Die USA und Syrien: Obama ist jetzt ein ganz normaler Kriegsherr

Nr. 36 –

Kein rachedurstiger patriotischer Taumel: Viele US-AmerikanerInnen lassen sich nicht mehr so leicht von einer militärischen Intervention überzeugen. Ihr Präsident steht derweil geschwächt da.

Übers Wochenende mutierte die Syrienpolitik der USA zum absurden Theater. Während Aussenminister John Kerry wie ein aufdringlicher Autoverkäufer durch die Fernsehstudios eilte und sein neustes Kriegsmodell feilbot, gab Präsident Barack Obama im Rosengarten des Weissen Hauses den noblen, aber unschlüssigen Hamlet. «Schade, dass Bush nicht mehr Präsident ist», sagte ein junger Syrer, der die Rede des US-Regierungschefs in Homs am Fernsehen mitverfolgt hatte, gegenüber der «New York Times». «Bush hätte sofort reagiert. Er wäre vielleicht aus Versehen in Zypern oder Jordanien statt in Syrien einmarschiert, aber er hätte wenigstens etwas getan.»

Solch schwarzer Humor bringt die Sache auf den Punkt: Barack Obama ist nicht George Bush. Syrien 2013 ist nicht der Irak 2003 (oder der Kosovo 1998). Doch die USA finden und finden nicht heraus aus ihrer weitgehend selbst gewählten Rolle als Polizist, ja als Richter und Henker für die ganze Welt.

Im Reich der Illusionen

Dass Präsident Obama eine allfällige Militäraktion in Syrien nun dem US-Kongress zur Abstimmung vorlegt, und das nur wenige Tage nach dem abschlägigen Interventionsbescheid des britischen Parlaments, zeugt von Mut – vom Mut der Verzweiflung: Angesichts des Verlusts des loyalsten Bündnispartners, der Kriegsverdrossenheit der eigenen Bevölkerung und der fehlenden Unterstützung von Uno, Nato und der Arabischen Liga blieb dem politisch isolierten Obama nicht mehr viel anderes übrig, als sich in Washington eine Miniallianz aufzubauen. Das ist mutig, denn Obama hat dort nicht eben viele Fans. Das Resultat des Vertrauensvotums ist ungewiss.

Vielleicht erleben wir dieser Tage bloss eine Ruhe vor dem Sturm. Immerhin ist es eine Denkpause und eine Debattiergelegenheit.

Zum Beispiel möchten viele US-AmerikanerInnen wissen: Was ist eigentlich Sinn und Zweck eines US-Armeeeinsatzes, und was sind die Kosten? Die ExpertInnen sagen, ideal sei ein Militärschlag, der dem syrischen Präsidenten unmissverständlich den Tarif durchgibt und ihn vom weiteren Einsatz chemischer Waffen abschreckt. Ein Angriff, der aber nicht das Machtgefüge in Syrien selbst und in der leicht entflammbaren Region verändert. Zudem müsste die Intervention zeitlich und methodisch begrenzt sein, unabhängig von der Reaktion des angegriffenen Regimes und der Nachbarländer. Ausserdem solle der Militärschlag den Weg zum Verhandlungstisch und zu gewaltfreien Lösungen ebnen. Und schliesslich dürfe das Eingreifen der USA nur minimalen «Kollateralschaden» in der syrischen Zivilbevölkerung verursachen.

Dummerweise gibt es diese Art Militärintervention gar nicht. Sie gehört ins Reich der Illusionen, in dem George Bush und sein Vizepräsident Dick Cheney ihre grössenwahnsinnige Aussenpolitik angesiedelt hatten.

Sind Chemiewaffen anders?

Und dann sei die Frage erlaubt: Bilden Chemiewaffen wirklich die berühmte «rote Linie»? Wieso sind diese Waffen so anders als konventionelle? Was ist mit Mischformen wie weissem Phosphor, Streubomben und Uranmunition? Alles Kampfmittel der US-Armee. Ist es nicht ebenso tödlich, von Bomben zerfetzt anstatt vergast zu werden?

Weil es kein Verbot konventioneller Waffen, wohl aber der Chemiewaffen gibt, bleibt die Einschränkung wenigstens dieser einen Tötungsart ein löbliches Ziel. Doch es kompliziert die Sache, dass wichtige Akteure im aktuellen Konflikt – die USA und Russland – selbst über reichhaltige Chemiewaffenlager verfügen. Und dass ausgerechnet Syrien und Israel zu den wenigen Ländern gehören, die die Genfer Chemiewaffenkonvention gar nie unterzeichnet oder ratifiziert haben.

Fragt sich ausserdem, ob das Verbot durch die syrische Übertretung wirklich grundsätzlich gefährdet ist. Erodiert hier ein Tabu? Ist ein Chemiewaffen-Dominoeffekt im Nahen Osten oder in der ganzen Welt zu befürchten? So argumentiert US-Aussenminister John Kerry. Doch ausgerechnet ein unrühmliches Kapitel der US-Geschichte widerspricht dieser These. Unlängst freigegebene CIA-Dokumente belegen, dass die US-Regierung in den achtziger Jahren ihrem damaligen irakischen Verbündeten den Aufenthaltsort iranischer Truppen bekannt gab. Und zwar im vollen Wissen darum, dass Saddam Hussein den Einsatz von Senfgas und Sarin plante. Die Giftgasangriffe töteten Zehntausende von iranischen Soldaten. Doch der irakische Chemiewaffeneinsatz blieb bisher die Ausnahme.

Friedensfürst und Kriegsherr

Wer will und kann den nächsten Kriegseinsatz der USA verantworten? 2003 konnte Präsident Bush die Irakinvasion im patriotischen Taumel nach den Anschlägen vom 11. September 2001 durchziehen. Einzig die Friedensbewegung protestierte damals lautstark. Doch ihr Rückhalt in der rachedurstigen US-Bevölkerung war gering. Die grossen Medien liessen sich bequem in die Kriegsvorbereitungen einbetten. Der Kongress segnete die Kriegspläne willig ab – mit katastrophalen Folgen.

Diesmal ist das kritische Bewusstsein in Volk, Parlament und Medien der USA schneller erwacht. Rund achtzig Prozent der US-BürgerInnen wollen heute, dass ein allfälliger Syrieneinsatz vom Kongress autorisiert wird. Mehr als ein Drittel der Kongressabgeordneten haben eine Mitsprache beim Syrieneinsatz gefordert. Auch die Mainstreammedien haben sich von ihrer Rolle als Marketenderinnen der ewigen Kriege verabschiedet.

Was weitgehend fehlt, ist der Druck von der Strasse. «Die Antikriegsbewegung ist nur noch ein Schatten ihrer selbst», klagt Medea Benjamin, eine Gründerin der Gruppe Code Pink. Dafür gibt es verschiedene Gründe: die Wirtschaftskrise, die allen Nichtregierungsorganisationen zugesetzt hat. Das Älterwerden der Anti-Vietnamkriegs-Generation. Und nicht zuletzt die Enttäuschung darüber, dass aus dem Friedensfürsten Obama ein ganz normaler Kriegsherr geworden ist.