Durch den Monat mit Ivica Petrusic (Teil 1): Dass Sie überhaupt noch mit der Presse reden?

Nr. 40 –

Ivica Petrusic wollte eine Diskussion über Symbole und 
die Deutungshoheit darüber in Gang setzen, als er plötzlich 
zur Person erklärt wurde, die die Schweizer Flagge 
abschaffen will. Was dem Aarauer am meisten zu denken 
gibt, ist nicht die heftige Reaktion auf der rechten Seite.

Ivica Petrusic: «Ich habe nur festgestellt, dass es neue Symbole braucht, damit sich alle mit der Schweiz identifizieren können.»

WOZ: Ivica Petrusic, Mitte September titelte «Der Sonntag»: «Secondos wollen eine neue Schweizer Flagge», und nannte Sie als Urheber dieser Idee. Seither gelten Sie landauf, landab als Totengräber des Schweizerkreuzes. Sie sprachen von einem Missverständnis. Was genau war geschehen?
Ivica Petrusic: Am 23. August (2011) fand der Wahlkampfauftakt des Vereins Second@s Plus Schweiz statt. Als Vizepräsident des Vereins hielt ich eine von mehreren Reden. Darin stellte ich fest, dass die Deutungshoheit über Symbole wie die Schweizer Flagge in der Hand einer einzigen Partei liege, die auch definiere, wer ein richtiger Schweizer, ein Eidgenosse sei. Als Anregung, sich über unsere heutigen Symbole Gedanken zu machen, brachte ich die Fahne der Helvetischen Republik mit, eine grün-rot-gelbe Trikolore. Sie stammt aus der Zeit zwischen 1798 und 1803, als die Ideen und Ideale der Französischen Revolution in der Schweiz Einzug hielten. In dieser kurzen Phase erhielten alle Bürger, auch ausländische, das Stimmrecht ab dem 20. Lebensjahr. Auf diesen Punkt wollte ich mit der helvetischen Trikolore hinweisen, darauf, dass dieses Land vor über 200 Jahren eine modernere und offenere Ausländerpolitik hatte als heute.

Und wie sind Sie im «Sonntag» dann plötzlich zur Person geworden, die die Schweizer Flagge abschaffen will?
Irgendwie hat eine Journalistin diese Geschichte mit der Trikolore nach einem Monat wieder ausgegraben. Wir haben im Vorfeld der Veröffentlichung ihres Artikels ein langes Gespräch über die Absicht meiner Rede mit der Trikolore geführt, und die wenigen Zitate, die schliesslich darin vorkamen, hat sie mir auch zum Gegenlesen gegeben. Als ich dann aber am Sonntagmorgen die Zeitung aufgeschlagen habe, dachte ich, mich trifft der Schlag. Meine Zitate sind völlig aus dem Zusammenhang gerissen worden und haben plötzlich eine ganz andere Geschichte erzählt. Es war nie eine Forderung von mir persönlich und schon gar nicht von Second@s Plus Schweiz, die aktuelle Schweizer Flagge abzuschaffen, ich habe nur festgestellt, dass es neue Symbole braucht, damit sich alle mit der Schweiz identifizieren können.

Wie hat sich die falsche Meldung verbreitet?
Kaum war die konstruierte Geschichte um die Abschaffung der Schweizer Flagge draussen, ging die Copy-paste-Lawine los. Das Newsnetz hat die Story aufgeschaltet und zugespitzt, danach hat «20 Minuten» noch eins draufgestzt. Zufällig kannte ich den Newsnetzredaktor, der den Text abgeschrieben hatte. Ich rief ihn an und fragte, weshalb er sich nicht direkt bei mir erkundigt hatte. Er druckste her­um, hat sich dann aber entschuldigt und am nächsten Tag eine Berichtigung gebracht. Der alte Text hatte sich über Facebook und Twitter aber längst verselbstständigt.

Ich staune, dass Sie überhaupt noch mit der Presse reden …
Ehrlich gesagt bin ich traurig, wütend und enttäuscht darüber, wie das gelaufen ist. Es ist einfach krass, wenn die zehnjährige Aufbauarbeit von Second@s Plus Schweiz für einen schlagzeilenträchtigen Titel zerstört wird. Der Umgang der Medien mit uns zeigt sich aber auch im Begriff «Immigrantenverein», als den wir fälschlicherweise immer bezeichnet werden. Das ist ein völliger Blödsinn, die grosse Mehrheit unserer 500 Mitglieder ist hier geboren und aufgewachsen. Die meisten haben einen Schweizer Pass.

Wie würden Sie Second@s Plus denn beschreiben?
Unser Verein will jene zwei Millionen Menschen, die zwar anderswo ihre Wurzeln haben, aber in der Schweiz leben, dabei unterstützen, in der Politik mitzumachen und mitzureden. Schliesslich leisten wir alle, ob Papierschweizer oder nicht, einen Beitrag zur Gesellschaft. Unsere Kernanliegen waren von Anfang an die erleichterte Einbürgerung von hier Geborenen sowie das Stimm- und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer.

Die Berichterstattung um die Flagge hatte nicht nur für Second@s Plus Konsequenzen, sondern auch für Sie persönlich. Sie haben zahlreiche anonyme und beleidigende Briefe, E-Mails und SMS erhalten– darunter waren auch Mord­drohungen. Das muss beängstigend sein?
Ja, ich habe Angst bekommen. Dass meine Familie, mein kleines Kind in diese Sache hineingezogen werden, ist eine bittere Erfahrung. Meine Mutter hat geweint, als sie die Berichte gelesen hat, und mich gebeten, nicht mehr solche Dinge zu sagen. Mein Bruder hat angerufen und gefragt, ob ich damit nicht hätte warten können, bis seine Tochter eine Lehrstelle gefunden habe. Viele Secondos sind so eingeschüchtert, dass sie es gar nicht mehr wagen, sich politisch zu äussern. Sobald wir mitmachen wollen, heisst es: Spiel gut Fussball, aber sonst misch dich nicht ein, und wenn doch, soll sich der Petrusic zum Tierschutz äussern.

Was mich an der ganzen Geschichte allerdings am meisten enttäuscht hat, ist die fehlende Unterstützung von linker Seite. Es gab keinen einzigen namhaften linken Politiker, der uns Rückendeckung gegeben hat. Wenn überhaupt, habe ich hören müssen, was für ein grosser Fehler es war, mitten im Wahlkampf mit so einer Idee zu kommen. Das sitzt tief.

Ivica Petrusic (34) ist Geschäftsführer von Okaj, der Kinder- und Jugendförderung des Kantons Zürich. Petrusic ist zudem Nationalratskandidat 
der SP Aargau.