Beim Rodeo: Und alle lächeln sie

Nr. 34 –

Gunnison ist ein ruhiges Städtchen in den Bergen von Colorado. Ausser an den drei Tagen im Juli, wenn die Cattlemen’s Days das Rodeofieber ausbrechen lassen. Ein Besuch und einige Gespräche.


«Heute Abend», röhrt es aus der Sprecherkabine in die Arena, «senden wir eine Nachricht aus Gunnison an den Rest der Welt: Don’t mess with the USA!» Auf dieses Kommando prescht ein schmales Mädchen zu Pferd im hämmernden Galopp durch die Arena, im Arm eine riesige, flatternde US-Fahne.

Der Applaus von den Rängen hält sich in Grenzen. Doch den Ansager Andy Stewart feuert das nur an. Immerhin ist er einer der Stars seiner Branche. So bekannt, dass er sogar einen eigenen Werbevertrag hat – der Aufnäher eines Genfoodunternehmens prangt auf dem Rücken seines Jeanshemds. Er legt nach: «Wenn hier Männer und Frauen sind, die in unseren Kriegen gekämpft haben, im Zweiten Weltkrieg oder in Korea, in Vietnam oder am Golf – erhebt euch und nehmt den Applaus der anderen entgegen!»

Tatsächlich stehen einige der vielleicht 1500 ZuschauerInnen auf. Die US-Hymne erklingt. Viele auf den Tribünen singen mit, nicht wenige legen die rechte Hand aufs Herz. Während der letzten Töne wird ein Tor unter der Sprecherkabine aufgerissen. Ein Bulle mit einem Reiter auf dem Rücken bockt wild in die Arena. «It’s Shooooowtime!», röhrt Andy Stewart. Das heutige Rodeo der Cattlemen‘s Days in Gunnison ist eröffnet.

Eine riesige Gürtelschnalle

Die Cattlemen’s Days sind das wichtigste gesellschaftliche Ereignis im Veranstaltungskalender von Gunnison. Im kleinen Städtchen, das sich auf 2500 Metern Höhe in ein Hochtal der Rocky Mountains schmiegt, ist ansonsten nicht besonders viel los. Gut jedeR dritte der 7000 EinwohnerInnen studiert an der örtlichen Universität, und WintersportfreundInnen, denen das nahe Aspen zu teuer oder Boulder zu überlaufen ist, kommen gerne hierher zum Skifahren oder Snowboarden. Aber der Aufruhr, den die Cattlemen’s Days seit der Gründung 1900 jedes Jahr für eine Juliwoche nach Gunnison bringen, ist beispiellos.

Es gibt Viehauktionen, Musik- und Kulturveranstaltungen, neben der Arena ist ein Jahrmarkt mit Schiessbuden und einem Riesenrad für relativ kleine Riesen aufgebaut. Doch das alles wäre nichts ohne das dreitägige Rodeo, das den Höhepunkt und den Abschluss bildet.

Rodeo ist die vielleicht US-amerikanischste aller Sportarten. In insgesamt sieben Disziplinen messen sich hier Wettkämpfer miteinander. Jede leitet sich unmittelbar aus der Arbeit auf den Farmen ab: Mustang- und Bullenreiten ebenso wie die Disziplinen, bei denen Kälber mit dem Lasso eingefangen werden. Das Tenue der Sportler besteht aus Jeans, Hemd mit Druckknöpfen, einer riesigen Gürtelschnalle und einem Cowboyhut – die klassische Cowboybekleidung. Jeder Vorgang ist nach höchstens einer halben Minute vorbei. Die Teilnehmer der Reitwettbewerbe müssen nur acht Sekunden im Sattel bleiben, bis die Jury ihre Wertung abgibt. Ein Wettkampftag beim Rodeo dauert so kaum mehr als zwei Stunden, obwohl nicht selten mehr als hundert Aktive an den Start gehen. Keine Siegerehrungen unterbrechen den Ablauf. Showelemente beschränken sich zumeist darauf, dass die Fahne eines Sponsors durch die Arena geritten wird. Meistens machen das die Miss Rodeos, die in verschiedenen Altersklassen zu Beginn der Woche gewählt worden sind.

Das Rodeo in Gunnison gehört zur Serie, mit der die PRCA – die Professional Rodeo Cowboys Association – ihre Finalisten für den grossen Saisonhöhepunkt in Las Vegas ermittelt. Geld gibt es natürlich auch zu verdienen. Knapp 50 000 US-Dollar werden in diesem Jahr an die Bestplatzierten der drei Tage ausgeschüttet.

