Aus Gaddafis Lager: Bruder Führer hat noch Freunde

Nr. 15 –

Im Lager der Regierungstreuen ist der Kampfeswille weiterhin gross. Gaddafi gibt sich siegessicher, während die Delegation der Afrikanischen Union den libyschen Herrscher eher hofierte, denn Verhandlungen führte.


Von der Feriendestination Dscherba sind es nur 150 Kilometer bis zur libyschen Grenze. Eine Fahrt durch Palmenlandschaften entlang der Mittelmeerküste. Vorbei an der Stadt Dschardschis, von der aus in den letzten drei Monaten Tausende von jungen TunesierInnen in klapprigen und überladenen Fischerbooten nach Italien übersetzten. Am Strassenrand wird Benzin in alten, schmutzigen Kanistern angeboten. «Aus Algerien geschmuggelt», erklärt der Fahrer, «denn in Libyen gibt es ja nichts mehr, seit Gaddafi seine eigenen Leute abmurkst.» Er macht dazu ein bedauerndes Gesicht.

In Ben Gardane, dem letzten Ort vor der Grenze, reiht sich eine Geldwechselstube an die andere: selbst gebastelte Barackenläden aus alten Balken mit Stoff- oder Plastikplanen darüber. 23 Kilometer weiter dann Ras Dschedir. An diesem Grenzübergang herrschte Ende Februar Chaos, als Tausende GastarbeiterInnen aus Ägypten, Mali oder von den Philippinen wegen des bewaffneten Konflikts zwischen den Truppen Muammar al-Gaddafis und RebellInnen Hals über Kopf das Land verliessen. Die Flüchtlinge, die nicht in ihre Heimatländer zurückkehren konnten, leben jetzt in Zeltlagern des Uno-Füchtlingshilfswerks und des Roten Halbmonds unweit der Grenze auf tunesischem Territorium.

Die Kämpfe von Sawiya

Nur wenige Fahrzeuge sind Richtung Tripolis unterwegs. Der Beamte in Zivil, der die Pässe kontrolliert, sieht aus, als wäre er gerade von seinem Schlafplatz hinter dem Haus aufgestanden. Seine Sandalen sind vor langer Zeit aus dem Leim gegangen, Hose und Jacke ungewaschen. Der Drehstuhl, auf dem er sitzt, wackelt bedenklich. Aus dem aufgerissenen Überzug bröselt der Schaumstoff. «Willkommen in der Grossen Sozialistischen Libysch-Arabischen Volks-Dschamhariya», steht auf einem Schild. Hier scheint alles wie gehabt, als würde es die RebellInnen nicht geben, die den Ostteil des Landes kontrollieren und die 42-jährige Herrschaft Muammar al-Gaddafis ein für alle Mal beenden wollen.

Auf der Strasse nach Tripolis immer wieder Strassensperren: bewaffnete Soldaten mit grünen Tüchern als Zeichen für die Unterstützung von Oberst al-Gaddafi. Vereinzelt passieren Pick-ups mit Maschinengewehren auf der Ladefläche. Spuren von Kampfhandlungen sind auf der gesamten Strecke in die Hauptstadt kaum zu sehen. Selbst in Sawiya, der Stadt, in der sich RebellInnen und Gaddafi-Truppen Anfang März tagelang schwere Gefechte geliefert haben sollen, ist von der Hauptstrasse aus nichts zu bemerken. «Sehen Sie, das waren die Kämpfe um Sawiya», sagt ein Regierungsbeamter schmunzelnd und deutet auf das friedliche Stadtbild.

Zu den mehrere Hundert Meter langen Autoschlangen vor den Tankstellen gibt er keinen Kommentar ab. Mit Beginn des Bürgerkriegs sank die Ölförderung Libyens von 1,6 Millionen Barrel (ein Barrel sind rund 159 Liter) pro Tag auf nur noch 250 000 bis 300 000 Barrel. Der Ölpreis auf den internationalen Märkten stieg auf 126 Dollar pro Barrel.

