Umbau bei der SRG: Beim Radio muss jetzt auch alles schneller gehen

Nr. 44 –

DRS 2 heisst ab Mitte Dezember SRF 2 Kultur. Was als weiterer Meilenstein auf dem Weg zum SRG-Multimediahaus daherkommt, birgt Zündstoff. DRS-2-MitarbeiterInnen warnen vor Qualitätsverlust und berichten von Chaos beim neoliberalen Umbau des Unternehmens.

«Wir haben alle ziemlich Schiss.» Ein Satz, der im Lauf der rund ein Dutzend Gespräche immer wieder fällt. Er dringt aus den verschiedenen Redaktionen der Abteilung Kultur des Schweizer Radios und Fernsehens (SRF), vor allem aus dem Radiostudio Basel. Bei DRS 2 ist die Stimmung besonders angespannt. Namentlich zitieren lassen will sich niemand. Unter den Mitarbeitenden herrsche «ein totales Unverständnis darüber, was hier im Moment abgeht». Mehrere leitende RedaktorInnen haben in den letzten Monaten gekündigt.

Die öffentlich-rechtliche Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) ist im Umbruch. Radio und Fernsehen werden schrittweise zusammengeführt (vgl. «Konvergenz»). Entstehen soll ein Multimediahaus mit einer starken Präsenz im Internet. Damit einher geht ein in der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt gebliebener Kulturwandel im ganzen Unternehmen, besonders in der Abteilung Kultur, namentlich bei DRS 2. Also jenem Sender, der mit seinem anspruchsvollen Kultur- und Wissensprogramm ein treues bildungsorientiertes Publikum um sich schart.

Qualität oder Quote?

Bei DRS 2 drohe der Kahlschlag aus der Chefetage, wetterte der Publizist Alex Bänninger jüngst im hauseigenen Radiomagazin «Kulturtipp». DRS 2 werde glattgebügelt und verseichtet. Dass im Zug der Umstellung von DRS 2 auf SRF 2 Kultur Mitte Dezember eine ganze Reihe von Sendungen aus dem Programm gekippt oder umgestylt würden, sei eine konzessionswidrige Aktion, präzisiert er im Gespräch mit der WOZ. «In den Konzessionsbestimmungen steht, dass sich die Sendeleistungen nicht an der Quote orientieren – und trotzdem begründet man den ganzen Umbruch mit mangelnden Quoten.»

«Wir schielen nicht auf die Quote», wehrt sich Nathalie Wappler, die Leiterin der Abteilung Kultur bei SRF. «Aber das DRS-2-Publikum altert schneller als die Durchschnittsbevölkerung. Und die Zielvorgabe der Geschäftsleitung lautet, das Durchschnittsalter der Hörer zu halten.»

Deshalb muss ein neuer Kulturbegriff her – einer, der «ein jüngeres, urbanes, insgesamt breiteres Publikum» anspricht, wie DRS-2-Programmleiterin Franziska Baetcke betont. «Wir müssen den oft als elitär wahrgenommenen Ansatz des kanonisierten Wissens herunterbrechen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, man müsse sich den Nadelstreifenanzug oder das Deuxpièces anziehen, um DRS 2 zu hören.» Kultur soll künftig noch stärker mit dem Alltag verknüpft, der Gesellschaftsbezug betont werden. Inhaltlich bedeute das, Themen, die der Bevölkerung unter den Nägeln brennen, aus einer Kulturperspektive wahrzunehmen: «Zum Beispiel, indem man zur Jugendarbeitslosigkeit in Spanien einen Schriftsteller befragt.»