Ein hilfreicher Finanzplaner

Einen kurzen Fussweg von der Arena entfernt befindet sich das Hospitality Tent. Hier treffen sich täglich eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn die Mitarbeiterinnen und Helfer, um ihre Schichten einzuteilen. Jetzt, während des laufenden Wettkampfs, sitzt Jim Swaim an einem der weissen Plastiktische; er ist der Präsident der Cattlemen’s Days. Swaim ist ein stämmiger Mann von etwa fünfzig Jahren. Der Cowboyhut auf seinem Kopf wirkt irgendwie deplatziert. Reiten kann er auch nicht besonders gut.

«Ich bin freiberuflicher Finanzplaner», stellt er sich selbst vor. Im Gegensatz zu vielen anderen, die während der Cattlemen’s Days immer wieder auf Vorfahren verweisen, die Rancher oder Cowboys waren, gibt sich Swaim ganz rational: «Die ökonomische Auswirkung für die Region ist immens», sagt er. «Wir haben hier 11 000 Besucher, die ungefähr fünf Millionen US-Dollar ausgeben. Die Leute kommen mit ihren Familien.» Swaim selbst verdient an den Cattlemen’s Days keinen Cent, sagt er. Aber: «Diese Woche ist die wichtigste Einnahmequelle für Gunnison. Damit das so bleibt, müssen im Hintergrund ein paar Leute wie ich ehrenamtlich mitmachen.»

Draussen vor dem Zelt stromert Britt Jessop um die Pferdegatter. Der 27-Jährige mit den auffallend blauen Augen ist bereits im siebten Jahr als Rodeoprofi unterwegs. Seine Disziplin ist das Mustangreiten mit Sattel. Neulich war er mal 67. eines Wettbewerbs – die beste Platzierung der letzten Zeit. Trotzdem nimmt er für seinen Sport einiges auf sich. «Fünf Monate bin ich im Sommer im Auto unterwegs. Und im Winter, wenn es keine Rodeos gibt, sieben Monate als Trucker.» Jessop setzt ein schiefes Lächeln auf. Unauffällig sieht er immer wieder in Richtung des Pferdegatters. Vor einer halben Stunde hat man ihm sein Pferd für den heutigen Abend zugelost, und er will versuchen, den Mustang zumindest mal zu sehen.

Bei den Reitwettbewerben werden nämlich nicht nur die Zeit im Sattel und die Leistung des Reiters bewertet. Die Hälfte der Punkte vergibt die Jury für das Zusammenspiel von Pferd und Cowboy. Männer wie Jessop werden dabei oft schlechter bewertet als die Stars. «Damit muss man leben.» Jessop zeigt wieder sein Lächeln. «Ist eben so ähnlich wie beim Eiskunstlaufen.» Zum Abschied zählt er uns noch die Verletzungen auf, die er in den letzten Jahren erlitten hat: «Armbruch. Beinbruch. Und die Narbe im Gesicht ist von einem Bullenhorn. Da bin ich nicht schnell genug hinter das Gatter gekommen, nachdem der mich abgeworfen hatte.»

Ein gottloser Redneck

Mittlerweile hat in der Arena mit dem «Tie Down Roping» die nächste Disziplin begonnen. Durch das Südtor werden Kälber in die Arena getrieben. Cowboys setzen ihnen zu Pferd nach. Binnen Sekunden bringen sie die Tiere mit ihren Lassos zu Fall. Die Regeln erlauben allerdings nur einen einzigen Wurf. Geht der fehl, läuft das Tier durch die ganze Arena und steht irgendwann etwas desorientiert vor dem Nordtor. Der Mann, der es dort entgegennimmt und ins Gatter führt, hat sonnenverbrannte Haut, ein lustiges Lachen und heisst Mark Todd. Wenn Todd nicht gerade Jungtiere einparkt, arbeitet er als Professor für US-amerikanische Literatur an der Universität der Stadt. Schriftsteller ist er auch; bislang hat er zwei Romane und mehrere Lyrikbände veröffentlicht.

Unter den ungefähr dreissig Leuten, die beim Rodeo arbeiten, ist Todd einer der wichtigsten. «Am Nordtor werden die Autos der Sponsoren reingelassen», erläutert er, «die Fahnenträgerinnen reiten von hier ein – all die Dinge, die der Zuschauer erst dann bemerkt, wenn sie schon längst in der Arena sind.» Wie schätzt ein Intellektueller wie er eigentlich den nationalistischen Bombast ein, der sein Rodeo begleitet? «Die Sache mit den Veteranen, die markigen Sprüche – ich muss ehrlich sagen, das hinterfrage ich nicht, sondern akzeptiere es als Teil der Show.» Plötzlich lacht auch Todd dieses Lachen, das bei einer Rodeoveranstaltung anscheinend allgegenwärtig ist. «Ich bin ein gottloser Redneck. Und wenn die Hymne gespielt wird, dann singe ich nicht mit, sondern schaue mir in Ruhe hübsche Frauen an.»

