«Danach»-Konferenz: Neue Gärten und ein nützlicher Marxist

Nr. 43 –

Das wachstumskritische Symposium in der Zürcher Roten Fabrik überzeugte mit neuen, radikal-pragmatischen Initiativen. Manchmal irritierte es auch.

25 Projekte am Laufen: Umweltbildnerin Tilla Künzli von Urban Agriculture Basel.

«Wir haben zurzeit 25 Projekte», sagt Tilla Künzli, «15 werde ich kurz vorstellen.» Die junge Umweltbildnerin, Vorstandsmitglied des Vereins Urban Agriculture Basel, sprüht vor Energie. Beeindruckend ist auch ihre Liste: In Basel gibt es heute Imkereien und Weinbau, Gewerbeschullehrer gärtnern ebenso wie Studentinnen und Bewohner von Alterssiedlungen, in 200 «Keinkaufswagen» wächst Essbares, die «Mensa 2.0» bietet in WGs einen Bio-Vegi-Mittagstisch an, im Gemeinschaftsgarten Landhof trifft sich ein ganzes Quartier, eine Bar baut sogar die Kräuter für ihre Mojitos auf dem Dach an.

Urban Agriculture Basel ist eine von vielen Initiativen, die sich an der «Danach»-Konferenz, dem «Symposium für Alternativen zum Wachstumszwang», vergangenes Wochenende in der Zürcher Roten Fabrik vorstellten. Stadtgärten boomen vielerorts, aber Basel ist ein besonderer Glücksfall: Der emeritierte Ökonomieprofessor Isidor Wallimann, der sich schon lange für soziales Wirtschaften engagiert, gab Anfang 2010 den Anstoss für den Verein – gerade als die ersten Gärten entstanden. Wallimann und die Aktiven trafen sich, der Verein wurde gegründet, und seither wächst er wie verrückt. «Wir sind der Schrank, die Projekte sind die Schubladen», sagt Tilla Künzli, «wir geben ihnen eine Grundstruktur, aber sie bleibt sehr offen.»

Die 26-Jährige hat Grosses vor: «Wir wollen keine Nische bleiben. Die städtische Landwirtschaft soll eine offizielle Stelle bei der Stadt bekommen.» Mittelfristig plant der Verein ein Label für Nahrung aus der Stadt, langfristiges Ziel ist eine offizielle Lebensmittelstrategie für Basel, die die LandwirtInnen im Umland einbezieht – wie es das etwa in Malmö oder Toronto schon gibt. Der Verein arbeitet mit der Basler Stadtgärtnerei und verschiedenen Stiftungen zusammen.

Dekolonisierung der Köpfe

Besteht nicht die Gefahr, dass die schönen neuen Gärten die Mittelschicht anziehen und so ärmere Menschen verdrängt werden, Urban Agriculture also zum Werkzeug der urbanen «Aufwertung» wird? «Ich habe tatsächlich von Leuten gehört, die extra wegen des Gemeinschaftsgartens in die Nähe des Landhofs gezogen sind», sagt Künzli. «Aber es ist uns wichtig, dass Gärten ein Instrument der Vernetzung, nicht der Verdrängung werden. Wir arbeiten auch mit dem Konzept der interkulturellen Gärten. Wir brauchen überall Gärten, in teuren wie in günstigen Quartieren.»

Dieser radikal-pragmatische Ansatz ist kennzeichnend für viele neue Initiativen, die in den letzten Jahren entstanden sind. Auch für die Décroissance-Bewegung, die vor zweieinhalb Jahren aus Frankreich über die Romandie in die Deutschschweiz kam. Die Gruppen entstehen autonom, «mit dem Grundkonsens, dass wir eine Wirtschaft ohne Wachstum aufbauen wollen», sagt Christa Ammann von Décroissance Bern. Wichtig sei ihnen die «Dekolonisierung der Köpfe», erklärt die 29-jährige Sozialpädagogin: eine Wirtschaft ohne Wachstum überhaupt denkbar zu machen. Versuche, Décroissance umzusetzen, liefen heute vor allem auf der Ebene des Alltagslebens. «Aber es ist klar, dass es ein anderes Wirtschaftssystem braucht. Und ohne Umverteilung geht es nicht.» Als Mittel der Umverteilung sieht Ammann höhere Steuern für Reiche, die 1:12-Initiative oder die Idee eines Maximallohns. Auch Mitglieder der Grünen und der Alternativen Linken sind bei Décroissance aktiv.

Keine klassisch linke Szene

Die Grenze zwischen institutionell und alternativ, Parteien und Ausserparlamentarischen verschwimmt. Das gilt genauso für den Verein Neustart Schweiz, der 2010 fast spontan entstanden ist, um die Ideen aus dem gleichnamigen Buch des Autors P. M. zu fördern. «Das ist alles überhaupt nicht neu», betont der 66-jährige Zürcher und hat recht: Er denkt schon seit mehr als dreissig Jahren über eine Gesellschaft nach, die sich dezentral und ökologisch organisiert, auf der Basis von Nachbarschaften von etwa 500 Leuten.

