Peru: Eine Stadt im Wasserstress

Nr. 4 –

Schmelzende Gletscher wegen des Klimawandels machen die Wasserversorgung für die peruanische Hauptstadt Lima immer schwieriger. Der reichere Teil der Stadt muss lernen zu sparen.

«60 Sol haben wir noch vor einem Jahr für einen Kubikmeter Wasser vom Tankwagen gezahlt. Seit die Wasserleitungen fertig sind, zahlen wir nur noch 18 Sol», sagt Vitorio Chávez mit zufriedenem Lächeln, «und das Wasser müssen meine Frau und ich auch nicht mehr nach Hause schleppen.» Die Familie Chávez lebt in Limas Stadtteil Huaycán. Vitorio Chávez ist Fuhrunternehmer und betreibt nebenbei mit seiner Frau Eufamia Vida Paucar einen kleinen Supermarkt. Der liegt auf einer Anhöhe, von der man einen guten Blick auf die umliegenden staubigen Sandhügel hat, in die sich gräulich-braune Stein- und Holzbaracken krallen. Weiter oben wohnen diejenigen, die unten in den Tälern zwischen den Schotterhügeln und Sanddünen keinen Platz mehr fanden.

Chávez wohnt relativ weit oben. Vor zehn Jahren kam er gemeinsam mit ein paar Bekannten aus seiner Heimatprovinz Huancavelica und siedelte sich in Huaycán an, einer Vorstadt von Lima, rund fünfzehn Kilometer vom historischen Zentrum der peruanischen Hauptstadt entfernt. Hier versucht er, sich und seiner Familie eine Zukunft und Perspektiven aufzubauen.

Dazu gehört auch der eigene Wasseranschluss. Dafür hat Chávez, der auch Sprecher des Nachbarschaftskomitees ist, in den letzten zwei Jahren viel getan: Er hat Druck auf die Behörden gemacht, Anträge geschrieben, nachgehakt. «Wir waren das Warten leid», erzählt er im Flur seines aus Ziegelsteinen, Stahlstreben und Beton gebauten Hauses.

Zweitgrösste Wüstenstadt der Welt

Chávez stammt aus der Provinz und ist es gewohnt, sparsam mit Wasser umzugehen. Als er zum ersten Mal in Limas Geschäftsvierteln Miraflores und San Isidro sah, wie dort bunte Tankwagen die Parks und Alleen mit Unmengen an Wasser sprengen, war er äusserst irritiert. «Wasser sollten wir lieber sparen. Es ist ohnehin schon knapp», sagt der Vater zweier Söhne.

So etwas hört Eduardo Ismodes Cascón, Chef der städtischen Wasserwerke Sedapal, gern. «In den nächsten Jahren müssen wir Limas Wasserversorgung ausweiten, modernisieren und effektiver machen», benennt Cascón die derzeit wohl grösste Herausforderung für Lima. Ein wichtiger Aspekt ist der sparsame Umgang mit der Ressource Wasser, denn nach Kairo ist Lima die zweitgrösste Wüstenstadt der Welt. Doch im Gegensatz zur ägyptischen Hauptstadt verfügt Lima nur über geringe Wasserressourcen. Zudem sind Niederschläge hier noch seltener als in der Sahara und schlagen gerade mit neun Millimetern im Jahr zu Buche.

«Unser zentrales Dilemma ist, dass es genau dort, wo die meisten Menschen in Peru leben, am wenigsten Wasser gibt», sagt Cascón, der vor einem Jahr noch an der päpstlichen Universität von Lima forschte. Er ist geholt worden, um Lösungen für eine Stadt zu finden, die den Klimawandel schon deutlich zu spüren bekommt. So reicht im peruanischen Winter das Wasser aus dem Río Rímac, der Hauptwasserquelle der Stadt, schlicht nicht mehr aus.

