Biosensoren: Der implantierte Arzt

Nr. 23 –

Intelligente Sensoren sollen unsere physische und psychische Befindlichkeit überwachen und wenn nötig korrigierend eingreifen. Aber der Organismus wehrt sich gegen Eindringlinge.

«Hat dieser Soldat zu viel Angst? Wie lange wird er noch durchhalten? Muss er ersetzt werden?» Um bei Kampfeinsätzen solche Fragen zu beantworten, müssen sich Vorgesetzte des US-Militärs demnächst womöglich nicht mehr auf ihr Bauchgefühl verlassen. Stattdessen werden sie entsprechende Daten über Fitness und Stress ihrer SoldatInnen auf einem Computerbildschirm verfolgen können. Das jedenfalls ist das Ziel einer aktuellen Ausschreibung der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA).

In dem Anfang des Jahres veröffentlichten Papier stellt die Forschungsbehörde der US-Armee WissenschaftlerInnen finanzielle Unterstützung für innovative «Anwendungen und Methoden für die kontinuierliche Überwachung der körperlichen Chemie» in Aussicht. Die Systeme sollen mit Biosensoren beispielsweise die Konzentration von Hormonen wie Cortisol und Histamin erfassen und die Ergebnisse drahtlos übermitteln können. Die winzigen Implantate könnten laut DARPA unter die Haut, in den Blutstrom oder auch ins Muskelgewebe implantiert werden.

Der optimierte Soldat

Die Vorteile liegen auf der Hand: Der körperliche Zustand der SoldatInnen liesse sich so rund um die Uhr und in Echtzeit überwachen, ohne erst Proben in ein Labor transportieren zu müssen. Das Militär interessierte sich schon immer für Details: Wie wirkt das Training auf den Rekruten? Wie ernährt er sich? Wer taugt am besten für einen bestimmten Einsatz? Mit miniaturisierten Sensoren und einer computergestützten Auswertung der Messergebnisse soll die Beurteilung und Auswahl der SoldatInnen nun auf eine neue, objektivere Grundlage gestellt werden.

So befremdlich das klingt, es gibt erste konkrete Schritte in diese Richtung. Das Zentrum für Bioelektronik, Biosensoren und Biochips der renommierten Clemson University in South Carolina entwickelt gegenwärtig für das US-Verteidigungsministerium Sensorimplantate, mit denen der Zustand von Verletzten überwacht wird: Die Sensoren messen kontinuierlich die Konzentration von Laktat (Milchsäure), Glukose (Blutzucker) und Sauerstoff im Gewebe. Gedacht sei das System unter anderem für den «Einsatz auf dem Schlachtfeld», heisst es auf der Website des Zentrums.

Anthony Guiseppi-Elie, der Direktor des Zentrums, hat bereits zur Frage publiziert, welche Rückschlüsse sich aus Schwankungen der Laktose- und Sauerstoffkonzentration bei schweren Blutungen ziehen lassen. Laut Internetauftritt der Universität lässt sich mithilfe der sensorischen Überwachung während eines Kampfeinsatzes entscheiden, «welche Verwundeten sofort versorgt werden müssen und welche noch etwas länger warten können».

Krebs überwachen und behandeln

Nicht nur das Militär, auch MedizinerInnen interessieren sich für eine automatisierte Datenerhebung im menschlichen Körper. «In vivo» heisst der Fachbegriff: Gemessen wird im Körper und damit im tatsächlichen Zusammenspiel der Organe, nicht in einer Gewebeprobe in einer Petrischale. Die Systeme überwachen dauerhaft einen oder mehrere Biomarker und übertragen die Ergebnisse ohne Verzögerung über Funk.

Das medizinische Potenzial dieser Technik ist gewaltig. Manche Hersteller träumen sogar von geschlossenen Regelkreisen – dasselbe System würde Diagnose und Therapie übernehmen: Sensoren erfassten den gegenwärtigen Zustand und stellten bei Bedarf den erwünschten Zustand mit einer Medikation oder einer elektrischen Stimulation wieder her.

Der technisch durchleuchtete «gläserne Mensch» wird möglicherweise Krankheiten in den Griff bekommen, denen er heute noch fast völlig schutzlos ausgeliefert ist. Zum Beispiel Krebs: Medikamente gegen die Zellwucherung zu dosieren, ist äusserst schwierig. Andererseits lassen sich manche Tumore nur schwer entfernen. In solchen Fällen lassen sich mit Sensoren unter Umständen therapeutisch entscheidende Fragen beantworten: Wie entwickelt sich das Karzinom? Reagiert es überhaupt auf die Chemotherapie? Muss jetzt doch operiert werden?

Mehrere Forschungsprojekte in Europa und den USA tüfteln an Sensorimplantaten, die ins Gewebe um den Tumor eingepflanzt werden sollen. Bernhard Wolf von der Technischen Universität München hat zu diesem Zweck einen Mikrochip entwickelt, der den Sauerstoffgehalt und den pH-Wert misst. In einem nächsten Schritt soll auch die Temperatur gemessen werden. Wolfs Arbeitshypothese lautet: Entartetes Gewebe bildet vermehrt Säuren und setzt verstärkt Sauerstoff um. Daher seien veränderte Werte ein Hinweis auf eine verstärkte Wucherung.

