Asyl: Schule : Kein Lernen in Bremgarten

Nr. 35 –

Kinder von Asylsuchenden im neuen Bundeszentrum in Bremgarten dürfen nicht in die Schule. Das widerspricht der Bundesverfassung und der Kinderrechtskonvention der Uno.

In der sommerlichen Empörung um das Badiverbot für Asylsuchende aus dem neuen Bundeszentrum in Bremgarten ging ein weiterer bemerkenswerter Satz in der Vereinbarung zwischen der Standortgemeinde und dem Bundesamt für Migration (BFM) unter. Im Artikel 10 steht dort nämlich: «Das BFM bestätigt, dass die in der Unterkunft untergebrachten Asylbewerber keine öffentliche Schule in Bremgarten besuchen werden.» Das Recht auf Bildung ist allerdings ein Grundrecht und sowohl in der Uno-Kinderrechtskonvention verankert, die die Schweiz 1997 ratifizierte, wie auch in der Bundesverfassung. Widerspricht der Umgang mit Kindern im viel diskutierten Zentrum in Bremgarten also der Bundesverfassung und den Menschenrechten?

Michael Glauser, Pressesprecher des BFM in Bern, relativiert: In den Empfangs- und Verfahrenszentren (EVZ), zu Letzteren gehört auch das Zentrum in Bremgarten, würden die schulpflichtigen Kinder nicht eingeschult, da der Aufenthalt in den EVZ auf maximal neunzig Tage beschränkt sei und im Durchschnitt nur drei Wochen dauere. «Es handelt sich bei den meisten Asylsuchenden dort um Dublin-Fälle», sagt Glauser. Er meint damit Asylsuchende, die bereits in einem anderen Mitgliedstaat des Dublin-Abkommens ein Asylgesuch gestellt haben und deshalb die Schweiz nach spätestens 140 Tagen wieder verlassen müssen. «Da ergibt eine Einschulung keinen Sinn», findet Glauser.

Einschulungskurse im Aargau

Ein wenig anders tönt es beim Aargauer Departement für Gesundheit und Soziales. Mediensprecher Balz Bruder sagt, dass es nicht untypisch sei, dass Kinder von Asylsuchenden nicht gleich in die Regelschulen eintreten würden. «Der Aargauer Sozialdienst und das Bildungsdepartement bieten aber in Aarau und Wettingen Einschulungskurse an.» Der Besuch von diesen sei aber schwierig, solange die Asylsuchenden immer wieder umziehen müssten: «In der ersten Woche geht da noch nichts.» Die Einschulung der Kinder erfolge aber während ihrer ersten drei Monate in der Schweiz, sagt Bruder.

Auch in Alpnach im Kanton Obwalden wurde gerade ein neues Bundesasylzentrum eröffnet. In der entsprechenden Vereinbarung, die das BFM dort mit der Gemeinde getroffen hat, steht im Gegensatz zu jener mit Bremgarten nichts zu Schulfragen. Und beim Sozialamt im Kanton Obwalden verweist man diesbezüglich an den Bund.

Mit den neuen Bundeszentren verschärft sich das Zuständigkeitsgerangel im Asylwesen zwischen Bund und Kantonen – gerade was Fragen der Bildung angeht: Der Betrieb der Bundeszentren ist in einer Verordnung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD) von 2007 geregelt, die noch unter Exjustizminister Christoph Blocher ausgearbeitet wurde. Mit jedem neuen Bundeszentrum gewinnt diese an Bedeutung. Darin steht allerdings auch nichts zu Schulfragen, denn die Schulbildung ist in der Schweiz grundsätzlich Sache der Kantone.

Im dritten Teil der aktuellen Teilrevision des Asylgesetzes, der sich zurzeit in der Vernehmlassung befindet, sollen diese föderalistischen Widersprüchlichkeiten nun behoben werden: Artikel 80, der den Bund bisher zur Regelung der Sozial- und Nothilfe verpflichtete, erklärt diesen neu auch für die Gesundheitsversorgung und den Grundschulunterricht von Asylsuchenden zuständig. Im erläuternden Bericht zur Vernehmlassung hält das BFM fest, dass Kinder von Asylsuchenden spätestens nach neunzig Tagen eingeschult werden.

Stefan Frey von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) findet das unbefriedigend: «Wir verlangen prinzipiell die Einschulung, auch wenn dies organisatorisch zugegebenermassen nicht immer leicht machbar ist.» Spätestens nach vier Wochen müssten Kinder aus Asylzentren eine Schule besuchen können. «Neunzig Tage sind im Leben eines Schulkindes doch eine halbe Ewigkeit.»

Ausserdem müsse den Schulfragen in der Testphase, in der sich die neuen Asylzentren des Bundes gegenwärtig befinden, eine starke Beachtung geschenkt werden: «Die Einschulung ist für die Sozialisation der Kinder und für den Aufbau einer Alltagsstruktur unverzichtbar», so Frey.

«Im ‹Gjätt› ists komplizierter»

Auch deshalb plädiere die SFH für zentrumsnahe Asylzentren: «Irgendwo im ‹Gjätt› draussen ist die Einschulung noch viel komplizierter», sagt Stefan Frey. Für Moreno Casasola, Geschäftsführer von Solidarité sans frontières (SOSF), erübrigt sich sowieso jede Diskussion: «Bildung ist ein absolutes Grundrecht! Kinder von Asylsuchenden müssen vom ersten Tag an in die Schule. Punkt. Schluss.» SOSF wird dies dem BFM in seiner Stellungnahme zur laufenden Vernehmlassung so auch mitteilen.