zur unsichtbaren Finanzkrise live am Bildschirm mitverfolgen kann. Schauen wir also hin: Aus der Gewinnung des flüssigen Goldes können wir, wie uns Upton Sinclair schon 1927 mit seinem Roman «Öl!» bewies, einiges über den Kapitalismus als System lernen.

Wie sich die Dinge gleichen

Sowohl die Ölkonzerne wie die Hochfinanz traten mit ihren hochkomplexen Methoden und Instrumenten dann in Aktion, als die leichter zugänglichen Ressourcen ausgeschöpft waren. Um die Profitmaximierung weiterhin zu garantieren, mussten die Unternehmen immer abenteuerlichere und riskantere Arten der Extraktion wählen.

Bei der Ausbeutung der Rohstoffe (Erdöl beziehungsweise Kapital) triumphierten Rentabilität über Sicherheit, kurzfristige Vorteile über langfristige Auswirkungen und der riesige Gewinn von wenigen Akteuren über den Verlust von vielen Menschen und der Natur.

Krisenszenarien sind Bestandteil des unternehmerischen Denkens. Die Schweizer Firma Transocean zum Beispiel hat die Ölplattform im Golf von Mexiko für den mehrfachen Wert versichert, macht also theoretisch Gewinn, wenn diese sinkt. Goldman Sachs hat an der Börse so auf risikoreiche Hypotheken gesetzt, dass sich ihr Profit mit der unbezahlten Schuld von HausbesitzerInnen erhöhte.

Für die externen Schäden von «Betriebsunfällen» besteht im Gegensatz dazu kein Plan B. Niemand weiss wirklich, was zu tun ist, wenn der GAU tatsächlich eintritt. Die Ölfirma BP experimentiert seit dem 20. April mit immer neuen Methoden, vor Ende August ist kaum eine Lösung in Sicht. Die US-Finanzkrise löste eine weltweite Rezession aus. Niemand weiss, wie und wann die Arbeitslosigkeit in den USA wieder unter zehn Prozent sinken wird.

Die Unternehmer selbst – Ölbarone wie Banker – sind offenbar die Einzigen, die wenigstens über ein minimales Know-how zur Krisenbewältigung verfügen. Die öffentliche Hand hat bei der Entwicklung der risikoreichen Ausbeutungsmethoden nicht mithalten können und ist heute auf das Fachwissen der Unfallverursacher angewiesen – die gewohnheitsmässig lügen.

Die Aufsicht der öffentlichen Hand über die privaten Risikounternehmen ist mangelhaft. Wo es überhaupt Kontrollgremien gibt, stecken deren Beamte unter einer Decke mit dem betreffenden Wirtschaftszweig. Nach acht Jahren forcierter Deregulation unter der Regierung Bush gehen die «ExpertInnen» durch die Drehtür zwischen Wall Street oder der Ölindustrie und dem Weissen Haus hin und her.

Solange es keine prinzipielle Umorientierung von Wirtschaft und Politik gibt, wird es wieder passieren: Die nächste Ölkatastrophe kommt bestimmt, vielleicht schon in der kommenden Hurrikansaison. Und auch vor einer nächsten Finanzkatastrophe sind wir nicht gefeit, solange der Kasino- und Katastrophenkapitalismus nicht wirkungsvoll eingedämmt werden kann.

Im Bankenbereich ist die Regierung Obama zumindest einen Schritt voraus. Als «wichtigste Finanzreform seit fünfzig Jahren» bezeichnen die «Americans for Financial Reform» – eine Dachorganisation von politisch breit gefächerten Organisationen und Bewegungen – die beschlossene, aber noch nicht bereinigte Gesetzesvorlage. Die RedaktorInnen der linken Wochenzeitschrift «The Nation» sind weniger enthusiastisch: Die Makler von der Wall Street seien Junkies, denen mit blosser Schadensbegrenzung nicht beizukommen sei, schreiben sie. Da helfe bloss der radikale Entzug.

Ein Tritt für das Geld?

Die Rekonstruktion des Finanzsektors als sauberer Spieler bedeutete nicht zuletzt eine Redimensionierung von Wall Street: Denn in den USA werden heute 40 Prozent der Profite im Finanzbereich erzielt. Die sechs grössten Banken kontrollieren Guthaben im Wert von 63 Prozent des US-amerikanischen Bruttoinlandsproduktes. Bisher vergeblich forderten etliche ParlamentarierInnen die Wiedereinführung des Glass-Steagall-Acts von 1933, der eine Trennung zwischen Geschäfts- und Investmentbanken verlangte und erst 1999 unter Bill Clinton aufgehoben worden war. Es ist zu hoffen, dass die endgültige Finanzreform in diesem Sinne noch gestärkt wird.

Die demokratische Führung wünscht sich eine Übertragung der Finanzreformdiskussion des Kongresses am Fernsehen. Das könnte den Einfluss der Wall-Street-Lobbyisten schwächen, die im vergangenen Jahr 122 Millionen Dollar zur Finanzreformbekämpfung ausgaben. Denn wie der demokratische Abgeordnete Frank Barney aus Massachusetts sagte: «Geld ist wichtig. Doch Wählerstimmen versetzen dem allmächtigen Geld alleweil einen Tritt in den Arsch.»

Diese Wählerstimmen werden bereits im November bei den Zwischenwahlen in den US-Kongress eine wichtige Rolle spielen. Die Ölkatastrophe von BP und die unverschämten Profite von Goldmann Sachs und Co. bei anhaltender Arbeitslosigkeit und Immobilienkrise können leider ebenso gut ein Tea-Party-Nein zu allem, was von Obama kommt, auslösen wie eine Stärkung der staatlichen Regulierung des Katastrophenkapitalismus.