Ähnlich arbeitet ein Implantat, das am Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelt wurde. «Das Labor wird sozusagen in den Patienten verlegt», erklärte der MIT-Biologe Michael Cima das Prinzip. Beide Projekte planen, ihre Implantate mit einer winzigen Medikamentenpumpe auszustatten, die bei Bedarf Chemotherapeutika in unmittelbarer Nähe des Geschwürs abgeben können.

«Aktive implantierbare medizinische Geräte» gelten auf dem Weltmarkt für Medizintechnik als das neue grosse Ding. Die Industrie bezeichnet sie gerne als «intelligente Implantate». Angetrieben wird ihre Entwicklung dadurch, dass das mikroelektronische Innenleben immer kleiner gebaut werden kann. Aber die Miniaturisierung ist nur die eine Voraussetzung. Damit sich die Messgeräte in vivo durchsetzen, müssen sie körperverträglich, sogenannt «biokompatibel» und «biostabil» sein: Sie dürfen den Organismus weder schädigen noch von seinen Reaktionen in ihrer Funktion beeinträchtigt werden.

Eingesperrter Eindringling

Hier steht ein echter Durchbruch noch aus. Alle komplexen Lebewesen beharren auf die Oberhoheit in ihrem Terrain: Was anders als auf den gängigen Pfaden des Stoffwechsels in den Körper hineingelangt, ist verdächtig und wird bekämpft. Entdeckt der Organismus einen Eindringling, reagiert er mit einer Entzündung und schickt seine Phagozyten in den Kampf. Sie kreisen den Fremdkörper ein und bemühen sich, ihn zu zerkleinern und nach draussen zu befördern. Gelingt das nicht, sorgen Fibroblasten dafür, dass der Eindringling in neues Bindegewebe eingesperrt wird.

Beide Reaktionen – Entzündung und Einkapselung – sind für Implantate ein grosses Problem. Gängige Geräte wie Herzschrittmacher verhalten sich deshalb möglichst unauffällig: Sie werden mit einer Schicht aus Titan oder Keramik ummantelt, und die Elektronik im Innern wird hermetisch abgeschirmt. Weil die Implantate in Zukunft aber immer kleiner und biegsamer sein müssen, taugen spröde Metalle nicht als Umhüllung.

Sensoren sind allgemein Geräte, die bestimmte Stoffe oder Wellenlängen in unterschiedlich starke elektrische Signale umwandeln. Die kleinen Mess- und Funkgeräte im Körperinnern arbeiten mit Gleichstrom. Wenn Biosensoren herausfinden sollen, wie hoch die Konzentration beispielsweise eines Hormons im Körper ist, ist ein Stoffaustausch nötig. Aber sowohl Stoffaustausch als auch elektrische Gleichspannung widersprechen dem Gebot, sich unauffällig zu verhalten.

Was passiert? Im Kontakt mit Körperflüssigkeiten kommt es um die leitenden Teile herum zu einer Elektrolyse: Geladene Teilchen beginnen zu wandern und beschädigen das Gewebe, auch das Implantat ist einer verstärkten Korrosion ausgesetzt. Je stärker der Körper mit Entzündung und Vernarbung reagiert, desto unzuverlässiger werden die Messergebnisse – und damit schwindet der medizinische Nutzen. Eine Medikation oder gar ein operativer Eingriff muss mit zweifelsfreien Fakten begründet werden. Von Anwendungen im geschlossenen Regelkreis ist die Medizintechnik noch weit entfernt.

Die Empfindlichkeit der Sensoren verändert sich ausserdem mit der Zeit. Deshalb suchen Forschungsprojekte nach Methoden, um die Messgeräte im Körperinnern regelmässig zu kalibrieren, so wie eine Waage geeicht wird. Die Implantate würden das dafür nötige Material selbst erzeugen – etwa Sauerstoff – und damit überprüfen, welche Menge in welche Signalstärke umgesetzt wird. Andere Projekte versuchen, die Verzerrungen durch die Einkapselung aus den Messungen sozusagen herauszurechnen.

Vorerst beschränkter Nutzen

Doch das Grundproblem bleibt: Je länger die «Standzeit» eines Sensors, desto schwieriger, den Organismus zu überlisten. Neuere Geräte zur Dauerüberwachung des Blutzuckers messen mittlerweile bis zu zehn Tage am Stück mehr oder weniger zuverlässig. Neue verträglichere Implantate schaffen in Tierversuchen immerhin etwas mehr als ein Jahr; klinische Studien am Menschen haben begonnen. Diese Implantate liegen allerdings nicht im Blutstrom, sondern in der vergleichsweise geduldigen Gewebeflüssigkeit.

Die medizinische Sensortechnik verspricht viel – was davon sie halten kann, ist offen. Der Nutzen für die PatientInnen wird wahrscheinlich auf absehbare Zeit auf einzelne Bereiche beschränkt bleiben. Überall auf der Welt arbeiten WissenschaftlerInnen an den diversen Schwierigkeiten mikroelektronischer Implantate. Ihr Ziel ist letztlich eine «Biomimikry» – ein Implantat, dessen Schutzhülle dem körpereigenen Gewebe so sehr ähnelt, dass es nicht mehr abgewehrt wird. Doch der US-amerikanische Diabetologe Kenneth Ward bleibt skeptisch: «Bis heute ist es nicht gelungen, ein Material zur Tarnung zu entwickeln, das die Fähigkeit des Säugetierkörpers überlistet, Fremdes von Eigenem zu unterscheiden.»