Farnaz Seifi: Im Herzen ein grosses Loch

Nr. 19 –

Die iranische Bloggerin, Journalistin und Feministin Farnaz Seifi musste 2007 aus ihrer Heimat fliehen. Im neuen Dokumentarfilm «Forbidden Voices» über drei moderne Rebellinnen ist sie eine der Hauptfiguren.

Farnaz Seifi kämpft von Bonn aus gegen das Regime in Teheran – und hat Angst um ihre Familie im Iran.

«Wie eine Revolution mit einem Laptop gestartet wird», das klingt nach dem Mythos der getwitterten Revolution. Tatsächlich ist es der übersetzte Untertitel des Films «Forbidden Voices» (Verbotene Stimmen) der Zürcher Regisseurin Barbara Miller und hat mit dem Arabischen Frühling nichts zu tun. Der Film begleitet drei junge Bloggerinnen aus dem Iran, aus China und Kuba in ihrem Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen und Repression.

Revolutionen kündigen sich in jenen Ländern keine an. Die iranische Protagonistin Farnaz Seifi hofft auch nicht darauf. Die 28-jährige Journalistin, Feministin und Menschenrechtsaktivistin sitzt in einem Zürcher Café und sagt: «Der iranische Weg muss ein Weg der Gewaltlosigkeit sein.» Die Erfahrung der Iranischen Revolution von 1979, die alles nur «schlimmer und schlimmer» gemacht habe, laste noch heute auf dem Leben ihrer Landsleute.

Selbst die «grüne Bewegung», die sich 2009 nach der umstrittenen Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad gebildet hat, habe niemals einen sofortigen Regimewechsel gefordert. Die Menschen auf den Strassen Teherans skandierten: «Wir wollen eine faire Wahl» und «Wo ist meine Stimme?». Ja, sie sei Reformistin.

Das persönliche Debakel

Farnaz Seifi ist bereits 2007 aus dem Iran ausgereist. Bis dahin schrieb sie für eine unabhängige, reformistische Zeitung, die immer wieder zensuriert wurde. Die Macht des Regimes bekam Seifi am eigenen Leib zu spüren, als sie nicht zu den Uniprüfungen zugelassen wurde, weil sie «eine schlechte Person» sei. Sie wurde zwei Tage inhaftiert, danach jede Woche kontrolliert. «Da musste ich gehen», sagt Seifi.

Sie hat den Iran verlassen, um die Abwahl von Ahmadinedschad abzuwarten. Die umstrittene Wiederwahl des Präsidenten vor drei Jahren war nicht nur ein politisches Debakel, sondern auch ihr ganz persönliches: Der Tag vernichtete all ihre Hoffnung, wieder in den Iran zurückkehren zu können. Seit den einschneidenden Ereignissen hat sich die Repression deutlich verschärft. Heute lebt Seifi in Bonn, wo sie für den Auslandsrundfunk Deutsche Welle arbeitet. Sie bloggt noch immer – allerdings anonym, aus Angst, ihre im Iran zurückgebliebene Familie könne ihrer Tätigkeiten wegen gefoltert werden.

Farnaz Seifi spricht leise, aber eindringlich. «Die Geschichte von Hossein Ronaghi Maleki», sagt sie, «die musst du schreiben.» Hossein Ronaghi Maleki ist ein Pionier der politischen Blogszene. Er war der Erste, der AktivistInnen mit Know-how und Technik belieferte, um die Internetsperren zu umgehen. Im Dezember 2009 wurde er zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis erkrankte Ronaghi Maleki schwer: Er verlor eine Niere und erlitt einen Herzinfarkt. Ein medizinisch begründeter Hafturlaub wurde ihm trotz seines kritischen Gesundheitszustands nicht genehmigt. Seifi befürchtet, dass er unter den miserablen Haftbedingungen seiner Krankheit erliegen wird.

Die französische nichtstaatliche Organisation Reporter ohne Grenzen nennt Staaten, die eine direkte Zensur oder eine Beschränkung des Internets vornehmen, «Internetfeinde». Ihr jährlich erscheinender Report zählt zwanzig BloggerInnen, die gegenwärtig im Iran in Haft sitzen – eine Zahl, die von keinem anderen Land überboten wird. Vier BloggerInnen wurden gar zum Tod verurteilt und warten auf den Vollzug des Urteils.