«Ich brauche keinen Untergang, um mir etwas Besseres vorzustellen», meint P. M. Doch dass das Interesse an seinen Ideen seit der Wirtschaftskrise gewachsen ist, freut ihn. «Die Basis einer Gesellschaft, die auf Gemeingütern statt auf der heutigen Wirtschaft gründet, sind vernetzte Nachbarschaften.» Um das Know-how zu sammeln, wie man solche Nachbarschaften aufbaut, arbeitet Neustart Schweiz mit der ETH Zürich und der Fachhochschule Nordwestschweiz zusammen.

Das «Danach»-Programm ist dicht und ambitioniert, und natürlich kann nicht alles Wichtige vorkommen. Trotzdem sticht ins Auge, was fehlt: Nur ein Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens kommt zu Wort, keinE KritikerIn; beim Ökonomischen geht es um Vollgeld, das nur noch der Staat, nicht mehr die Banken schöpfen dürfen, Alternativwährungen und Zinskritik, aber kaum um eigentliche Kapitalismuskritik (vgl. «Freigeld, Vollgeld, Leergeld »); und die Care-Arbeit – Haushalt, Erziehung, Pflege – wird nur oberflächlich gestreift. Und drei Viertel der ReferentInnen sind Männer.

Auch der öffentliche Sektor, der Service public, kommt am Symposium wenig vor. Zum Teil liegt das wohl am Misstrauen gegenüber dem Staat, etwa wenn Mathias Stalder, der Vertreter der Bieler Initiative «Vision 2035», auch die Bildung und die Gesundheitsversorgung in kleinen Gemeinschaften selbst organisieren will. Oder wenn sich Amadeus Wittwer von der Energiegenossenschaft Schweiz für die Strommarktliberalisierung ausspricht, damit alle ihren Strom dort kaufen können, wo sie wollen.

«Ich finde es eigentlich gut, alles selber erfinden zu wollen», sagt P. M. «Aber es läuft schnell gegen die Wand.» Selber sei er ein grosser Verfechter des öffentlichen Sektors. «Wir müssen ihn einfach ausweiten und demokratisieren.» Diesen Ansatz verfolge er auch in seinem neuen Buch «Kartoffeln und Computer». Das «Danach»-Umfeld sei keine klassisch linke Szene, das habe man der Konferenz natürlich angemerkt.

Das gilt auch für die Zeitschrift «Zeitpunkt», mit der P. M. schon länger zu tun hat; sein Büchlein «Neustart Schweiz» wurde von ihr herausgegeben. Der «Zeitpunkt» berichtet über Kommunen, Widerstand gegen Gentechnik oder den Landlosenmarsch in Indien, aber auch über Politesoterik wie die neue Partei «Integrale Politik»; er steht Leuten, die ihre Kinder zu Hause unterrichten, näher als solchen, die gewerkschaftlich für eine bessere öffentliche Bildung kämpfen.

Besser als 1980

Warum bewegt sich P. M. als alter Marxist in diesem Umfeld? «Weil ich hier nützlich bin! Wo es schon viele Marxisten gibt, braucht es mich ja nicht auch noch.» Die «Spirituellen» seien ganz froh, dass er dabei sei und sich kritisch äussere. Er habe manchmal schon Angst, dass es in eine seltsame Richtung gehe. «Aber dann sage ich das. Als zum Beispiel am Ende der Konferenz jemand vorschlug, eine Totalinitiative zu lancieren, habe ich mich skeptisch geäussert.» Eine Totalinitiative verlangt, die Verfassung zu annullieren, das Parlament zu entlassen und einen Verfassungsrat einzusetzen – in der Schweiz wäre das rechtlich möglich. «Da sträuben sich einem Marxisten alle Haare!», ruft P. M. «Wenn der Unterbau, also die ökonomischen Machtverhältnisse, sich nicht ändert, bringt eine Veränderung des Überbaus überhaupt nichts.»

P. M. findet, das Vollgeld sei eine «nette Reform», die aber an den Machtverhältnissen zu wenig ändere, und zweifelt an der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens: «Alle kritisieren das Geldsystem und glauben, die Banken würden kollabieren – und genau diese Banken sollen das Grundeinkommen zahlen?» Trotzdem hält er Initiativen wie «Danach» für wichtig: «Sie signalisieren, dass es unabhängige Standorte gibt, ausserhalb der Parteipolitik. Wie einst die GSoA. Es stört mich nicht, wenn jemand Ideen hat, die mir seltsam vorkommen, aber gute Sachen macht.»

«Manche bei uns arbeiten mit Methoden der gewaltfreien Kommunikation», erzählt Tilla Künzli von Urban Agriculture Basel. «In diesem Bereich gibt es noch viel zu lernen – das merke ich auch an dieser Konferenz.» Der DRS-1-Redaktor Daniel Hitzig, der einen Teil der Konferenz moderiert hat, sieht das anders, denn er hat anderes erlebt: «Ich finde es eindrücklich, wie man sich zuhört und ausreden lässt – im Gegensatz zur Achtzigerbewegung vor dreissig Jahren.»

Videodokumentation des Symposiums: 
www.danach.info