Und weil das junge, urbane Publikum mitten im Berufsleben steht und keine Zeit zum Zuhören hat, soll das neue DRS 2 es beim Pendeln am Morgen und am Vorabend mit neu gestalteten, je dreistündigen Programmstrecken wenigstens zum Mithören bewegen. Mehr und kürzere Wortbeiträge, lautet das Rezept. Im Gegenzug werden bisherige Sendegefässe wie das Kulturmagazin «DRS 2 aktuell» und die Musiksendungen «Atlas» und «Apéro» gestrichen. «Damit nimmt die Anzahl an Wortbeiträgen pro Tag massiv zu», so ein DRS-2-Mitarbeiter. Bisher sendete «DRS 2 aktuell» am Mittag vier Themen. Neu werden die Morgen- und Vorabendstrecke mit bis zu 25 Beiträgen à zwei bis drei Minuten bespielt. «Und wir sprechen hier noch gar nicht von Qualität und Aufwand.» Noch immer sei unklar, welche Themen überhaupt gefragt seien und wer die alle liefern solle.

Für Bänninger, einst selber Kulturchef des Schweizer Fernsehens, ist klar: «Wenn man alles in zwei oder drei Minuten abhandeln kann, ist am Schluss nichts mehr interessant. In der Verkürzung liegt die Verfälschung und die Oberflächlichkeit davon, was Kultur ausmacht.» DRS-2-Programmleiterin Baetcke betont demgegenüber, dass die langen Hintergrundsendungen erhalten bleiben. «Für die Hörerinnen und Hörer ändert sich eigentlich nicht viel.» Tatsächlich?

Vertrauen in die Führung gestört

Im Radiostudio Basel ist die Skepsis weit verbreitet und das Unbehagen gross – «und das in einem Moment, in dem eigentlich ein Ruck durch den Sender gehen sollte, und zwar im positiven Sinn: ‹Hey, wir packen etwas Neues an, das ist eine Chance für uns!›», so ein DRS-2-Mitarbeiter. «Aber niemand hat unter solchen Umständen Lust auf diesen Prozess.» SRF-Kulturchefin Wappler relativiert, bei DRS 2 würden die Umstrukturierungen intern einfach stärker wahrgenommen, weil es die grösste Veränderung in Basel seit ein paar Jahrzehnten sei. Beim Fernsehen in Zürich hingegen gehörten sie zum Alltag und seien viel selbstverständlicher.

Tatsächlich sollen unter Wapplers Leitung im Namen der Konvergenz zwei Kulturen zusammenwachsen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, was Selbstverständnis, Kulturverständnis und Art und Weise des Zusammenarbeitens anbelangt. In Basel sprechen gar viele von einem «unfriendly takeover», einer Machtübernahme durch die Fernsehleute. Einigkeit hingegen herrscht hüben wie drüben, wenn es um den Wandel der Unternehmenskultur im Gefolge der Konvergenzdoktrin geht: Die Hierarchien seien extrem verstärkt worden, alles funktioniere jetzt «top-down», nichts könne diskutiert werden.

«Muss das Zusammenwachsen von Radio und Fernsehen wirklich von oben nach unten durchgesetzt werden?», fragt ein DRS-2-Mitarbeiter, da man bislang gewohnt war, autonom arbeiten zu können. «Und muss dieser Prozess zwingend mit einer Reglementierung und Normierung einhergehen, bei der am Schluss fast alle Gefässe nach bestimmten Schemata strukturiert sind? Das killt doch jegliche Kreativität und hat etwas Totalitäres!»

Andere berichten, es seien im Vorfeld des Umbaus von DRS 2 zwar verschiedene Arbeitsgruppen dazu gebildet, ihre Mitglieder aber von oben ausgewählt und zum Schweigen gegenüber allen andern verpflichtet worden. Die Basis war erst am 3. September überhaupt über das Ausmass des Umbaus beim Sender informiert worden. «Die Kommunikationskultur ist schlicht miserabel», sagt ein Mitarbeiter über seinen Vorgesetzten. Das Vertrauen in die Führung, so der Tenor, sei ziemlich gestört.

