Fumoir: Mit «chaute Scheiche»

Nr. 49 –

Ruth Wysseier zu Besuch bei der Schweizer Tea Party.

Der erste Schnee verzuckert den Heimatboden, ein dünnes Sünneli scheint vom Himmel, Treichelgeläut scheppert über den See. Neben dem Glühweinstand flankieren ein paar Männer in historischen Uniformen eine alte Kanone, mit der man zu General Dufours Zeiten in den Sonderbundkrieg gezogen ist.

Am letzten Sonntag hat Christoph Blocher zum Gedenkanlass «20 Jahre EWR-Nein» geladen – ausgerechnet nach Biel, in die weltoffene Stadt, die 1992 den EWR-Beitritt mit 16 893  Ja- gegen 7622 Nein-Stimmen ähnlich euphorisch befürwortet hatte wie die Westschweiz, wo man vom negativen Abstimmungsausgang mit dem knappen Volks- und dem massiven Ständemehr bitter enttäuscht war.

Als wir an jenem 6. November 1992, am Abend des Abstimmungssonntags, unsere Freunde nach Neuenburg zum Bahnhof fahren wollten, stoppte uns bei Pont-de-Thielle eine Gruppe hässiger Romands mit einer improvisierten Strassensperre. Sie beschimpften uns wegen des EWR-Neins. Wir waren zu viert im Auto: Ein pragmatisches Ja, ein skeptisches Ja-Aber, ein ökologisches Nein und ein systemkritisches Nein hatten wir in die Urne gelegt. Damit repräsentierten wir in etwa die Positionen im zerstrittenen links-grünen Lager, die damals auch in der WOZ heftig diskutiert wurden. Zwar hatte die WOZ nach dem Abstimmungsverdikt trotzig-optimistisch getitelt: «Das Nein zum EWR ist kein Ja zum Heidiland», doch genau so hat es die SVP seither erfolgreich bewirtschaftet.

Mit drei Böllerschüssen beginnt die Feier. Ist es symbolträchtig, dass die Vorderladerkanone dabei ziemlich genau auf mein Elternhaus zielt? Könnte von diesen Leuten eine Bedrohung ausgehen? Wer sind sie? Ein paar Cars kamen aus der Ostschweiz, aber der, der neben mir schimpft, er habe «chauti Scheiche» – wie ich übrigens auch –, ist sicher ein Berner. Das Publikum, mehrheitlich ältere Männer, von denen viele ihre Brissagos oder Stumpen beim Sprechen zwischen den Zähnen eingeklemmt halten, sind die helvetische Variante der Tea Party. Eine Anti-Establishment-Anti-Richter-Anti-Fremde-Koalition. Nebst der SVP haben über ein Dutzend Organisationen aus dem rechten Spektrum, die Aargauische Vaterländische Vereinigung und ähnliche, ihre Anhängerschaft mobilisiert, damit sie sich an dieser Siegesfeier ihre Ration Wir-Gefühl abholen kann.

Blocher ruft, und keiner kommt: Angesichts des massiven Polizei- und Sicherheitsdienstaufgebots wirkt der Publikumsaufmarsch noch bescheidener, als er es eh schon ist. Bis zu 30 000  Leute würden erwartet, hörte ich gelegentlich auf dem Weg zum Gelände – und dann finden sich vielleicht 1500 ein, und wenn man noch die 200 Treichler und die bestellten Fahnenträger, die vielen Parteileute samt Anhang sowie alle MedienvertreterInnen abzieht, dann war die Veranstaltung ein veritabler Flop.

Sogar die Stadtmusik bekam kalte Füsse und sagte ihre Mitwirkung im letzten Moment ab. Weit und breit keine Autonomen, die dem Anlass die Ehre geben mögen, und die BielerInnen zog es an den Multikultiweihnachtsmarkt in der Altstadt.

Sicher ist: Die paar linken Nein zum EWR waren angesichts des Ständemehrs nicht matchentscheidend. Und selbst bei einem Ja hätte die SVP ihren Siegeszug wohl angetreten, jedenfalls wenn man die politische Entwicklung mit der in anderen Ländern vergleicht. Trügerisch wäre es, den Bieler Flop überzubewerten. Die SVP hat die Schweiz umgebaut: Heute erfüllen die Mitteparteien ein ums andere Mal SVP-Forderungen. «Chauti Scheiche» sind da noch das kleinste Malaise, das uns diese Partei eingebrockt hat.

Ruth Wysseier ist Winzerin am Bielersee. 
1992 stimmte sie Ja-Aber.