Waffenschutzinitiative: «Dann steht es bös um die Männlichkeit»

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In keiner Partei ist die Waffenschutzinitiative so umstritten wie in der CVP. Rosmarie Zapfl, ehemalige Nationalrätin und Präsidentin der Frauendachorganisation Alliance F, über das Sturmgewehr als Machtsymbol, vierzig Jahre Frauenstimmrecht und die aktuelle Situation ihrer Partei.


WOZ: Frau Zapfl, als Vertreterin des Initiativkomitees sind Sie auf unzähligen Podien anzutreffen, reisen für Interviews durch die Schweiz und traten letzten Freitag in der «Arena» des Schweizer Fernsehens auf. Warum engagieren Sie sich so sehr für die Waffenschutzinitiative?

Rosmarie Zapfl: Ich politisiere seit vierzig Jahren, und seit vierzig Jahren ist es mir ein Anliegen, die Waffengesetze zu verschärfen. Für mich war immer klar, dass die Armeewaffe zu Hause nichts verloren hat. Ich war fünf Jahre Sozialvorsteherin in Dübendorf und hatte oft mit Frauen und Kindern zu tun, die bedroht wurden. Sei es, weil der Mann betrunken nach Hause kam, sei es, weil es bei Auseinandersetzungen zu Affekthandlungen kam. Ich kenne aber auch persönlich Frauen, die über Jahrzehnte mit der Waffe eingeschüchtert wurden, allein aus dem Grund, dass eine Waffe zu Hause und somit verfügbar war.

Ich bin 1939 geboren, während meiner ersten sechs Lebensjahre stand mein Vater im Militärdienst an der Grenze. Ich kannte ihn nur in Uniform und mit Karabiner. Er ging an die Grenze, um sie zu verteidigen und gegebenenfalls auch Menschen zu töten. Eine Armeewaffe ist ein Tötungsinstrument, sonst brauchte man sie nicht. Doch der Zweite Weltkrieg und der Kalte Krieg sind längst vorbei. Die Armee hat heute ganz andere Aufgaben, als mit dem Sturmgewehr herumzurennen.

Welche Aufgabe hat die Armee denn Ihrer Meinung nach heute noch? Von den InitiativgegnerInnen wird Ihnen ja öfter vorgeworfen, Sie wollten die Armee abschaffen.

Es gibt tatsächlich Leute, die Angst haben, bei einer Annahme der Initiative würde die Armee abgeschafft. Das will ich auf keinen Fall. Es braucht eine Armee. Die Frage ist nur, wofür. Ich sage, wir brauchen eine Armee, die sinnvoll eingesetzt wird und die nicht dem Denken aus dem Kalten Krieg verpflichtet ist. Wir brauchen eine Armee beispielsweise bei Naturkatastrophen. Doch was nützt einem ein Sturmgewehr gegen eine Naturkatastrophe?

So eine Waffe ist ja auch ein Machtinstrument ...

Sie ist ein massives Machtinstrument. Für was sollte man sie sonst brauchen, wenn nicht zur Machtdemonstration?

Für den Sport zum Beispiel.

Die SportschützInnen werden durch die Initiative nicht eingeschränkt. Jeder seriöse Sportschütze und Wehrmann sollte froh sein, dass seine Waffe registriert wird, man weiss, wo sie ist und wofür er sie braucht. Und seinen Sport kann er weiterhin ausüben.

Was sagen SportschützInnen zu Ihren Argumenten?

Sie sagen, dass es die Initiative nicht braucht. Und auch Geld ist ein grosses Thema. Je länger, je mehr komme ich zum Schluss, dass es vor allem ums Geld geht. Wenn das Obligatorische Schiessen abgeschafft würde, verlören die Vereine viele Beiträge. Sogar hohe Militärs wie Jean-Jacques Chevalley, der militärpolitische Berater Ueli Maurers, sagen heute, dass wir das 300-Meter-Schiessen nicht mehr brauchen. Ich sehe nicht ein, warum wir es nicht abschaffen können. Da geht es wirklich nur noch ums Geld, das die Schützenvereine für die Organisation des Obligatorischen erhalten. Ich finde es schlimm, dass man auf Kosten von Menschenleben bereit ist, so etwas weiterzuführen, nur damit der Verein zu seinem Geld kommt.

Das ist die Tradition, sagen die Initiativgegner ...

Ich spreche viel mit jungen Männern, die sich massiv dagegen wehren, das Sturmgewehr abzugeben. Das Gewehr ist für sie ein Statussymbol. Stellen Sie sich vor: eine Tötungswaffe als Statussymbol. Wenn der alleinige Wert eines Mannes ist, ein Gewehr zu Hause zu haben, dann steht es bös um unsere Männlichkeit. Ich hoffe und erwarte, dass unsere Männer auch andere Werte haben.

Die Initiative wird stark im Geschlechterrahmen diskutiert.

Ich bin nicht der Meinung, dass es hierbei um das Thema Mann–Frau geht. Wenn ich die Leserbriefe in den Zeitungen und auch Rückmeldungen an mich lese, schreiben vor allem Männer, darunter auch Offiziere, sie seien für die Waffenschutzinitiative, weil damit endlich ein alter Zopf beseitigt wird.

GegnerInnen wie BefürworterInnen der Initiative kämpfen allerdings heftig um die Stimmen der Frauen. Sind sie tatsächlich ausschlaggebend für das Abstimmungsresultat?