Neoliberaler Umbau von oben

Die Mitte Oktober publizierte Unternehmensstrategie der SRG zeigt, was hinter dem Wandel der Unternehmenskultur steckt: Mit dem Start der Zusammenlegung von Radio und Fernsehen hat ein am Markt orientierter Umbau der Unternehmensstruktur begonnen. Durch das neue Strategiepapier weht ein eisiger neoliberaler Wind. Effizienzdenken, Leistungssteigerung, Veränderungsbereitschaft beim Personal. Und: Kaderförderung. Der SRG ist eine sogenannte Matrixorganisation übergestülpt worden, um die betriebswirtschaftlichen Ziele umzusetzen. Ihr Gerüst bilden zwei Leitungssysteme – eine hierarchische, vertikale Führungslinie und eine fachorientierte, horizontale Leitungsstruktur.

Mit diesem Umbau, so erzählen SRF-Mitarbeitende aus den unterschiedlichsten Bereichen, sei ein grosses Tohuwabohu auf struktureller Ebene entstanden. Die Führungsebene sei stark ausgebaut worden, intern werde seither um Macht- und Entscheidungspositionen gerangelt. Es gebe immer mehr Chefs und Schnittstellenchefs, doch die Abläufe seien nach wie vor unklar. Verschiedene neue Planungstools verstärkten vor allem die Hierarchie, indem sie dafür sorgten, dass von oben leichter kontrolliert und durchgegriffen werden könne.

Auch die Mediengewerkschaft SSM bekam den neoliberalen Gegenwind zu spüren: Lange sah es gar so aus, als würde der Ende 2012 auslaufende Gesamtarbeitsvertrag (GAV) nicht verlängert. «Wir haben im Grunde genommen nur einen Abwehrkampf geführt», sagt SSM-Sekretär Ernst Gräub. Die SRG hingegen wünschte sich Flexibilität. Und Gräub bestätigt mit Verweis auf die Zahlen im aktuellen Geschäftsbericht der SRG, dass nicht nur das Kader, sondern auch der Anteil der Kaderlöhne innerhalb der SRF seit März 2009 angestiegen ist.

Für den Publizisten Alex Bänninger ist der Umbau von DRS 2 von «McKinsey-Denken» durchdrungen. «Das ist, als ob ein Sinfonieorchester aus der Perspektive eines Betriebswirtschafters optimiert würde: Er stellt fest, dass viele Musiker während eines Konzerts nicht beschäftigt oder zumindest unterbeschäftigt sind. Also sagt er sich, wer bloss ab und zu die Pauke schlage, könne in der Zwischenzeit auch noch ein anderes Instrument spielen. Rein betriebswirtschaftlich lässt sich ein Orchester so auf fünf Personen dezimieren. Es tönt dann halt auch so.»

Arbeitsbelastung steigt stark

Genau davor hat man im Radiostudio Basel, aber auch in andern Bereichen der Abteilung Kultur Angst. Ständig kommen neue Aufgaben und Anforderungen hinzu, doch die Ressourcen, um sie zu bewältigen, schwinden. Zwar betont SRF-Kulturchefin Nathalie Wappler, dass bei DRS 2 weder das Budget gekürzt noch Stellen abgebaut würden. Und auch die Programmleiterin Franziska Baetcke versichert: «Niemand verliert seinen Job.» Doch um den ganzen Umbau zu bewältigen, steht kein Rappen extra zur Verfügung.

Und so bleibt bei DRS 2 kein Stein auf dem andern. Um den publizistischen Ausbau der neuen Sendestrecken am Morgen und am Vorabend zu meistern, werden die Arbeitsabläufe umgekrempelt: Ab Dezember leistet ein ausgebautes Planungsteam die Vorarbeit und verteilt Aufträge an die Fachredaktionen. Diese sind im Planungsteam vertreten, das autorenschaftliche Verhältnis zur eigenen Arbeit dürfte aber schon bald der Vergangenheit angehören. Viele befürchten, künftig nur noch als «Abfüller von Sendegefässen» zu dienen. Andere sorgen sich um den drohenden Wissensverlust, wenn weitere FachredaktorInnen abspringen.

