Streik bei Spar : Sozial – «wenn immer möglich»

Nr. 25 –

Der Arbeitskonflikt beim Detailhändler Spar zieht sich hin. Er wirft ein Schlaglicht auf miese Arbeitsverhältnisse im Tertiärsektor, zeigt aber auch die zunehmende Bereitschaft zur Gegenwehr.

Rund zehn Tage dauerte die Blockierung des Spar-Tankstellenshops im aargauischen Baden-Dättwil. Dann beendeten die Streikenden am 13. Juni die Blockade. Kurz darauf erhielten die Betroffenen die fristlose Kündigung. Damit nicht genug: Es setzte auch noch Anzeigen wegen Hausfriedensbruch und Nötigung ab.

Der Spar-Konzern fährt die harte Tour. Echte Gespräche mit der Gewerkschaft Unia, die die Streikenden unterstützt, habe es nie gegeben, sagt Natalie Imboden, bei der Unia für den Tertiärsektor zuständig. Eine Betroffene sei mitten in einer Sitzung fristlos entlassen worden. Als die Streikenden letzte Woche vor die Spar-Zentrale nach St. Gallen zogen, liess sich kein Manager blicken, schon gar nicht der Chef. Stattdessen kurvten Polizeiautos herum. Die Spar-Leitung setzt auf Justiz und Ordnungsmacht.

Unterdotierung und Personalmangel

Doch wer ist Spar überhaupt? «Einer der miesesten Arbeitgeber in der Schweiz», sagt Natalie Imboden mit Blick auf Löhne von 3600 Franken brutto pro Monat – weit unter den 4000 Franken, die als gewerkschaftliche Norm für ein anständiges Salär gelten. Mit einer möglichst knappen Stellenzahl hält Spar die Personalkosten tief. Gerade Unterdotierung und Personalmangel hatten den Ausschlag für den Streik in Baden-Dättwil gegeben.

Spar ist ein heimlicher Riese. Als Grossverteiler steht er im Schatten von Migros und Coop. Vor zwei Jahren überschritt er die Umsatzmilliarde. Zur Gruppe gehören 170 Spar-Läden, 11 Top-CC-Abholmärkte für Grossverbraucher sowie vier Dutzend Tankstellenshops und Convenienceläden. Angefangen hatte Besitzer Juan M. Leuthold einst mit einem Kolonialwarenlädeli in St. Gallen. 1989 erhielt er von der niederländischen Spar International den Franchisevertrag für die Schweiz. Seither begann der Aufstieg zum Grosskonzern. Heute liegt die von Sohn Stefan Leuthold (54) geleitete Gruppe im Ranking der 500 umsatzstärksten Unternehmen der Schweiz auf Platz 147.

Über 2000 Menschen arbeiten bei Spar, die meisten in Teilzeit. Blättert man im Jahresbericht, so dankt der Chef zwar seinen Mitarbeitenden für ihren Einsatz. Doch weiter kommen die Angestellten im Bericht kaum vor. «Wir stehen zu verantwortungsbewusstem Unternehmertum und handeln, wenn immer möglich, sozial und ökologisch», ist da zu lesen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse erhält die Einschränkung «wenn immer möglich» einen fahlen Beigeschmack.

Der Spar-Konzern reiht sich ein in die Phalanx verschwiegener Familienunternehmen, in denen patronale Verhältnisse überdauern und echte Sozialpartnerschaft ein Fremdwort ist. Welchen Gewinn die Besitzerfamilie einstreicht, ist unbekannt. Es darf vermutet werden, dass sie in die «Bilanz»-Reichenliste gehört, in der sie bisher allerdings fehlt. Obwohl in einem hart umkämpften Markt tätig, wies die Spar-Gruppe in den letzten Jahren ein kontinuierliches Wachstum aus. Das dürfte nicht nur an den günstigen Einkaufspreisen der internationalen Gruppe liegen, sondern hauptsächlich an den Tieflöhnen.

Spar als Unternehmen passt perfekt ins Profil eines Dienstleistungssektors, wie ihn Andreas Rieger, Pascal Pfister und Vania Alleva in ihrem kürzlich erschienenen Buch «Verkannte Arbeit» (Rotpunktverlag) zeichnen. 1,9 Millionen Menschen arbeiten hier zu «unteren Löhnen», wobei Spar in die unterste Kategorie fällt. Migros und Coop zahlen höhere Löhne. Spar steht auf dem Niveau von Textilketten wie H&M und Zara oder von Schuhkonzernen wie Bata. Deren milliardenschwere Besitzerfamilien sind dank Tieflöhnen zu den Topreichen dieser Welt aufgestiegen.

Die Unia hat die elf Kündigungen als missbräuchlich angefochten. «Hier wird das verfassungsmässige Streikrecht verletzt», sagt Natalie Imboden. Auch sind Gegenklagen in Vorbereitung. Die Unia wirft Spar Lohndiskriminierung und Verletzung des Lehrlingsschutzes vor. Wegen des Personalmangels hätten Lehrlinge länger als erlaubt arbeiten müssen. Auch wurde bei der internationalen Arbeitsorganisation in Genf eine Klage wegen antigewerkschaftlicher Kündigungen deponiert. Wie der Konflikt ausgeht, ist offen. Die Aktionen dauern an – so organisierten Unia und Juso am vergangenen Samstag Protestkundgebungen vor verschiedenen Deutschschweizer Spar-Filialen. Zudem will die Unia in Bezug auf die fristlose Kündigung der streikenden MitarbeiterInnen beim Bundesrat intervenieren.

Kontrast zum Mythos

Der Streik bei Spar ist der jüngste einer Reihe von aufsehenerregenden Arbeitskämpfen im Tertiärsektor. Seit 2002 gab es über dreissig Protestaktionen – eine Zahl, die überraschen mag, weil sie im Kontrast zu dem in der Öffentlichkeit gepflegten Mythos eines gewerkschaftsfreien Wirtschaftszweigs ohne Arbeitsniederlegungen steht. Tatsache aber ist: Es streikten bereits ArbeitnehmerInnen so verschiedener Branchen: TaxifahrerInnen in Kloten, VerkäuferInnen beim Elektrofachmarkt Eschenmoser, Angestellte bei Mövenpick oder das technische Personal des Zürcher Schauspielhauses.

Auch bei Spar wurde schon einmal gestreikt: Im Jahr 2009 verweigerten die Mitarbeitenden im Tankstellenshop Heimberg im Berner Oberland wegen massiver Überstunden die Arbeit. Mit Erfolg: Es gab zusätzliches Personal sowie eine Lohnerhöhung. Zu beidem ist das Spar-Management im aktuellen Fall nicht bereit.