Psychex: Niemals gegen die Schwächeren

Nr. 40 –

Seit Jahrzehnten kämpft Edmund Schönenberger als Rechtsanwalt gegen Zwangspsychiatrisierungen. Nun streitet er sich mit dem «Beobachter» vor Gericht.

Psychex-Gründer Edmund Schönenberger: «Wie die Schwachen regelmässig um ihre Rechte geprellt wurden, das hat mir die Augen geöffnet.»

Schon vor Jahren ist Edmund Schönenberger nach Serbien ausgewandert, um dort als selbstversorgender Bauer zu leben. Doch letzte Woche ist der Anwalt in die Schweiz zurückgekehrt – als Kläger.

Was war passiert? Am 8. Juni publizierte der «Beobachter» unter dem Titel «Die Zwangsjacke hat ausgedient» einen Artikel, der sich mit der sogenannten fürsorgerischen Freiheitsentziehung (FFE) befasste. Der Begriff bezeichnet die Einweisung einer Person in eine psychiatrische Anstalt gegen ihren Willen. Im Artikel waren zwei Organisationen als Negativbeispiele aufgeführt, die im Bereich der FFE «unbeschwert mit unbelegten Behauptungen operieren»: die von der Scientology geführte Organisation Bürgerkommission für Menschenrechte und der Verein Psychex, der gemäss «Beobachter» zwar «keine Sekte, aber sektiererisch im Auftreten» sei. Dagegen reichte Psychex eine Klage auf Gegendarstellung ein.

Eigentlich hätte es vergangene Woche vor dem Zürcher Bezirksgericht zu einem Vergleich zwischen den Parteien kommen sollen, doch die Verhandlung zwischen Psychex und dem «Beobachter» scheiterte. Nun wird das Gericht ein Urteil fällen müssen. 

«Wir bringen Sie in die Klinik»

Edmund Schönenberger hatte 1975 zusammen mit weiteren jungen JuristInnen das Zürcher «Anwaltskollektiv» gegründet. Ihr Credo lautete, niemals einen wirtschaftlich Stärkeren gegen einen Schwächeren zu verteidigen. «Wir hörten täglich Geschichten aus dem Alltag von Arbeitnehmern, Mietern, Ausländern und Strafverfolgten», erzählt Schönenberger. Gleich bei einem seiner ersten Fälle habe er es mit der Psychiatrie zu tun bekommen: «Eine junge Frau kam zu uns ins Büro und bat mich, sie zum Stadtarzt zu begleiten. Sie hatte nachts Blitze und Lichter in ihrem Zimmer gesehen und offenbar einem Nachbarn davon erzählt. In der Folge ordneten die Behörden eine ärztliche Untersuchung an. Ich begleitete sie also zum Stadtarzt. Der grauhaarige Mann im weissen Kittel plauderte mit der Frau, als plötzlich zwei kräftige Sanitäter auftauchten: ‹So, wir bringen Sie jetzt in die psychiatrische Klinik›, hiess es», berichtet Schönenberger. Schliesslich konnte er damals den Arzt überzeugen, von der Zwangseinweisung abzusehen.

1987 gründete der heute siebzigjährige Schönenberger Psychex. Bis heute unterstützt der Verein Personen, die sich gegen ihren FFE-Entscheid wehren wollen. Diese können sich telefonisch bei Psychex melden, woraufhin ein Haftprüfungsverfahren angestrengt wird. Der Verein kann sich dabei auf eine interne Liste von 300 kooperativen AnwältInnen beziehen. Gemäss eigenen Angaben ist Psychex letztes Jahr rund 3500-mal kontaktiert worden.

Pionierarbeit

Das Bild der Schweiz als «bestes Land der Welt mit einem gesunden, starken Rechtsstaat», das Schönenberger während seines Jusstudiums in Zürich vermittelt worden war, erhielt während seiner Anwaltstätigkeit zunehmend Risse. «Wie die Schwachen regelmässig um ihre Rechte geprellt wurden, das hat mir die Augen geöffnet», sagt er, «die sogenannte Demokratie ist eine Totgeburt. Das Volk hatte immer und hat auch heute noch die Funktion, den Herrschenden zu dienen.»

Mit seiner kompromisslosen, zum Teil holzschnittartigen Gesellschaftsanalyse eckte er immer wieder an. 1999 sprach das Zürcher Obergericht ein dreimonatiges Berufsverbot und eine Busse gegen Schönenberger aus, weil er sich angeblich unflätig gegenüber dem Gericht geäussert habe. Das Bundesgericht hob dieses Urteil später aber auf.

Die diversen Verfahren haben letztlich dazu geführt, dass Schönenberger sich in seine Wahlheimat Serbien zurückgezogen hat, das Herkunftsland seiner Ehefrau, die in den siebziger Jahren als Krankenschwester in die Schweiz gekommen war. Knezevac, ein Dorf «mitten im Niemandsland», ist seither sein Lebensmittelpunkt. Begeistert erzählt er von den Kleinbauern und der hügeligen, urwüchsigen Landschaft. Er arbeitet aber weiter für Psychex und sitzt im Vorstand des Vereins.

Im Bereich der Verteidigerrechte von zwangspsychiatrisierten Personen hat Psychex zweifellos Pionierarbeit geleistet. Als Schönenberger in den achtziger Jahren für einen Klienten, der über zwanzig Jahre in psychiatrischen Kliniken festsass, ein Haftprüfungsverfahren anstrengte, dauerte es ein halbes Jahr, bis es zu einer ersten Anhörung kam. Mittlerweile gilt von Gesetzes wegen, dass klagende FFE-Betroffene innert vier Tagen angehört werden müssen. Doch Psychex und besonders Edmund Schönenberger als dessen Sprachrohr lösen mit ihrer Grundsatzkritik an der Psychiatrie und zuweilen krud und radikal anmutenden Analysen auch Irritation und Opposition aus.