Je näher man der libyschen Hauptstadt kommt, umso zahlreicher und intensiver werden die Strassenkontrollen. Die Soldaten sind sichtlich nervös und gereizt. Nur der Verdacht, dass ein Foto gemacht wurde, löst bereits einen Wutanfall aus. Die AutofahrerInnen, die oft eine halbe Stunde und mehr warten müssen, bis sie nach der Kontrolle ihrer Ausweise passieren können, scheinen es mit Geduld zu ertragen. Viele Wagen sind mit grünen libyschen Flaggen oder grossen Fotos von Muammar al-Gaddafi geschmückt. Konträre Bilder zu denen, die man von den Fernsehberichten aus den von RebellInnen kontrollierten Gebieten im Osten Libyens kennt.

JubellibyerInnen

Unterstützung für den «grossen Revolutionsführer» natürlich auch rund um Bab al-Asisiyah in Tripolis. Menschen zelten auf dem Platz vor dem berüchtigten Areal Gaddafis, das ein eigener Stadtteil mitten in Tripolis ist: mit weitläufigen Parks, Tiergehegen, Spielplätzen und Wohnanlagen für seine Familie und die engsten Getreuen. Dort befindet sich auch das Gebäude, das US-Kampfjets 1986 als Vergeltung für das Attentat auf die Berliner GI-Diskothek Labelle bombardiert hatten.

Das zerstörte Haus wurde bis heute nicht wieder aufgebaut und als Mahnmal für die «Gräueltaten» der USA so belassen. Gaddafi hält bevorzugt dort seine Ansprachen ans libysche Volk. Ein grüne, goldgesäumte Samtdecke markiert den Rednerstandort im dritten Stockwerk. Sie ist, wie auch die fest installierten Fernsehkameras, schon von weitem zu erkennen. Vor dem Trümmerhaus tummeln sich Hunderte von Gaddafi-AnhängerInnen. Wie draussen in den Zelten vor dem Bab al-Asisiyah sollen sich auch diese Leute freiwillig als menschliche Schutzschilde zur Verfügung gestellt haben, um ihren geliebten Führer vor Bombenangriffen zu schützen. Die überwiegend jungen Leute werden mit Musik und einer Videoleinwand unterhalten. Immer wieder heizen StimmungsmacherInnen die Leute an: «Gott, Muammar und Libyen!»

Ende März war ein Teil der Gaddafi-Stadt von Nato-Kampfflugzeugen bombardiert worden. Der Angriff galt angeblich einer militärischen Kommandozentrale. An den Ruinen kann man gut erkennen, dass das Gebäude lange Zeit vor dem Beschuss unbewohnt gewesen sein muss. In den Trümmern liegt ein zerfleddertes Exemplar des «Grünen Buchs», die ideologische Bibel des Revolutionsführers, die alle in Libyen in- und auswendig kennen sollten. Fast ist man versucht, darin eine Parallele für die momentane Situation Gaddafis zu sehen.

Bekanntermassen ist der Diktator unberechenbar. Am letzten Sonntag war eine Delegation der Afrikanischen Union (AU) eingeflogen, um einen Friedensplan für Libyen zu verhandeln. Für die Präsidenten aus fünf afrikanischen Ländern inszenierte die Propagandamaschinerie des Gaddafi-Regimes einen imposanten skurrilen Empfang: Tuaregsängerinnen und -tänzer, eine Blaskapelle, Folklorereiter, Würdenträger aus Armee, Marine und Luftwaffe. Nicht zu vergessen Hunderte von Leuten, vorwiegend Schülerinnen und Studenten mit Gaddafi-Postern, die «Nieder mit Sarkozy und Berlusconi!» brüllten.

Gaddafis Unterstützer in Afrika

Die Initiative der AU war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Ob Muhammad Ould Abdel Asis aus Mauretanien, Jacob Zuma aus Südafrika, Denis Sassou Nguessou aus der Demokratischen Republik Kongo, General Yoweri Museveni aus Uganda oder Amadou Toumani Toure aus Mali – sie alle sind langjährige Freunde und Unterstützer Gaddafis, der in ihren Ländern Milliarden investierte. «Halb Uganda gehört uns», sagte ein libyscher Vertreter stolz und mit einem breiten Lachen. «Die AU ist auf unserer Seite, da müssen wir uns keine Sorgen machen.»

