György Hodos: Wer singt dort bloss kommunistische Lieder?

Nr. 50 –

1939 von Ungarn in die Schweiz, von dort in ein Budapester Gefängnis, nach dem Ungarnaufstand 1956 nach Wien, dann nach Los Angeles und wieder zurück nach Ungarn: das bewegte Leben des György Hodos.

«Eigentlich», sagt György Hodos und lächelt verschmitzt, «eigentlich habe ich in meinem Leben immer viel Glück gehabt.» Und interessant sei es auch gewesen. Das kann man sagen. Denn nur seine Jugendzeit verlief einigermassen unspektakulär: Bis zur Matura wuchs der 1921 in Buda geborene Kaufmannssohn in behüteten Verhältnissen auf. Doch dann, im Jahre 1939, schickte ihn sein Vater, der einen Textilgrosshandel betrieb, zu einer Tante in die Schweiz – in der Hoffnung, dass er von der damals noch blühenden Schweizer Textilindustrie etwas lernte. «Aus den Sommerferien wurden fünf Jahre», erinnert sich der heute Neunzigjährige, der zuerst in einem Textilbetrieb in Weisslingen ZH arbeitete, dann an der Fachschule Wattwil einen Lehrgang zum Textilingenieur absolvierte, später an der Universität Zürich Geschichte studierte – sich vor allem aber einer Exilgruppe der verbotenen ungarischen Kommunistischen Partei anschloss und politisch aktiv wurde. «Mein Vater war ein gescheiter Mann», sagt Hodos, «er hat gesagt, ich soll in der Schweiz bleiben.»

Das war auch gut so. Erst nach seiner Rückkehr 1945, erst nach all den Jahren, in denen er sich mit der schweizerischen Fremdenpolizei herumschlagen musste (die jedwede politische Betätigung von EmigrantInnen ahndete), wurde ihm, dem jungen Kommunisten, bewusst, was der Holocaust auch seiner Familie angetan hatte: Sein Vater war von den Nazis verschleppt und ermordet worden; viele andere Angehörige seiner jüdischen Familie erlitten dasselbe Schicksal.

Unter Spionageverdacht

Zurück in Budapest, arbeitete Hodos als Journalist. Schon in Zürich hatte er für ein linkes Blatt der ungarischen Exilgemeinde geschrieben, das er und seine MitstreiterInnen auf Deutsch und Ungarisch herausgaben und illegal verteilten. In Ungarn schrieb er zuerst für eine kommunistische ungarische Zeitung, dann (bis 1949) für die NZZ. «Die NZZ-Redaktion kannte meine politische Einstellung natürlich nicht», sagt Hodos. Das Honorar sicherte ihm und seiner Familie (seine erste Frau Marta war ebenfalls in die Schweiz geflüchtet) ein bescheidenes Auskommen – bis er im Juli 1949 verhaftet wurde. Zuerst habe er gedacht, dass sie ihn als Entlastungszeugen holten; etliche seiner Freunde aus der Schweizer Zeit waren zuvor schon festgenommen worden. Doch er wurde unter Anklage gestellt: Spionage für den imperialistischen Westen lautete der Vorwurf, der damals gegen Laszlo Rajk, Tibor Szönyi und viele andere erhoben wurde. Vor allem der frühere Spanienkämpfer und damalige Aussenminister Rajk wurde verdächtigt, einen von Stalin unabhängigen Kurs verfolgen zu wollen.

Während Laszlo Rajk, Tibor Szönyi, der Leiter der Schweizer Gruppe Ferenc Vagi und andere nach Schauprozessen hingerichtet wurden, verschwanden Hodos und seine kommunistischen Genossen für Jahre hinter Gittern; er selbst war zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. «Da sassen wir nun in einem kommunistischen Gefängnis und sangen kommunistische Lieder», erinnert er sich; sie wollten sich ihre Überzeugung nicht nehmen lassen. Erst im September 1954 – nach Stalins Tod und dem Sturz des ungarischen Machthabers Matyas Rakosi – kam Hodos wieder frei. Er wurde rehabilitiert, erhielt sein Parteibuch zurück und arbeitete danach als Lektor und Übersetzer beim Budapester Europa-Verlag.

In die USA und zurück nach Ungarn

Den Ungarnaufstand 1956 verfolgte er innerlich distanziert: «Ich war mir nicht sicher, ob die demokratische oder die nationalistische, die fortschrittliche oder die reaktionäre Seite gewinnen würde.» Gesiegt haben jedoch die sowjetischen Panzer, «und so habe ich beschlossen, Ungarn zu verlassen.» Aber wohin? Die USA, wo seine Mutter und seine Schwester lebten, gaben dem KP-Mitglied kein Einreisevisum. Auch die Schweiz lehnte ihn ab. Also ging er mit Frau und Tochter nach Wien, wo er zuerst als Flüchtlingshelfer, dann als Produktionsberater eines französischen Textilunternehmens tätig war. Er reiste durch ganz Österreich, arbeitete in Kärnten, im Waldviertel und oft auch für die Strumpffabrik Wolff in Hard bei Bregenz.

Nach zwölf Jahren bekam er doch noch die Einreiseerlaubnis in die USA. «Es war mein dritter Neuanfang», sagt Hodos. In Los Angeles versuchte er sich anfangs als Textilunternehmer, scheiterte aber bald. Danach kam Hodos bei seinem Schwager, einem Immobilienmakler, unter – und begann wieder zu schreiben: unter anderem für die «Süddeutsche Zeitung», die «Weltwoche», die «Zeit». 1987 publizierte er unter seinen beiden englischen Vornamen George Herman in einem US-Verlag das Buch «Schauprozesse. Stalinistische Säuberungen in Osteuropa 1948–1954». Das Standardwerk über die Verfolgungen in der Nachkriegszeit wurde in mehrere Sprachen übersetzt (auch auf Deutsch) und verhalf ihm zu vielen Vorträgen an kalifornischen Universitäten und in Europa. Ende der neunziger Jahre folgte ein weiteres Buch: «Mitteleuropas Osten. Ein historisch-politischer Grundriss», in dem er die Geschichte der osteuropäischen Region ab dem Feudalismus nachzeichnete (vgl. 
Interview).

Nach dem Systemwechsel kehrte Hodos erstmals wieder nach Ungarn zurück, wo er seine dritte Frau Judit Kinszki kennenlernte. «Ich habe mich sofort in sie verliebt und bin dann zu ihr nach Budapest gezogen», sagt er lächelnd. Auch da habe er viel Glück gehabt.

Seine Erinnerungen an den Ungarnaufstand 
hat György Hodos in der WOZ Nr. 42/06 beschrieben. Sie können den Text auf unserer Website nachlesen: http://www.woz.ch/artikel/inhalt/2006/nr42/International/14001.html

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