Kampf dem Schwund

Ganz in der Nähe der Sedapal-Zentrale liegt eine jener Wasserentnahmestellen, an der sich das Dilemma gut beobachten lässt. Tatsächlich ist der Rímac an diesem trockenen Novembertag kaum mehr als ein müdes Rinnsal, das sich durch ein weitgehend trockenes Flussbett windet. Ein Bild, das in ein paar Jahren vielleicht auch im Sommer drohen wird, denn der Klimawandel sorgt seit Jahren dafür, dass die Gletscher in den Anden immer mehr abschmelzen. So taxieren Experten wie Julio García vom peruanischen Umweltrat den Rückgang der Gletscher in der Cordillera Blanca seit 1989 auf etwa dreissig Prozent. Dort im Nationalpark Huascarán, rund 450 Kilometer von Lima entfernt, befindet sich das Gros der peruanischen Gletscher.

Diese Gletscher könnten Studien zufolge schon in zwölf bis achtzehn Jahren verschwunden sein (vgl. «Schmelzende Gletscher»). «Dem müssen wir mit einer effizienteren Nutzung des Wassers begegnen», sagt Cascón. «Weniger Schwund, mehr moderne Leitungen» heisst deshalb die Devise, und so ergibt auch der Neuanschluss von Huaycán Sinn. Moderne Leitungssysteme sollen nicht nur in den Armenvierteln wie Huaycán oder Pachacútec, sondern auch im Zentrum der Stadt für weniger Wasserverluste sorgen. Die liegen derzeit bei vierzig Prozent der Menge, die von Sedapal ins System gepumpt wird. Diese Quote soll in den nächsten Jahren auf europäische Verhältnisse von zehn bis fünfzehn Prozent gesenkt werden. Dabei werden die Sedapal-TechnikerInnen auch von internationalen Hochschulen beraten.

Aufklärung tut not

Die Zielvorgaben der Wasserwerke sind ambitioniert, denn es ist Eile geboten. Bis 2021 sollen sämtliche Haushalte der Metropole an die städtische Wasserversorgung angeschlossen werden. Ein weiteres zu lösendes Problem sind die Abwässer. Statt wie bisher 85 Prozent davon ins Meer zu leiten, sollen sie – in Klärwerken, die erst noch gebaut werden müssen – aufbereitet werden. «Wir müssen einen geschlossenen Kreislauf schaffen», sagt Cascón. Ein Mammutaufgabe. Finanziert werden soll das Vorhaben aus Regierungsfonds und von internationalen GeldgeberInnen wie der Interamerikanischen Entwicklungsbank und der deutschen KfW-Förderbank.

Neben der bereits angelaufenen Modernisierung des Leitungsnetzes sind auch der Bau von neuen Staubecken in den Anden sowie Entsalzungsanlagen vorgesehen. Carlos Herz bezweifelt allerdings, dass das allein reichen wird. «Wir brauchen einen grundlegend anderen Umgang mit dem Wasser», sagt der Berater für lokale Entwicklung, der für die deutsche wie auch die spanische Entwicklungshilfe tätig ist. «Die Menschen in Lima denken kaum darüber nach, woher das Wasser kommt. Hauptsache, es fliesst aus dem Hahn», sagt Herz und fordert «Aufklärungsarbeit und mehr Schutz für die Quellgebiete der Flüsse». Bislang sei in Peru keine fundierte Strategie für den Umgang mit dem immer kostbarer werdenden Wasser zu erkennen, und Herz kritisiert, dass in Lima und anderen Städten zu viele private Brunnen in Betrieb seien. «Das senkt den Grundwasserspiegel. Besonders weil bei der Bewässerung von Parks oder in der Landwirtschaft meist noch viel zu grosszügig mit Wasser umgegangen wird.»

Schmelzende Gletscher

Am Dienstag dieser Woche veröffentlichte die europäische Gesellschaft für Geowissenschaften einen alarmierenden Befund: Die Andengletscher schmelzen mit einer Geschwindigkeit, wie sie seit 300 Jahren nicht mehr da gewesen ist, und sie haben seit den siebziger Jahren dreissig bis fünfzig Prozent ihrer Masse verloren. Verantwortlich dafür ist der Klimawandel, da sich seit 1950 die durchschnittliche Temperatur in der Region um jährlich 0,15 Grad Celsius erhöht hat. Besonders kleinere Gletscher, unter 5400 Meter Höhe, werden bei einem entsprechenden weiteren Anstieg schon in den nächsten Dekaden verschwinden.