Libyen ist der grösste finanzielle Sponsor der 53 Nationen umfassenden AU und Mitglied im Rat für Sicherheit und Frieden der Organisation. In Uganda besitzt Libyen eine ganze Reihe milliardenschwerer Firmen, darunter die National Housing Construction Company, Tropical Bank, Laico Lake Victoria Hotel, Tamoil East Africa and OiLibya. Von der ugandischen Telefongesellschaft Telecom, die ein dreizehn Milliarden Franken schweres Defizit hat, gehören dem libyschen Staat zwei Drittel. Ohne weitere Investitionen des Regimes würde sie wahrscheinlich bankrottgehen. Ein Schicksal, das auch Firmen in anderen afrikanischen Ländern ereilen könnte. In der African Development Bank (ADB) liegen libysche Einlagen von fast 340 Millionen Franken. «Libyen ist einer unserer grössten Investoren», sagt Emanuele Santi, bei der ADB zuständig für Libyen. «Ich denke nicht, dass dieses Geld abgezogen wird.»

Dieses Beziehungsgeflecht dürfte die RebellInnen in Benghasi vielleicht noch am wenigsten gestört haben. Dagegen die Waffenlieferungen Südafrikas an Gaddafi umso mehr: im Gesamtwert von gut dreizehn Millionen Franken allein 2010, wie das südafrikanische nationale Waffenkontrollkomitee in seinem jährlichen Bericht feststellte. Es ist kein Wunder, dass die Übergangsregierung der RebellInnen die Legitimation der AU-Delegation und ihren Friedensplan, der keine Abdankung des «grossen Bruders Führer» vorsah, rundum ablehnte. «Solange Gaddafi und seine Söhne Libyen nicht verlassen, gibt es nichts zu verhandeln», verkündete Mustafa Abd al-Dschalil, Sprecher der Aufständischen in Benghasi.

Die im Friedensplan enthaltenen Punkte – Waffenstillstand, humanitäre Hilfe, Dialog zwischen den verfeindeten Parteien und eine Übergangszeit für demokratische Reformen – seien «alles Lügen, nur ein Trick», wie Abd al-Dschalil sagte. Wahrscheinlich hat er recht.

Die Erfahrungen der letzten Wochen zeigen, dass Gaddafi und sein Regime mit Verhandlungen oder der Ankündigung eines Waffenstillstands stets nur Zeit gewinnen wollten. «Die Reise der AU-Delegation nach Benghasi gibt unseren Truppen schon einige, wenn auch wenige Stunden Zeit», bestätigt ein libyscher Beamter. «Wenn die AU unterwegs nach Benghasi ist, wird nicht bombardiert.»

Dass es Gaddafi ausgerechnet dieses Mal mit einem Friedensplan ernst meint, ist tatsächlich zu bezweifeln. Seine Truppen kämpfen in Misrata und Adschdabiyah unvermindert gegen die RebellInnen weiter. Einige von ihnen wurden Anfang der Woche tot aufgefunden – mit aufgeschlitzten Hälsen und die Hände am Rücken mit Handschellen gefesselt. Freiwillig wird der «grosse Führer» Gaddafi weder einen Teil von Libyen noch seine Macht aufgeben und keinen Versuch auslassen, den Bürgerkrieg doch noch für sich zu entscheiden.

General in Siegerpose

Siegesgewiss zeigte sich der Diktator nach dem Besuch der AU-Delegation seinen AnhängerInnen in Bab al-Asisiyah. Wie üblich im Stil eines Volkstribuns, mit erdbraunem Umhang und gleichfarbigem Turban auf dem Kopf. Er ist braungebrannt, überraschend gelassen, ruhig, ja erholt, als hätte er gerade ein paar Tage Ferien hinter sich. In seinem schwarzen Mercedes fährt er die Reihen seiner AnhängerInnen ab, die ihn jubelnd, fast hysterisch feiern, als wäre er der Erlöser. Gaddafi reckt die Fäuste, mimt den Sieger. Die Menge tobt.

Für die versammelten PressefotografInnen aus aller Welt ist es ein einmaliges Ereignis. Viele sind schon seit Wochen in Tripolis, sassen untätig in ihren Hotels. Ein Foto des exzentrischen Führers schien ein ferner, unrealistischer Traum. Vergeblich laufen sie jetzt dem schwarzen Wagen nach, als er davonrast und im Labyrinth der Gaddafi-Stadt verschwindet.

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