Denn um die neue Morgenstrecke zu bedienen, werden vor allem den langen Hintergrundsendungen Ressourcen abgezapft. Die Redaktionen von «Kontext» und «Reflexe» verschmelzen, und um einen Beitrag für «Reflexe» zu realisieren, müssen künftig statt dreieinhalb eineinhalb Arbeitstage reichen. Dafür soll die Sendung live produziert werden – ein völliger konzeptioneller Wandel. «Wir haben bisher zu viel Zeit in die Nachbearbeitung von Gesprächssendungen investiert», sagt Programmleiterin Baetcke. «Unser Ziel ist, Zugänglichkeit, Verständlichkeit und ein Gefühl von Authentizität zu vermitteln.»

Das ist ein Ziel, das viele bei DRS 2 teilen. Aber sie bezweifeln die Machbarkeit. Gerade GesprächspartnerInnen, die Interessantes zu sagen hätten, seien im spontanten Wortwechsel oft nicht medientauglich genug fürs Radio. Manche bezweifeln auch, dass man kompetente Personen rasch genug vors Mikrofon kriegt. Lässt sich der Qualitätsanspruch unter diesen Umständen halten?

Schönes neues Online

Viele befürchten, dass, was nicht ins Sendekonzept passt, einfach nicht mehr stattfinden wird. Nicht zuletzt, weil die vielen neuen Kurzgefässe viele Ressourcen brauchen und binden. Ressourcen, die obendrein auch noch in die neue Kulturplattform im Internet fliessen sollen.

Mit der Konvergenz geht nämlich ein neues Berufsbild einher: die bimediale Journalistin, die nebst ihrem angestammten Medium die Onlineplattform mit Inhalten bespielt. «Die Erwartung ist, dass ich jeden meiner Radiobeiträge multimedial weiterverarbeite», sagt ein DRS-2-Mitarbeiter: «Ich verfasse einen grossen Text fürs Online, ergänzt mit neuen Aspekten, Hintergründen, Zitaten, Bildern und Tonschnipseln.» Wie man das alles in der gleichen Zeit wie bisher bewältigen wolle, sei bis jetzt allerdings unklar.

Mit diesen Sorgen sind die Leute aus der Kulturabteilung nicht allein. Auch die Newsredaktionen von Radio und Fernsehen müssen fürs Online zuarbeiten, was, wie aus der Infoabteilung zu vernehmen ist, mitunter harze, weil auf den Redaktionen schlicht die Kapazitäten fehlten. Aufgestockt worden sei hingegen bei Online – mit Kaderleuten, die nicht journalistisch tätig seien.

«Noch machen wir Radio», sagt Programmleiterin Franziska Baetcke. Das ist bejahend gemeint, hat aber einen ambivalenten Beigeschmack.

Mitarbeit: Sina Bühler

Konvergenz

Die Medienlandschaft hat sich im vergangenen Jahrzehnt stark gewandelt. Immer mehr Menschen beziehen ihre Informationen aus dem Internet statt über die klassischen Medien Print, Radio oder TV. Die öffentlich-rechtliche SRG reagiert auf diesen Wandel, indem sie ihr Angebot unter dem Schlagwort Konvergenz multimedial verschmilzt: Radiosendungen werden plötzlich gefilmt, Fernsehsendungen über das Radio übertragen, die Webredaktion stellt bereits gesendete Inhalte zur Verfügung, und die Arena bietet den Zuschauenden die Möglichkeit, dass ihre Videobotschaften eingeblendet werden.

Folgen hat die Konvergenz allerdings nicht nur für das Publikum. JournalistInnen arbeiten neu «trimedial», Radio- und Fernsehredaktionen wachsen zusammen. So entstand beispielsweise eine einzige Abteilung «Digital plus» oder die Gesamtabteilung «Kultur». Zusammengelegt wurden auch die Kommunikation, die Finanzen und die Personalabteilungen. Das Projekt startete bei der SRG bereits unter der Leitung von Roger de Wecks Vorgänger Armin Walpen in der Romandie und läuft seit Anfang 2011 auch in der Deutschschweiz.