Nachgefragt: «Die Privatisierer haben noch nicht gewonnen»

Nr. 49 –

Gewerkschafter Beat Ringger über die Gefahren der Fallpauschalen, Politiker in Diensten der Privatkliniken und Spitalprivatisierungen auf dem Buckel der Angestellten.

WOZ: Herr Ringger, die Privatklinikgruppe Genolier ist auf Expansionskurs, wie gerade in Neuenburg zu sehen ist [vgl. «Mit Kranken lassen sich satte Gewinne machen »]. Sie will vermehrt auch öffentliche Spitäler aufkaufen. Macht Ihnen das Sorgen?
Beat Ringger: Genolier ist als unfreundlicher Arbeitgeber bekannt. Es macht uns Sorgen, dass diese Gruppe immer mehr Einfluss gewinnt. Und es macht uns auch Sorgen, dass die Neuenburger Regierung ihre eigenen Vorschriften aushebeln will. Bisher galt in Neuenburg, dass nur jene Leistungserbringer im Gesundheitswesen subventioniert werden, die den kantonalen Gesamtarbeitsvertrag einhalten. Es ist unverständlich, dass das für Genolier nicht gelten soll.

Wie erklären Sie sich das?
Die Genolier-Gruppe ist politisch geschickt aufgestellt, sie hat die Unterstützung einflussreicher Leute. Ich finde es übrigens heikel, wenn ein Politiker wie Raymond Loretan sich derart für private Interessen einspannen lässt. Loretan sollte entweder als Verwaltungsrat von Genolier oder als Präsident der SRG zurücktreten.

Die Aevis-Holding hält neben Genolier auch eine Immobilientochter. Ist die Neuenburger La Providence als Spital oder als Immobilie interessant?
Das ist völlig intransparent. Je mehr das Spitalwesen für private Interessen geöffnet wird, desto mehr wird man sich solche Fragen stellen. Es ist klar, dass La Providence, mitten im Stadtzentrum von Neuenburg, auch als Liegenschaft ein Objekt der Begierde darstellt. Spitäler liegen ja in der Regel an strategisch günstigen Orten.

Antoine Hubert, der starke Mann von Aevis, will von der Einführung der Fallpauschalen profitieren. Verstärken diese also die Privatisierungstendenzen im Spitalwesen?
Die Fallpauschalen machen aus einer Dienstleistung eine Ware. Eine Blinddarmoperation beispielsweise ist so und so viel «wert». Wenn sie mehr kostet, trägt das Spital die Mehrkosten, wenn sie weniger kostet, gehört die Differenz dem Spital. Bis heute wird der Preis dieser Ware in der Schweiz immerhin noch politisch ausgehandelt. In Deutschland denkt man bereits darüber nach, die Höhe der Fallpauschalen dem Markt zu überlassen.

Dann geht es heute um den Tarif der Fallpauschalen?
Das neue Finanzierungssystem ist seit einem Jahr in Kraft. Bisher sind die Tarife provisorisch. Nun werden sie definitiv festgelegt. Der Kampf darum ist voll im Gang. Ein Teil der Krankenkassen und der Preisüberwacher will sie um zehn bis achtzehn Prozent senken, man übt Druck aus, dass sich die Pauschale am billigsten Fall orientiert – also möglicherweise daran, was ein Fall in einer Klinik mit flexibilisiertem Personal und ausgelagerten Diensten kostet. Falls sie damit durchkommen, führt das zu einem sofortigen und massiven ökonomischen Druck auf alle Spitäler. Genolier bereitet sich offensichtlich darauf vor.

Gibt es schon jetzt negative Auswirkungen der Fallpauschale?
Es gibt erste Anzeichen auf der Ebene der Versorgungsqualität. Rehakliniken machen darauf aufmerksam, dass die Patientinnen und Patienten in weniger gutem Zustand ankommen als früher. Das heisst: Der Heilungsprozess geht länger, die Kosten werden nur verlagert. Wir machen uns auch Sorgen um die Attraktivität des Pflegeberufs. Schon heute werden pro Jahr nur 4000 bis 5000 Pflegefachleute ausgebildet, die doppelte Zahl wäre nötig. Wenn der Druck auf das Personal weiter zunimmt, wird der Pflegeberuf noch weniger attraktiv.

Wie stark sind die Privatisierungstendenzen im Spitalwesen?
Die Bürgerlichen nehmen die neue Spitalfinanzierung zum Anlass, um die Kantone und Gemeinden zu einem Rückzug aus den Spitalträgerschaften zu bewegen. Sie argumentieren wie folgt: Man habe nun ein System, mit dem auch private Träger sinnvoll wirtschaften könnten, man könne das finanzielle Risiko also ruhig diesen überlassen. Sie scheuen auch das politische Risiko. Ein in Schwierigkeiten geratenes Spital zu restrukturieren oder zu schliessen, ist unpopulär – das überlässt man lieber den Privaten. Von dieser Entwicklung betroffen sind nicht nur kleine Spitäler. Die Zürcher Kantonsregierung erarbeitet beispielsweise Unterlagen für eine mögliche Privatisierung des Kantonsspitals Winterthur. Wir sind zuversichtlich, dass wir sie stoppen können.

Wann kommt der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts über die Höhe der Fallpauschalen?
Vermutlich in den ersten Monaten des kommenden Jahrs. Falls daraufhin die Tarife tatsächlich gesenkt werden, wird das für massiven Wirbel sorgen. Wir müssen dafür gerüstet sein. Wir werden dafür kämpfen, dass die Kantone finanziell einspringen, und wir werden Gesetzesänderungen verlangen. Die Privatisierer haben noch nicht gewonnen.

Der Gesundheitsspezialist

Beat Ringger (57) ist Zentralsekretär des Verbands des Personals Öffentlicher Dienste (VPOD), dort zuständig für den Gesundheitsbereich. Er ist zudem geschäftsleitender Sekretär des linken Thinktanks Denknetz und lebt in Zürich.