Technokraten an der Macht: Starke Männer richtens nicht

Nr. 46 –

So orientierungslos wie heute war die Welt schon lange nicht mehr. Das zeigt sich auch an den JournalistInnenkommentaren über Europas Schuldenkrise, mit denen wir täglich zugedeckt werden: Anpacken müssten die PolitikerInnen diese Krise nun, wird da gefordert; sie entschieden bekämpfen, jetzt, mit aller Kraft. Nur wie? Darüber wird nicht debattiert. Alle Welt sehnt sich nach dem starken Mann.

Diesen scheint sie derzeit im Technokraten zu erblicken. In Griechenland hat der ehemalige Vizepräsident der Europäischen Zentralbank, Lukas Papadimos, 64, die Regierungsgeschäfte übernommen. In Italien soll es der Ökonom und ehemalige EU-Kommissar Mario Monti, 68, richten. Angeblich unabhängig von der Politik, frei von Ideologie. Es ist dieselbe «Wir haben Probleme, für die wir pragmatische Lösungen brauchen»-Rhetorik, die auch hierzulande floriert.

Eine irreführende Rhetorik. Über drei Jahrzehnte hat Europas politische Elite eine wirtschaftsradikale Politik vorangetrieben, die den Reichtum nach oben, in immer weniger Hände verteilte. «There is no alternative», beteuerte die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher bereits in den achtziger Jahren, bis das antidemokratische Credo allmählich zur selbsterfüllenden Prophezeiung wurde: Reiche, Grosskonzerne und Banken gewannen an politischer Macht, die Demokratie wurde eingeschränkt. Dann kam der Finanzcrash 2008. Seither nimmt die Politik zunehmend autoritäre Züge an, gleichzeitig wird die Umverteilung weiter forciert: Um den Kollaps zu verhindern, haben sich die Staaten verschuldet, nun halten die Finanzhäuser das Zepter in der Hand. Und TechnokratInnen sollen sicherstellen, dass die Gelder fliessen, indem sie unten weiter an der Schraube drehen: Staatsstellen werden gestrichen, Renten gekürzt, Arbeitsmärkte weiter dereguliert.

Eine ideologiefreie Politik? Kaum. Die selbst ernannten PragmatikerInnen bewegen sich lediglich innerhalb der Schranken der vorherrschenden Ideologie. Und diese wird nur selten als solche erkannt. Das gilt insbesondere für die Ideologien des 21. Jahrhunderts, die sich – von der dominierenden Wirtschaftslehre bis zum Kreationismus – immer öfter als Wissenschaften gebärden.

Allerdings scheint der Bogen nun langsam überspannt. Die Gesellschaften zeigen tiefe Risse. Die vorherrschende Ideologie bröckelt. Von London über Madrid bis New York gehen Menschen auf die Strasse, um sich der autoritären Umverteilungspolitik entgegenzustellen. Damit reklamieren sie nicht nur die demokratische Souveränität von den Banken für sich zurück. Nach Jahren angeblicher Alternativlosigkeit öffnen sie gleichzeitig wieder den demokratischen Raum für konkurrierende Ideen: Im selben Zug, wie sie die Umverteilung des Reichtums nach unten fordern, zeigen sie die Umverteilungspolitik nach oben wieder als das, was sie ist: ein ideologisches Projekt.

Ein Leser des britischen «Economist» formulierte es so: «Warum wird die Forderung nach höheren Steuern für Reiche als ‹Klassenkampf› bezeichnet, nicht aber jene, den Armen die Sozialleistungen zu kürzen?»

Die Forderung nach einer gerechteren Reichtumsverteilung ist eine moralische. Gleichzeitig weist sie jedoch den Weg aus der derzeitigen Krise: Den Schulden, welche die Privaten und die europäischen Staaten zu erdrücken drohen, stehen entsprechende Vermögen gegenüber. Entweder wird ein Teil dieser Schulden (und damit der Vermögen) gestrichen, wie Eurostaaten und Banken dies kürzlich für Griechenland vereinbart haben. Oder: Die Staaten sollten Reiche, Konzerne und Banken wieder stärker in die Pflicht nehmen, um mit dem Geld einen Teil der Schulden zu tilgen.

Es wäre falsch zu behaupten, es gebe dazu keine Alternative. Sie heisst: Weiter so wie bisher. Damit wird jedoch die Demokratie geopfert. Nicht nur würde sie von der ökonomischen Macht weiter zerdrückt. Wer die Umverteilungspolitik nach oben weiter vorantreiben will, kommt nicht umhin, die StaatsbürgerInnen weiter zu entmachten. Dass das keine Alternative ist, darüber war man sich kurz nach dem Zweiten Weltkrieg von links bis rechts noch einig. Weil nur die Demokratie den Raum für Alternativen bietet.