Es kommt in erster Linie darauf an, ob die Frauen an die Urne gehen oder nicht, ob sie überzeugt sind, dass die Initiative etwas bringt. Ich behaupte nie, dass es keine Familienmorde oder Bedrohungen mehr gibt, wenn die Initiative angenommen wird. Das wird es weiterhin geben. Doch wenn man nur einen Teil verhindern kann, haben wir mit der Initiative das Ziel erreicht. Schon bei den Abstimmungen zur Mutterschaftsversicherung und zum Schwangerschaftsabbruch nahmen Frauen in den Parteien grossen Einfluss, um Männer zu überzeugen.

Es ist wichtig, dass Frauen ihre Anliegen vertreten können. Doch es ist schade, dass man immer noch von politischen Frauenanliegen spricht. Für mich gibt es überhaupt kein politisches Thema, das ein reines Frauenthema ist. Alles Politische geht Frauen und Männer genau gleich an.

Im Februar, kurz vor der Abstimmung, jährt sich die Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz zum vierzigsten Mal. Sie haben sich damals auch selbst aktiv für die Einführung des Frauenstimmrechts engagiert.

Ja natürlich, schon das erste Mal 1959. Ich konnte es nicht ertragen, dass ich AHV-Beiträge von meinem kleinen Lohn bezahlen musste und nicht mitbestimmen konnte, was mit dem Geld passiert. Das hat mich zutiefst betroffen, ich fühlte mich richtig diskriminiert. Noch stärker habe ich mich für das Gleichstellungsgesetz eingesetzt. Verheiratete Frauen wurden nach der Einführung des Stimmrechts nach wie vor vom Ehemann bevormundet.

Wie wurden Sie politisiert?

Ich wurde als Mädchen geboren. Darum. Ich hatte in der Schule nicht die gleichen Rechte wie die Buben. Ich durfte nicht ins Englisch, nicht in die Algebra. Meine Schwestern und ich gehörten zu den wenigen im Dorf, die eine Lehre machten. Unser Vater wollte, dass wir selbstständig sein können. Meine Schulkolleginnen hörten von ihren Eltern: «Du heiratest ja sowieso, weshalb sollen wir dann Geld für eine Lehre ausgeben.»

Mit 21 Jahren heiratete ich einen Mann aus Österreich. Für ihn war es unglaublich, dass Frauen hier nicht ihre eigenen Rechte haben. Dann kamen die Kinder, und ich musste feststellen, dass ich als Schweizerin Ausländerkinder bekomme. Als wir unsere eigene Firma gründeten, liess ich mir meine zweite Säule ausbezahlen. Der Briefträger brachte das Geld zur Haustür und durfte es mir nicht aushändigen, wenn mein Mann nicht zuhause ist. Und als Stadträtin in Dübendorf wurde ich angefragt, Verwaltungsratspräsidentin einer neu zu gründenden kleinen Firma eines Bekannten zu werden. Als ich aufs Notariat kam, wurde ich gefragt, wo mein Mann sei, er müsse schliesslich unterschreiben. Dabei war ich Stadträtin in Dübendorf, habe x Formulare unterschrieben. Alle diese Erfahrungen haben mich politisiert.

Und wie sind Sie zur CVP gekommen?

Ich war Präsidentin des Katholischen Frauenvereins in Dübendorf. Wir machten viel Öffentlichkeitsarbeit in der Stadt, man kannte mich. 1974, also wenige Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts, fragte mich die CVP an, ob ich auf ihrer Liste für den Gemeinderat kandidieren würde. Sie sagten, ich müsse mir keine Sorgen machen, ich würde sowieso nicht gewählt. Doch dann hatte ich am zweitmeisten Stimmen und wurde CVP-Gemeinderätin.

Früher war die Konfession, der Katholizismus, das verbindende Element der CVP.

Das ist schon lange nicht mehr so. Was heisst denn schon katholisch? Sind das jene, die jeden Tag in den Gottesdienst gehen, oder jene, die christlich denken? Wir haben ja auch viele Reformierte in der CVP und sogar einige Muslime. Das C hat für mich nichts mit katholisch zu tun, sondern mit christlichen Werten. Einer grossen Toleranz und Offenheit gegenüber Andersdenkenden und anderen Religionen. Ich sehe die CVP heute als sozial-liberale Partei. Das ist kein Widerspruch für mich. Es gibt ein sehr breites Spektrum in der CVP, und das kommt immer mehr zum Ausdruck.

So sind beispielsweise die CVP-Frauen für die Waffenschutzinitiative, während die CVP Schweiz am Samstag knapp die Nein-Parole verabschiedet hat. Steckt die CVP in einem Dilemma?

Die CVP des Kantons Zürich hat mit grossem Mehr die Ja-Parole gefasst. Das ist meine Partei. In der CVP sind selten alle dafür oder dagegen. Das ist bei jeder Vorlage so.

Die Heterogenität wird oft als Schwäche der CVP angesehen. Die konservativen WählerInnen stimmen für die SVP. Vor kurzem lief auch der St. Galler Nationalrat Thomas Müller zur SVP über.

Wie sich gezeigt hat, war Thomas Müller wohl in der falschen Partei. Aber ich kenne ihn zu wenig, um wirklich etwas dazu sagen zu können. Doch für mich ist gerade die Heterogenität die Stärke meiner Partei. Bei Abstimmungen im Parlament hat die Meinung der CVP nach wie vor einen gewaltigen Einfluss. Ich habe sehr gut zusammengearbeitet mit Sozialdemokratinnen, sie können aber auch sehr stur sein. Dabei ist es wichtig zuzuhören und andere Argumente zu bedenken. Seit 1995 gibt es in der CVP einen starken rechten Flügel, der mit der SVP stimmt, und einen starken linken Flügel, der mit der SP stimmt. Doch es sind alle noch dabei. Thomas Müller ist ein Einzelfall.