Die Zahlen basieren auf den Studien von 27 GeowissenschaftlerInnen, die Daten der letzten siebzig Jahre ausgewertet haben. Sie hoffen nun, dass ihre Erkenntnisse in den nächsten Bericht des wichtigsten Gremiums zur Klimaerwärmung, des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), einfliessen, der 2013 veröffentlicht wird. Laut IPCC sind tropische Gletscher die Schlüsselindikatoren des Klimawandels, da sie besonders stark auf Temperaturänderungen reagieren.

www.tinyurl.com/andengletscherwww.egu.eu/news

Sonja Wenger

Ein Bewässerungsprojekt : Die sparsamen BerglerInnen von Mollepata

«Hier wird aus Tradition mit Wasser sparsam umgegangen», sagt Claudio Estrada. Er ist einer der Bauern aus dem Andendorf Mollepata im Nordwesten des Landes, die einen Kanal gebaut haben und nun ihre Felder bewässern können. «Mit dem Kanal hat unser Dorf wieder eine Perspektive», sagt Estrada und deutet auf einen Pappkarton mit Avocados, die gerade geerntet wurden.

Fast dreihundert BäuerInnen hatten sich in Mollepata zusammengeschlossen, um das Bewässerungsprojekt zu realisieren. Die BäuerInnen stellen dafür ihre Arbeitskraft, während das Konzept und das Staubecken von einer Abteilung der Regionalregierung Cusco geplant und realisiert wurden. «Für das Projekt haben wir neue Bewässerungsverfahren und teilweise auch neue Anbauprodukte eingeführt, um den Wasserverbrauch zu senken», erklärt Efraín Silva Cana, der leitende Ingenieur. Mit Erfolg. Die Anbauflächen werden heute beregnet. Auf diese Weise brauchen die BäuerInnen rund dreimal weniger Wasser als bei der traditionellen Methode der Feldüberflutung. Nicht nur wird so viel Wasser gespart, auch die Erträge verbessern sich. «Heute sind auf den Feldern, die dichter an der Wasserquelle liegen, sogar zwei Ernten pro Jahr möglich», sagt Norberto Chávez und deutet auf sein Kartoffelfeld, über dem ein Wassersprenger gerade im Einsatz ist. Neben Kartoffeln baut er auch Pfirsiche, Avocados und Äpfel an. «Durch die steigenden Erträge können wir auch neue Produkte anbauen.»

Von Erntesteigerungen träumen auch die BäuerInnen des zweiten Kanalabschnitts, der eingestürzt ist und neu ausgebaut werden muss. Dafür hoffen sie auf eine neuerliche Unterstützung von der Regionalregierung. Diese koordiniert die Bewässerungsprojekte in der Region und hat dazu Entwicklungshilfegelder und Förderkredite aus der EU und der Schweiz erhalten. So sind bei der Beratung in der Region von Cusco, die besonders unter den Auswirkungen des Klimawandels leidet, auch Schweizer Spezialisten unter anderem vom Bundesamt für Meteorologie im Einsatz. Ob die Mittel ausreichen, um auf die Wünsche der BäuerInnen einzugehen, ist jedoch offen.

«Wir möchten Kunststoffrohre installieren, um weniger Wasserverluste durch Versickern zu haben, und die Kanäle betonieren, um Teileinstürze zu verhindern», sagt Victor Delgado. «Von zweihundert Litern Wasser, die oben losgeschickt werden, kommen derzeit hier unten nur sechzig Liter an.» Ingenieur Cana betont den grossen Nutzen einer sparsameren und gleichzeitig effektiveren Bewässerung: «Die Erträge sind so gut, dass mittlerweile sogar junge Leute aus Cusco und Lima zurückkommen, weil sie hier bessere Perspektiven sehen.»

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