«Hey!» Ein Klaps landet in Todds Nacken. Seine Frau Kym steht hinter ihm. Gerade eben ist sie mit einem Pick-up aus der Arena gekommen, wo sie mit zwei Kollegen Fässer für das «Barrel Race» aufgestellt hat. Das ist die einzige Frauendisziplin im Rodeo. So schnell wie möglich müssen die Reiterinnen auf ihren Pferden drei aufgestellte Fässer umkreisen. Kym ist für diese Disziplin verantwortlich, weil sie früher selbst eine Barrelreiterin war. «Aber nicht professionell», wehrt die Frau mit den langen blonden Haaren ab. «Nur in der Highschool und danach noch ein bisschen auf dem Minnesota State Circuit.»

Kym O’Connell-Todd ist seit 1996 im Organisationskomitee. Eine Nachbarin war ein Jahr zuvor eingestiegen, als erste Frau bei den Cattlemen’s Days nach 95 Jahren. «Aber die hat sich nur um die Miss-Rodeo-Wahlen gekümmert», sagt sie. «Und ich dachte, dass es nicht schlecht wäre, ausserdem eine Frau für den Sport zu haben.» Kym hat ein eigenes Grafikbüro, das die Werbung des Rodeos gestaltet. Auch sie stört sich nicht an den nationalistischen Tönen. «Ansonsten kann ich mit diesem Patriotismuskram nichts anfangen», jetzt zeigt sie ebenfalls das Rodeolächeln, «aber für drei Tage im Jahr verwandle ich mich scheinbar in einen Redneck.» Als PR-Frau der Veranstaltung ist sie mit den Protesten gegen den Rodeosport konfrontiert. «Wir stehen unter permanenten Angriffen von Tierschutzorganisationen», gibt sie zu. «Eigentlich verstehe ich das nicht. Die Tiere sind so wertvoll, die werden von ihren Besitzern nicht gequält.» «Na ja», schaltet sich Mark ein, «wenn die Kälber von den Beinen gerissen werden, dann sieht das manchmal schon brutal aus.» Kym nickt. Wirklich überzeugt wirken beide nicht, dass jemand ernsthaft etwas gegen ihren Sport haben könnte.

Deutsche Floskeln

Direkt neben den beiden bringt ein Mädchen ihr Pferd zum Stehen. «Junior Miss Rodeo» steht auf der Schärpe, die sie über einem strahlend blauen Hemd trägt. Madleen Caplen ist elf Jahre alt und war eine der Reiterinnen, die zwischen den Disziplinen die Sponsorenfahnen durch die Arena getragen haben. Jetzt ist auch für sie Feierabend. Sie nimmt den Hut vom Kopf und schüttelt lange blonde Locken.

«Guten Abend!», sagt sie, als sie uns sprechen hört. Da ihre Urgrosseltern aus Deutschland stammen, kann sie ein paar deutsche Floskeln. Auch alles andere, was sie sagt, klingt auswendig gelernt: Ja, sie reitet seit ihrem dritten Lebensjahr. Ja, tatsächlich möchte sie gerne Fotografin werden. Als Madleen sagt, ihre kleine Schwester zeige ihr, dass sie stolz auf sie sei, indem sie ihr an den Haaren ziehe, greift die Missenbetreuerin sanft nach ihrer Schulter und zieht sie weg. Madleen hat morgen viel zu tun. Eine der anderen Missen hat sich heute den Fuss gebrochen, da muss die Junior Miss morgen doppelt so viele Fahnen tragen.

Auf dem Weg nach draussen sehen wir noch einmal Britt Jessop. 7,8 Sekunden ist er im Sattel seines Mustangs geblieben. 0,2 Sekunden zu kurz, um in die Wertung zu kommen. Jetzt packt er den Koffer in seinen Wagen. «Morgen sitze ich wieder im Sattel. Zwei Autostunden von hier. Da läuft es bestimmt besser.» Als er Gas gibt, sehen wir zum letzten Mal für heute das Rodeolächeln.

Recherchierfonds

Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds des Fördervereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten der WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden der WOZ-Leser:innen.

Förderverein ProWOZ unterstützen