Für Aufheben sorgt ebenfalls das schon lange angekündigte iranische Intranet, das sich dereinst vollständig vom World Wide Web abnabeln soll. Damit wäre die staatliche Internetkontrolle perfekt. Doch schon lange unterliegt das Internet rigorosen Sperren und gezielter Kontrolle. Ohne Umgehungssoftware ist kein sinnvolles Surfen möglich – ihr Verkauf und Vertrieb ist ein florierendes Schwarzmarktgeschäft. Noch dann hindert die massiv gedrosselte Internetgeschwindigkeit vom befreiten Surfen. «Jede Bewegung im Internet ist eine Anstrengung, jeder Klick wohlüberlegt», sagt Seifi.

Sich auf den Strassen versammeln?

Der Cyberspace ist im Iran vermintes Gelände. Noch gefährlicher ist es im öffentlichen Raum. Sich auf den Strassen versammeln? «Die Gefahr, getötet zu werden, ist gross», sagt Seifi. Sie versteht den Rückzug der IranerInnen. Sie seien nicht bereit, für ihr Anliegen zu sterben. Das habe auch historische Gründe. «Mein Volk ist ein unterwürfiges Volk, nicht bereit zum Kampf auf Leben und Tod.» Hinzu komme, dass der Widerstand der «grünen Bewegung» nicht von den Mittellosen, sondern von der Mittelklasse ausgegangen sei.

Hin und wieder weicht Farnaz Seifis professionelle Beredtheit einer stillen Melancholie. Sie vermisse FreundInnen, Sprache, Orte, Gerüche. Niemals könne sie in Europa etwas vollständig geniessen. Auch nicht die ersehnte Freiheit, die sie in Deutschland erfährt: «Ich habe ein grosses Loch in meinem Herzen.»

Sexuelle Gewalt und Belästigung

Die Sanktionen, die die Europäische Union und die USA gegen den Iran beschlossen haben, stimmen Seifi zornig: «Wer die Menschen aushungert, befreit niemanden!» Was die IranerInnen tatsächlich benötigten, um für die Demokratie zu kämpfen, seien Information und Inspiration von aussen – und genug zu essen. Das heisst: den sofortigen Stopp der Sanktionen. Dass diese die Bevölkerung nicht treffen würden, hält Seifi für die grosse Lüge des Westens. Die Auswirkungen der Sanktionen seien unmittelbar zu spüren: 100 000 FabrikarbeiterInnen verloren im letzten Jahr ihre Arbeit.

Von den Massenentlassungen als Erste betroffen seien die Frauen. In einem kürzlich erschienenen Artikel in der farsischen Ausgabe der Deutschen Welle beschrieb Seifi die Arbeitsbedingungen von Fabrikarbeiterinnen. Nicht nur würden sie weniger als die Hälfte der Männer verdienen, sie seien auch sexueller Gewalt und Belästigung ausgesetzt. Eine interviewte Arbeitnehmerin beschreibt, wie Frauen durch ihre Vorgesetzten oft zu Sex gezwungen würden. Wenn eine sich verweigere, verliere sie umgehend ihren Job.

Der in der iranischen Gesellschaft virulente Sexismus findet seine vielleicht absurdeste Artikulation in jener Gesetzesregelung, die die Höhe des sogenannten Blutgeldes festlegt: Stirbt bei einem Verkehrsunfall eine schwangere Frau, muss die schuldige Person für den noch ungeborenen Jungen ein doppelt so hohes Blutgeld entrichten wie für die Frau.

«Die iranische Frauenrechtsbewegung war lange gut organisiert», sagt Seifi, dann habe die Repression eingesetzt. Sogar das Wort «Frau» sei bei der Internetsuche gefiltert worden. Doch die FeministInnen lassen sich nicht unterkriegen. Sie erfinden neue Wege des Widerstands – indem sie sich etwa Verletzungen aufs Gesicht schminken, um damit PassantInnen mit der Problematik häuslicher Gewalt zu konfrontieren. «Das sind Zeichen der Hoffnung», sagt Seifi.

«Forbidden Voices». Schweiz 2012. Regie: Barbara Miller. Ab 10. Mai 2012 in Deutschschweizer Kinos.